Grüne Infrastruktur (GI), also ein Netzwerk aus natürlichen und naturnahen Grünflächen, gewinnt im urbanen Raum zunehmend an Bedeutung. In Zeiten des Klimawandels wird sie als Teil der Lösung (Stichwort: nature-based solutions) und dabei nicht nur als Eindämmungs-, sondern vor allem als Anpassungsstrategie verstanden. Doch in den stark versiegelten Städten ist Platz Mangelware – daher sind innovative Konzepte gefragt. Hier kommt das Prinzip der vertikalen Begrünung ins Spiel.
Erste Systeme der Fassadenbepflanzung gehen auf den Franzosen Patrick Blanc zurück. Während dabei vor allem künstlerische Aspekte im Vordergrund standen, geht es heute vielmehr darum, zu einem besseren städtischen Mikroklima beizutragen. Neben Kühlungseffekten geht es aber auch um CO2-Bindung, Luftreinigung und Lärmdämmung. Zudem eröffnen die “Pflanzenwände” neue Lebensräume, zum Beispiel als Nistplätze für Vögel oder Bienenweiden. Doch in der Praxis gibt es auch gescheiterte Beispiele solcher vertikalen Gärten. Die Pflege der Anlagen ist nicht immer einfach, insbesondere was die notwendige Bewässerung anbelangt. Abgesehen davon ist die Anbringung mit Hürden verbunden, da die Konstruktionen meist schwer und kostenintensiv sind.
Vertikales Grün wissenschaftlich erprobt
Die Optimierung der Fassadenbegrünung hat sich Green4Cities, ein Spin-off der Universität für Bodenkultur in Wien, folglich nicht ohne Grund zur Aufgabe gemacht. Im Rahmen eines dreijährigen Forschungsprojekt konnte das Unternehmen mithilfe der EU-Förderung “Horizon 2020” erfolgreich seine LivingPANELS entwickeln. Die größte technologische Innovation sei das Modul selbst, das Herzstück der Living Wall, so Günther Frühwirt gegenüber RESET. Er ist einer der beiden künftigen Geschäftsführer des Startups NatureBASE, das mit den Paneelen als Erstprodukt aus Green4Cities hervorgehen soll und sich derzeit in Gründung befindet.
Das neuartige Substrat der LivingPANELS soll eine genau abgestimmte Versorgung der Pflanzen mit Wasser und Nährstoffen gewährleisten, welche dazu von Sensoren gesteuert wird. Der Wasserverbrauch wird damit möglichst gering gehalten, die üblichen Schläuche fallen weg. Per “plug and play” können die bereits vorkultivierten Module an Hauswände montiert werden, ganz ohne Werkzeug. Da es sich um einen Komplettaufbau handelt, ist die Anbringung sowohl an Bestands- als auch an Neubaugebäuden möglich. Weiterhin wurde viel Wert auf die Verwendung leichter und ressourcenschonender Materialien gelegt. Doch ist mit dem nächsten kalten Winter das Ende der Grünwand in Sicht? Zur Pflanzenauswahl und den Substrateigenschaften hat man sich bei dem Projekt viele Gedanken gemacht, sodass die langlebigen grünen Module auch die kalte Jahreszeit gut überdauern können sollen.
Bisher gibt es drei Versuchsstandorte sowie zwei Demostandorte in Österreich, Deutschland und Bulgarien, wo die LivingPANELS ausgiebig getestet wurden. Vor allem der städtischen Wärmeinsel, die sich aufgrund der Bebauung typischerweise im Stadtkern bildet, soll die Innovation entgegenwirken. Tatsächlich bestätigt dies die Greenpass Software, die ebenfalls den Green4Cities-Reihen entspringt: Um rund 3 Grad reduziert sich die gefühlte Temperatur an einem Hitzetag in unmittelbarer Fassadennähe, wenn diese mit LivingPANELS ausgestattet ist. In den Innenräumen des Gebäudes fällt die Temperatur sogar bis zu 8 Grad niedriger aus. Für die Abkühlung sorgt nicht nur die Transpiration des dichten Pflanzenteppichs, sondern auch die hohe Verdunstungsleistung des besonderen Substrats.
Grüne Wände und Technologie
Die Wartung vertikaler Gärten gilt als aufwändig – da kann Automatisierungstechnik nützlich sein. Sie ist deshalb Teil der Innovation. Laut Frühwirt reiche ihr Einsatz von der bedarfsgerechten Bewässerung mittels Sensorsteuerung über die Fernwartung zur Verbrauchsbilanzierung bis hin zur Fehlererkennung mit Echtzeit-Benachrichtigung. Die Chancen stehen gut, dass künstliche Intelligenz in Zukunft eine größere Rolle spielen wird: “Wir haben einen hohen Nutzen bezüglich der Anwendung traditioneller Machine Learning-Methoden sowie von Deep Neural Networks für unser Projekt identifiziert. Daher haben wir bereits bei der Datenerhebung darauf geachtet, dass eine spätere maschinelle Analyse der Daten mittels AI-Methoden möglich ist”, sagt Frühwirt.
Eine breite Umsetzung der hier vorgestellten Lösung soll im Frühjahr 2021 erfolgen. Im Augenblick werden die Weichen gestellt, damit die Produktion der LivingPANELS bald in Serie gehen kann. Eine der großen Stärken der Paneele ist, dass sie quasi eine Klimamaßnahme mit Sofortwirkung sind: “Da die Fläche bei den LivingPANELS sofort nach Installation komplett begrünt ist, und nicht wie bei bodengebundenen Lösungen über viele Jahre hinweg anwachsen muss, ist hier auch die Effektivität deutlich höher und rascher gegeben.“ Kletterpflanzen, die ebenfalls zur Fassadenbegrünung eingesetzt werden, haben zudem den Nachteil, dass sie in der Regel nicht höher als 10 Meter wachsen. Sterben diese plötzlich ab gibt es außerdem keinen schnellen Ersatz. Mit den bepflanzten Modulen ist man hingegen deutlich flexibler, da sie kleinflächig ausgetauscht werden können. Daneben ist die biologische Vielfalt hier deutlich größer.
Nicht nur das Klima im Allgemeinen soll durch die Living Wall Systeme geschützt werden, sondern auch das Wohlbefinden der Städter, was gerade bei den immer häufigeren Hitzewellen relevanter wird. Der künftige Geschäftsführer von NatureBASE ist überzeugt, dass die Wertschätzung und Erhaltung grüner Infrastruktur nur durch die Einbindung der Bürger gelingen kann. Ihre Bedürfnisse dürfen beim Prozess Städte klimaresilient zu machen nicht außer Acht gelassen werden, damit diese schließlich auch lebenswerter werden.