Live Love Recycle: Ein Beiruter Abholdienst rettet Wertstoffe vor der Mülldeponie

Was, wenn es keinen städtischen Sammeldienst für Wertstoffe gibt? In Beirut nimmt sich eine Initiative mit einem Abholdienst nicht nur dieser Umweltherausforderung an, sondern schafft gleichzeitig auch hunderte neue Arbeitsplätze.

Autor Katie Cashman:

Übersetzung Katie Cashman, 24.03.20

Die Entwicklung effektiver Recyclingsysteme stellt wohl eine Herausforderung für jedes große urbane Zentrum dar. In Beirut gibt es besonders große Probleme im Umgang mit den Abfällen. Viele Bewohner*innen der Hauptstadt Libanons würden zwar gern ihre Abfälle recyceln und die lokalen Mülldeponien entlasten. Die Infrastruktur der Recyclingzentren ist allerdings unzulänglich, die Stadtverwaltung bietet keine Sammeldienste für die Wertstoffe der Bürger*innen an.

Hier will die Initiative „Live Love Recycle“ mit einer mobilen App ansetzen: als Bindeglied zwischen der Bevölkerung und den Recyclingzentren, mit einem barrierearmen und (aktuell noch) kostenfreien Zugang. Die Einwohner*innen Beiruts müssen lediglich ihre Wertstoffe in Recycling-Tüten packen und eine Abholung per App anfordern. Innerhalb von einer halben Stunde kommt dann ein Abholer per E-Bike und bringt die Tüten zur nächstgelegenen Sortiereinrichtung. Für diese Art der Abholung werden aktuell Papier-, Kunststoff- und Metallprodukte akzeptiert. Dies orientiert sich an den Festlegungen der örtlichen Einrichtungen, die diese Materialien annehmen.

Not macht erfinderisch

Die „Live Love Recycle“-App wurde während der sogenannten „Abfallkrise“ im Libanon 2015 entwickelt. Auslöser für die Krise war die von den Behörden angeordnete Schließung der Hauptdeponie im Süden Beiruts. Aufgrund fehlender alternativer Entsorgungsmöglichkeiten sammelte sich der der Müll auf den Straßen. Die Folge waren Proteste und gesundheitliche Sorgen der Bevölkerung. Georges Bitar, ein junger libanesischer Unternehmer, beschloss damals, sich dieser Herausforderung der Stadt anzunehmen. Für die ersten Testläufe seines „Pick-up”-Abfallservices nutze er den Online-Fahrdienst Uber. Allerdings wurde der Dienst während des App-Testlaufs eben nicht zur Beförderung von Menschen genutzt, sondern für die Wertstofftüten der Nutzer*innen, die zu den Recyclingzentren transportiert werden sollten. Aufgrund der wachsenden Nachfrage expandierte „Live Love Recycle“ und übernahm den Abholservice selbst mit Sammelfahrzeugen. Innerhalb von nur zwei Jahren sammelte das Projekt nach eigenen Angaben 40.581 Säcke mit Wertstoffen aus 4.111 Haushalten in Beirut ein und verhinderte damit, dass 100 Tonnen wertvoller Recycling-Materialien auf Deponien verbrannt wurden oder im Meer landeten. „Sogar der Präsidentenpalast recycelt mit uns“, sagte uns Gründer Georges Bitar.

Eine erste Finanzierung des Projektes kam über Partnerschaften mit der französischen NGO ACTED und dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen zustande. Vor allem aber eine Förderung durch das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), ermöglichte es der Initiative, ihren Betrieb zu intensivieren und mit den zusätzlichen finanziellen Mitteln eine Flotte von Elektrofahrzeugen zu erwerben, darunter 55 Elektrofahrräder, vier elektrische Tuk-Tuks und ein E-LKW. Währen ihres zweijährigen Betriebs hat das libanesische Projekt hunderte Menschen ausgebildet und beschäftigt, darunter vor allem viele Geflüchtete aus einkommensschwachen Verhältnissen. Jede*r sechste im Libanon lebende Mensch ist ein Geflüchteter. Außerdem leidet das Land unter einer hohen Arbeitslosenquote, die bei den unter 25-Jährigen bei 37 Prozent liegt. Zusätzliche Arbeitsplätze konnte die Initiative auch durch das Anstellen eines Teams von Köch*innen schaffen, das die Fahrer*innen mit hausgemachtem Essen versorgt.

Zwar kann „Live Love Recycle“ Einnahmen sowohl aus dem Verkauf der Wertstoffe an verschiedene lokale Recyclinganlagen als auch durch Werbung erzielen. Dadurch wird allerdings lediglich ein Teil der Ausgaben gedeckt. Nach dem Ende der Förderung durch das BMZ 2019 startete die Initiative deshalb eine Crowdfunding-Kampagne, um dauerhaft in Betrieb bleiben zu können. Die dabei erfolgreich gesammelte Summe von rund 70.000 US-Dollar zeige, dass die Menschen bereit dazu sind, für den Service Geld zu bezahlen, erklärte Georges Bitar gegenüber RESET. Tatsächlich würden mehr als 60 Prozent der Kund*innen den Fahrern Trinkgeld geben. Bisher ist der Service allerdings noch kostenlos, um zunächst einmal ein grundsätzliches Bewusstsein für Recycling innerhalb der Bevölkerung Libanons zu schaffen. Für die Zukunft ist jedoch geplant, eine geringe Gebühr von weniger als einem US-Dollar pro Sammlung zu erheben. Aktuell arbeitet die Initiative daran, die Zahlungsfunktion in die Anwendung zu integrieren.

Von Beirut nach Paris

Aktuell dreht sich bei Live Love Recycle alles darum, Möglichkeiten zu finden, um die Etablierung des Abfallabholdienstes sowohl im In- als auch im Ausland voranzutreiben. Die Organisation hatte sich dazu auch bereits mit dem Umweltminister und der Verwaltung Beiruts ausgetauscht, allerdings ist die Zusammenarbeit aufgrund der aktuellen politischen Instabilität im Libanon derzeit eingestellt. Anstelle dessen kam aber eine Zusammenarbeit mit The Villiage Talent Incubator zustande, einem Programm aus Frankreich, das Startups und Investor*innen zusammenbringt, um so Förderungen für innovative Ideen zu ermöglichen. Das Ziel der Zusammenarbeit ist es, auch in Frankreich das „Live Love Recycle“-System zu etablieren. „Wir versuchen, unsere Idee in Frankreich zu wiederholen, weil wir erkannt haben, dass Recycling nicht nur im Libanon ein Thema ist. Mehr als zwei Milliarden Menschen auf der Welt haben keinen Zugang zu einem Recycling-Sammelservice, und mehr als 90 Prozent des Kunststoffs auf der Welt werden nicht recycelt“, sagte Georges Bitar. „Live Love Recycle“ trage auf vielfältige Weise zu einer nachhaltigen Abfallwirtschaft im Libanon bei. „Es gibt den Menschen eine einfache Möglichkeit zu lernen, wie sie ihre Wertstoffe sortieren und ordnungsgemäß entsorgen können. Es bietet menschenwürdige Arbeitsplätze für die Menschen im Recyclingbereich, die nun nicht mehr in den Behältern nach Wertstoffen suchen müssen, und es ermöglicht, dass die Sortieranlagen das Potenzial des Urban Mining besser ausschöpfen können, durch saubere und gut sortierte Wertstoffe.“

Die interaktive Anwendung hat also auch einen pädagogischen Aspekt, der den Nutzer*innen das Sortieren ihrer Abfälle näherbringt und ihr Bewusstsein für die Umweltvorteile des Recyclings schärft. Es enthält auch nützliche Daten zu Abholorten, mit denen das Team seine Dienstleistungen effizienter planen kann. Letztendlich könnten diese Daten dazu verwendet werden, um öffentliche Recyclingbehälter an strategischen Standorten zu platzieren und die Abfallentsorgungsdienste zu rationalisieren und zu optimieren. Georges Bitar ist zuversichtlich, dass das „Live Love Recycle“-Modell etwas zur Lösung des globalen Recyclingproblems beitragen kann. Auch wir sind gespannt, wie sich diese Idee künftig weiterentwickelt.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Lea Wessels und Lydia Skrabania. Das Original erschien zuerst auf unserer englischen Seite.

MARKIERT MIT
Smarter Sorting: KI für umweltbewusste Entscheidungen in der Abfallwirtschaft

Die KI-basierte Plattform von Smarter Sorting will den Müll im Einzelhandel reduzieren, indem sie Produkte, die sonst auf der Deponie gelandet wären, stattdessen fürs Recycling oder zur Wiederverwendung vorschlägt.

MapSwipe: Mit dieser App humanitäre Hilfe leisten – jederzeit, überall

Kartendaten sind essentiell, um Menschen in Konflikt- oder Katastrophengebieten schnell und effizient zu helfen. Ein Gemeinschaftsprojekt von Hilfsorganisationen hat eine App entwickelt, mit der jede*r helfen kann, kritische Lücken in der Weltkarte zu füllen.

Der Müllberg Südostasiens wächst – kann Abfallverbrennung eine Lösung dafür sein?

Japans Müllberge werden stetig größer, vor allem die der Kunststoffabfälle. Bewältigen will das Land dieses Problem durch Müllverbrennungsanlagen – und andere südostasiatische Länder nehmen sich daran ein Beispiel.

Kaffeesatz ist kein Abfall, sondern eine wertvolle Ressource!

Für viele gehört eine Tasse Kaffee zum morgendlichen Ritual – genauso wie das Wegschmeißen des Kaffeesatzes. Warum den nicht sinnvoll weiternutzen, z.B. für die eigene Pilzfarm oder als duftigen Brennstoff?

Project Wren: Mit einer App die kompletten CO2-Emissionen eines Menschen kompensieren?

Eine neue Online-Plattform will es Nutzer*innen ermöglichen, die eigenen CO2-Emissionen vollständig auszugleichen. Was steckt dahinter und wie nachhaltig ist der Ansatz wirklich?

Der digitale Fußabdruck – unser Ressourcenverbrauch im Netz

Jede einzelne Suchanfrage, jedes gestreamte Lied oder Video und jede Art von Cloud-Computing, milliardenfach ausgeführt, überall auf der Welt, ist für einen global immer größer werdenden Strombedarf verantwortlich – und damit auch für steigende CO2-Emissionen. Das digitale Zeitalter stellt uns vor große Herausforderungen.

CO2: Vom Klimakiller zum Wertstoff?

Es gibt viele Ansätze, der Atmosphäre durch Abscheidung und Speicherung oder die Verarbeitung bei industriellen Prozessen CO2 zu entziehen. So sollen der Treibhaus-Effekt und die Erhitzung der Erde gebremst werden.

Recycling per App? Ein Sozialunternehmen digitalisiert Indiens Müllmanagement

Die App „Toter“ will das Abfallmanagement Indiens nachhaltiger gestalten – und ermöglicht Müllsammlern eine fairere Bezahlung.

Eine App sagt illegalen Müllhalden den Kampf an

Du hast die Nase voll von illegalen Müllkippen? Mit einer App kannst du schnell und einfach etwas gegen Schandflecke unternehmen.