Lebensmittelverschwendung

In Deutschland landen jährlich rund 20 Millionen Tonnen oft noch genießbarer Lebensmittel im Müll. Die Aktualität des Themas geht jedoch weit über die Grenzen der Bundesrepublik und auch Europas hinaus. Lebensmittelverschwendung ist ein globales Problem - weltweit wird etwa die Hälfte der produzierten Nahrungsmittel verschwendet.

Autor*in , 22.02.12

Abfälle entstehen nahezu an jeder Etappe der Verbraucherkette. Betroffen sind vor allem frische Artikel wie Backwaren, Milchprodukte, Fleisch, Fisch, Gemüse und Obst. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Bei Backenwaren liegt dies an der raschen Konsistenzveränderung. Jeder möchte frische Brötchen und die Verwertung von altem Brot oder Brötchen hat heute keine Bedeutung mehr in den Rezepten. Paniermehl, Knödelbrot und andere Produkte, die früher aus alten Backwaren gemacht wurden, werden heute extra gekauft. Bei Milch-, Fleisch- und Fischprodukten ist es die schnelle Verderblichkeit, die eine hohe Wegwerfquote erzeugt. Bei Obst und Gemüse kommen mehrere Faktoren zusammen: einerseits sieht Obst und Gemüse schnell nicht mehr so frisch aus. Ein kleiner brauner Fleck oder ein welkes Grün reichen oft aus, um den Konsumenten abzuschrecken. Andererseits verdirbt frisches Obst und Gemüse tatsächlich schnell. Lagerung, Transport und Zeit sind wichtige Faktoren, die Einfluss auf die Haltbarkeit von frischen Lebensmitteln haben. Für all diese Nahrungsmittel jedoch gilt: Je länger der Weg, desto mehr wird weggeworfen.

Die lange Kette der Verschwendung

Die Geschichte der Lebensmittelverschwendung ist eng mit der Globalisierung verknüpft. In einer immer vernetzteren Welt werden die Wertschöpfungsketten immer länger. Das bedeutet, dass zwischen Produzenten und Verbrauchern immer mehr Zwischenhändler, Logistiker, Verpackungs- und Lagerungsspezialisten liegen. In der Welt des Konsums gibt es immer alles und überall: Mangos aus Indien in Deutschland und Äpfel aus Amerika in Indonesien – und das alles das ganz Jahr über. Die Lebensmittel müssen teilweise weit reisen, um zum Verbraucher zu gelangen. Auf ihrer langen Reise mit vielen Stationen landen große Mengen Lebensmittel im Müll. Das Problem ist nicht nur, dass kostbare Arbeit verschwendet wird, sondern dass das Ganze auch auf unser Klima geht. Für Transport, Lagerung und Logistik wird sehr viel Energie und damit verbunden auch Rohstoffe verbraucht.

Wo genau auf dieser Reise werden die Lebensmittel weggeworfen und warum?

Erhebliche Teile der für die Lebensmittelindustrie hergestellten Nahrungsmittel werden in Entwicklungsländern produziert. Dort fehlen den Kleinbauern oft Know-how und kostenintensive Technik (wie z.B. Kühlmöglichkeiten), um die Nahrungsmittel richtig zu lagern und zu transportieren. Ein Projekt der Metro-Gruppe in Zusammenarbeit mit der United Nation Industrial Development Organisation (UNIDO) zeigt, dass durch Bildungsarbeit in den Bereichen Hygienestandard, Transport und Logistik die Verluste bis zu 40% reduziert werden konnten.

Die klimatischen Bedingungen in den Ländern des Südens fördern die Verderblichkeit zusätzlich. Nehmen Zwischenhändler den Kleinbauern ihre Produkte nicht ab, weil diese den Erwartungen der Käufer nicht entsprechen, bedeutet dies für die Bauern und ihre Familien oft existenzielle Not und nicht selten Hunger.

Mein Gemüse? Makellos und wohlgeformt!

Die Erwartungen der Konsumenten führen uns zu einem anderen wesentlichen Grund für Lebensmittelverschwendung: die perfektionistischen Ansprüche der Verbraucher haben dazu geführt, dass es für jedes Produkt ein Ideal und für das Ideal häufig sogar Richtlinien und Verordnungen gibt, wie etwa die Krümmung der Gurke, die Farbe von Tomaten und den Durchmesser von Äpfeln. Obst und Gemüse, das nicht den Vorgaben und Normen entspricht, wandert in den Müll. Die EU-Richtlinie zum Krümmungsgrad der Gurke wurde 2009 abgeschafft, stark gekrümmte Gurken haben es seit dem trotzdem noch nicht in den Handel geschafft. Ursächlich hierfür ist sicherlich in bedeutendem Maße der Einfluss der Medien und Werbeagenturen, die dem Konsumenten ein Idealbild der Lebensmittel vorgeben.

Wie perfekt das jeweilige Obst und Gemüse ist wird über die Handelsklasse bestimmt. Das heißt, dass in die erste Handelsklasse nur absolut perfektes Obst und Gemüse gelangt. Ein guter Teil des geernteten Obsts und Gemüses schafft es allein dadurch nicht mal in die Regale unserer Supermärkte.

Dort wiederum, vor den Nasen der Endverbraucher, muss nicht nur alles perfekt aussehen. Teil der Marketing-Strategie vieler Supermarktketten ist es, dem Kunden das Gefühl von nie enden wollendem Nachschub zu vermitteln. In der Realität bedeutet dies, dass die Regale nie leer aussehen dürfen. Es muss immer von allem im Überfluss geben – auch kurz vor dem Wochenende oder vor Feiertagen. Dauerhaft werden allein dadurch ca. 20% an Frischeprodukten wie Brot, Fleisch und Frischmilch bereits als Ausschuss mit kalkuliert. Betrachtet man die gesamte Produktpallette beträgt die Wegwerfquote nach einer Schätzung des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels jedoch nicht mehr als 5%, genaue Zahlen gibt es aber bislang nicht.

Vergessenes und Ungeliebtes landet in der Tonne

Von den Lebensmitteln, die es bis in die Küchen der Endverbraucher schaffen, wandert in Deutschland nach Schätzungen des Verbraucherschutzministeriums wiederum etwa ein Viertel in den Müll. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMLV) hat dazu eine Forsa-Umfrage in Auftrag gegeben: 16% der Lebensmittel werden von Haushalten weggeworfen, weil sie nicht schmecken; 19% sagen, die zu großen Verpackungseinheiten wären der Grund, warum man Lebensmittel in den Müll werfe; 25% geben an, zu viel eingekauft zu haben. Die weitaus höchste Zahl von Haushalten, nämlich 84%, wirft die Lebensmittel wegen eines abgelaufenen Mindesthaltbarkeitsdatums weg. Allgemein werfen 58% aller Haushalte regelmäßig Lebensmittel weg und 69% haben dabei ein schlechtes Gewissen.

Was ist eigentlich das Mindesthaltbarkeitsdatum?

Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) ist eine vom Hersteller festgelegte Garantie für Produktqualität – und kein Verfallsdatum, wie viele glauben. Das bedeutet, dass der Hersteller mit dem MHD die ursprünglich gewünschten Eigenschaften des Produkts wie Farbe, Konsistenz und Geschmack gewährleistet (z.B. die Cremigkeit eines Joghurts). Da das Mindesthaltbarkeitsdatum vom Hersteller bestimmt wird, kann es für ähnliche Produkte sehr stark variieren. Das Haltbarkeitsdatum von Erdbeerjoghurt kann zwischen 3 und 6 Monaten schwanken, das von Basmatireis zwischen einem und drei Jahren (vgl. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/mindesthaltbarkeitsdatum.html).

Die untenstehende Grafik zeigt, aus welchen Bestandteilen sich unser Haushaltsmüll zusammensetzt. Weggeworfene Lebensmittel verstecken sich dabei in dem hellgrünen 3,9% Biomüll.

Verschwendung mit weitreichenden Folgen

Die Verschwendung von Lebensmitteln hat auf globaler Ebene vor allen Dingen negative Rückkoppelungseffekte für den armen Teil der Weltbevölkerung, wie beispielsweise die produzierenden Kleinbauern in Entwicklungs- und Schwellenländern. Getarnt als verstärkte Nachfrage führt die Entsorgung von Nahrungsmitteln zu einem Anstieg der Weltmarktpreise – vor allem von Grundnahrungsmitteln. In den letzten 10 Jahren ist der Weltmarktpreis für Getreide um 200% gestiegen. Ein Großteil der Weltbevölkerung kann sich damit Grundnahrungsmittel wie Weizen oder Mais nicht mehr leisten und leidet Hunger. Damit sorgen Wohlstandsgesellschaften durch übereifrigen Wettbewerb in der Wirtschaft und einem Leben im Überfluss indirekt für Hunger in den ärmeren Produktionsländern.

Das Thema der Lebensmittelverschwendung ist nicht neu, aber in Zeiten des Klimawandels aktueller denn je. Für die Produktion von Lebensmitteln werden große Mengen an Wasser gebraucht. Für die Lagerung (vor allem Kühlung) und den Transport sind große Ressourcenmengen erforderlich. Deren Beschaffung oder Verbrennung haben einen starken Einfluss auf den Klimawandel,. Umgekehrt gibt es durch die voranschreitenden Klimaveränderungen immer häufiger unvorhersehbare Ernteausfälle aufgrund von Dürren oder Überschwemmungen.

Hamsterkauf adé oder: Was können wir tun?

Durch bewusstes Verbraucherverhalten kann langfristig ein erheblicher Teil der Verschwendung von Lebensmitteln seitens der Konsumenten reduziert werden. Wichtig ist dabei ein bedarfsorientiertes Einkaufsverhalten: sich nicht von Sonderangeboten und Rabatten zu einem Mehreinkauf verleiten lassen, regelmäßige Prüfung der Haltbarkeit (nicht nur über das Haltbarkeitsdatum, sondern mit Geruchs- und Geschmackssinn) und eine übersichtliche, produktspezifische Lagerung.

Weitere Möglichkeiten der Resteverwertung zeigt die App „Zu gut für die Tonne“ des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf. Und falls das Brot doch einmal alt werden sollte, gibt es im Trenntmagazin und bei Biorama tolle Rezeptideen zur leckeren Resteverwertung.

Ein wesentlicher Beitrag kann durch den Kauf von regionalen und saisonalen Produkten geleistet werden. Das muss nicht unbedingt im Bioladen passieren, sondern kann auch direkt beim Bauern gemacht werden, der immer öfter auch eine Zusammenstellung („grüne Kiste“ o.ä.) ins Haus liefert. Die Produkte müssen nicht aufwendig gelagert und transportiert werden, können zum idealen Zeitpunkt geerntet werden und sind dadurch auch gesünder. Die Regel hierbei lautet: Je direkter beim Produzenten eingekauft wird desto besser.

Wer einen Schritt weiter gehen will kann sich nach sich nach einer Genossenschaft umschauen, die solidarische Landwirtschaft betreibt. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von einem landwirtschaftlichen Betrieb mit einer Gruppe privater Haushalte. Diese Gruppe garantiert die Abnahme der Erzeugnisse und die Vorfinanzierung dessen, was notwendig ist, um die Ernte zu erzeugen. Alle teilen sich die damit verbundene Verantwortung, das Risiko, die Kosten und die Ernte.

Das Thema der Lebensmittelverschwendung beweist uns einmal mehr: Jeder Einzelne kann die Welt, in der wir leben, verändern.

Quellen und Links

Gastbeitrag von Fanny Kreczi (2012)

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