Megacities – entscheidet sich hier unsere Zukunft?

Laut einer Vorhersage von UN-Habitat werden 2030 beinahe zwei Drittel aller Menschen in den Städten dieser Erde leben. Nicht zuletzt wegen ihrer Bevölkerungsdichte sind sie schon jetzt Dreh- und Angelpunkte der Entwicklung der Menschheit.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 09.08.12

Im Jahr 2000 lebten 47% aller Menschen in einer Stadt, also fast jeder Zweite, und 2008 lebten erstmals mehr Menschen in Städten (3,3 Milliarden) als auf dem Land. Diese Entwicklung bringen auch die sogenannten Megacities mit sich. Mit der zunehmenden Verstädterung wachsen aber nicht nur kleinere und mittlere Städte, sondern mehr und mehr Städte dehnen sich zu sogenannten „Megastädten“ bzw. Megacities.

Die Ursachen des Städtewachstums sind hohe Zuwanderungsraten und steigende Geburtenzahlen. Angezogen werden die Menschen von der Hoffnung auf ein besseres Leben in der Stadt. Sie verlassen die ländlichen Gebiete aufgrund von Enteignungen und mangelnder Perspektiven zur Bestreitung des Lebensunterhalts auf dem Land. Doch nicht selten führt der Weg in die Stadt direkt in die nächste Armutsfalle.

Was ist eine Megastadt?

Mittlerweile hat sich durchgesetzt, Städte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern als Megastadt zu bezeichnen. Ein oft alternativ genutzter Begriff ist megaurbaner Raum. Dieser zweite Begriff ist etwas umfangreicher, da er auch Agglomerationsräume wie die Metropolregion Rhein-Ruhr mit 11,9 Millionen Einwohnern (2010) mit einbezieht.

Von den weltweit 30 größten Megastädten liegen allein 20 im asiatischen Raum und in Lateinamerika. Dabei handelt es sich im Einzelnen um: Bagdad, Bangkok, Buenos Aires, Delhi, Dhaka, Istanbul (teils europäisch, teils asiatisch), Jakarta, Karatschi, Kolkata, Manila, Mexiko-Stadt, Mumbai, Ōsaka-Kobe-Kyōto, Peking, Rio de Janeiro, São Paulo, Seoul, Shanghai, Teheran und Tokio-Yokohama. Megastädte in Europa sind London und Paris.

Die größte Stadt weltweit ist Tokio, dicht gefolgt von Delhi, São Paulo und Mumbai. Grafik: Universität Köln
Das explosionsartige Wachstum von Städten ist ein neues Phänomen; Megastädte im heutigen Sinne entstanden erst im Zuge der Industrialisierung. Die Megastädte dieser Erde unterscheiden sich nicht nur nach Städten des Südens und des Nordens, sondern auch nach Ländern, klimatischen und politischen Bedingungen. Es gibt reiche und arme, gut organisierte und chaotische Megastädte. Paris und London gelten als Megastädte, aber sie sind mit Jakarta oder Lagos kaum zu vergleichen. Reiche Megastädte dehnen sich in der Regel sehr viel weiter aus als arme: Die Siedlungsfläche von Los Angeles mit 14 Millionen Menschen ist etwa viermal so groß wie die von Mumbai mit 18 Millionen. Reiche Stadtbewohner haben einen wesentlich höheren Flächenverbrauch für Wohnungen, Verkehr, Gewerbe und Industrie. Ähnlich sieht es beim Wasser- und Energieverbrauch aus, der in wohlhabenden Städten um einiges höher ist als in den Südmetropolen. Kairo oder Dhaka sind sicher „Monster-Städte“, was ihre Bevölkerungszahl betrifft, räumlich und städtebaulich sind sie aber eher „Sparstädte“, die mit geringen Ressourcen Millionen Menschen beherbegen.

Die Megastadt in Versorgungsnot

Die hohe Bevölkerungskonzentration in Megastädten beziehungsweise in megaurbanen Räumen führt zu einer Reihe von Problemen, wie z.B. die Versorgung aller Einwohner mit Grundnahrungsmitteln, Trinkwasser und Energie zu gewährleisten. Damit zusammen hängt auch die unzureichende sanitäre Versorgung und die Entsorgung von Abwasser und Abfällen. Für die neu hinzugekommende Bevölkerung steht meist nicht genug Wohnraum zur Verfügung, so dass häufig informelle Siedlungen und Slums entstehen. Viele dieser Menschen bewegen sich in Bussen, PKWs und auf motorisierten Zweirädern in der Stadt fort; das führt zu Chaos auf den Straßen und zusammen mit den Emmissionen der Industrie zu dicker Luft.

Je schneller eine Stadt wächst, desto schwerwiegender sind diese Probleme. Die Städte des Südens haben aufgrund ihres enormen Wachstums damit zu kämpfen, all ihre Bewohner zu versorgen. Im Norden sind die Städte von 1950 bis 2000 im Durchschnitt um das 2,4-Fache gewachsen, im Süden um das 7,4-Fache (Bronger 2004).

Fehlende finanzielle Ausstattung und mangelnde Koordination der Akteure auf den verschiedenen Ebenen verstärken die Probleme. Megastädte stellen meist keine politisch-administrative Einheit dar, sondern sind in Teilbereiche zersplittert, so besteht z.B. Mexiko-Stadt aus einer dominierenden Kernstadt (Distrito Federal) und über 20 Randgemeinden (municípios conurbados), in denen teilweise andere Planungs- und Bauregeln, Steuern und Umweltgesetze gelten.

Mit den Städten wachsen die Slums

Mit den Städten wachsen die ungeplanten und unterversorgten Stadtgebiete, die so genannten Slums. In einigen Gebieten der Welt leben 50% oder wie in Afrika südlich der Sahara über 70% der Stadtbevölkerung in Slums. Insgesamt sollen es 2007 etwa 1 Milliarde Menschen gewesen sein, die in Elendsvierteln leben mussten, laut der UN könnten es 2020 ca. 1,4 Milliarden sein.

Was sind Slums? Die Definition der UN bezeichnet Slums als überfüllte, ärmliche bzw. informelle Unterkünfte ohne angemessenen Zugang zu Trinkwasser und sanitären Einrichtungen sowie ohne Verfügungsgewalt der Bewohner über Grund und Boden.

Vor allem sind Slums aber eins: ein baulich-räumlicher Ausdruck des fehlenden Wohnraums und der wachsenden städtischen Armut. Bilder dafür sind die notdürftig zusammengezimmerten Hütten, wie wir sie aus den Favelas in Brasilien kennen, aber auch desolate und überbelegte Wohnblöcke in chinesischen Großstädten, in denen das wachsende Millionen-Heer der Wanderarbeiterinnen und -arbeiter eine notdürftige Unterkunft findet.

Gründe für die Armut einer Vielzahl der Städter sind Unterbeschäftigung und Unterbezahlung sowie eine geringe Produktivität des informellen Sektors. Circa die Hälfte der Megastadtbevölkerung des Südens ist informell beschäftigt. Viele Menschen sind genötigt, jedwede Beschäftigung anzunehmen. Sie verkaufen verschiedenste Produkte – Zigaretten, Getränke, Essen, Kleinkram – und einfache Dienstleistungen wie Schuhe putzen, Briefe schreiben, Schmuggel oder landen in der Prostitution.

In der wissenschaftlichen Diskussion überwiegt das Bild der Slums als Armutsfalle, da sich dort ungesicherter Aufenthalt und fehlender rechtlicher Schutz mit instabilen Erwerbsverhältnissen verbinden. Mensch und Arbeitskraft werden häufig ausgebeutet. Andererseits übernimmt der informelle Sektor vielerorts eine wichtige Rolle in der Bereitstellung und im Ausbau der Infrastruktur und birgt ein großes Potential in der Suche nach kreativen Lösungen für drängende Probleme in sich.

Zutritt nur für Reiche – gated communities

Parallel zu den Slums wachsen die gatet communities oder auch exklusive Nachbarschaften. Das sind umzäunte und gut bewachte Wohnsiedlungen, in denen sich die wohlhabende Bevölkerung abschottet und so die städtischen Separationstendenzen weiter vorantreibt.

Doch nicht nur der Wohnraum spaltet die Städte: global gibt es einen Boom neuer Großprojekte, wie z.B. den Bau hypermoderner Banken- und Geschäftsviertel, die im scharfen Kontrast zu den informellen Armutsgebieten stehen. Oft wird der neue Central Business District (CBD), das Geschäfts- und Finanzzentrum, ganz aus der Kernstadt ausgegliedert und wandert zusammen mit den gatet communities an die Peripherie, wie z.B. das neue Finanzzentrum in Pudong, Shanghai oder der neue CBD in Peking.

Zu allermeist orientiert sich die Stadtplanung an den Bedürfnissen der konsum- und kulturorientierten Oberschichten und an ökonomischen Wachstumsbranchen mit der Folge, dass die Kluft zwischen Armen und Reichen stetig wächst. Geraten zentrale Stadtgebiete ins Visier einer ambitiösen Stadtpolitik, dann haben die alten oder ärmlichen Quartiere kaum eine Chance – Slums werden oft gewaltsam hin und hergeschoben. Derart auseinande driftende Städte sind ein fragiles Gebilde, in dem Konflikte vorprogrammiert sind.

Die Zukunft liegt in den Städten der Welt

In Anbetracht der Tatsache, dass sich die meisten Menschen dieser Erde in Städten zusammen finden, sind nachhaltige Lösungen gefragt, wie Urbanität zukunftsweisend gestaltet werden kann. Sicher ist: Stadtbewohner weltweit brauchen gute Luft zum Atmen, sauberes Trinkwasser, medizinische Versorgung, sanitäre Anlagen und eine verlässliche Energieversorgung, um menschenwürdig leben zu können.

Die aktuelle Situation in den Metropolen des Südens ist teilweise dramatisch: die Luft zum Greifen dick, Kläranlagen, wenn überhaupt vorhanden, überlastet und die Industrie sondert nahezu unreglementiert hochgiftige Abfälle und Schmutzwasser ab. Hinzu kommt, dass der Klimawandel aller Voraussicht nach die armen Städte erheblich stärker treffen wird.

Doch auch die Städte des Nordens haben ökologische Herausforderungen in den Bereichen Verkehr, Energie und Abfall/Abwasser zu bewältigen. Auf internationaler Ebene gibt es zahlreiche Anstrengungen, eine zukunftsfähige Stadtentwicklung zu unterstützen. Mehrere große UN-Programme – z.B. das UN-HABITAT-Programm Sustainable Urban Development Network (SUD-Net) zur nachhaltigen Stadtentwicklung oder das Urban Management Programm (UMP) zum Stadtmanagement – sind bemüht, die Versorgung der Menschen zu verbessern und die Regierungs- und Planungsfähigkeit in Städten zu stärken. Das Ziel des UMP ist es auch, die Millennium Entwicklungsziele auf städtischem Level umzusetzen.

Festhalten lässt sich, dass viele Probleme der Städte nicht nur auf städtischer Ebene zu erklären sind, sondern als Ergebnisse politischer Unordnung sowie wirtschaftlicher Instabilität auf globaler wie auf nationaler Ebene betrachtet werden müssen – und hierin stecken auch die Lösungsansätze.

Du willst mehr über das Leben in einer Megacity erfahren? Dann begleite in der Webdoc der Deutschen Welle eine junge Frau auf ihrem täglichem Weg zur Arbeit durchs höllische Verkehrschaos Mumbais: „Mumbai Madness – Verkehrschaos in einer Megacity„. Und in der Web-Doku Mangueira – Unterwegs in einer Favela in Rio de Janeiro kannst du einen Spaziergang durch das Armenviertel Mangueira machen, einem der Favelas Rio de Janeiros.

Quellen und Links

Indra Jungblut, RESET-Redaktion (2012)

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