Mit Lebensmitteln Lebensmittel haltbar machen

Photo by Matt Nelson on Unsplash

Edipeel ist essbar, unsichtbar und geschmacksfrei – und könnte der nächste große Schritt sein, um die Verschwendung von Lebensmitteln drastisch zu reduzieren.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 09.04.18

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut:

Jedes Jahr werden weltweit ca. 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel weggeworfen – etwa ein Drittel der gesamten Produktion. Besonders hoch ist die Quote bei Obst und Gemüse, nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen vergammelt rund die Hälfte der nähstoffreichen Lebensmittel, bevor sie auf dem Teller landen. Gleichzeitig hungern Millionen Menschen in vielen Regionen dieser Erde. Dazu kommt, dass Anbau, Lagerung und Transport von Lebensmitteln energieintensiv sind und die Umwelt verschmutzen, etwa durch Pestizide und CO2-Emissionen.

Die Verschwendung findet entlang der gesamten Lieferkette statt, ein Hauptproblem ist dabei die Haltbarkeit der Produkte. Nimmt man den durchschnittlichen Lebenszyklus einer Banane, dann endet das ressoucenintensive Leben der Tropenfrucht – die Aufzucht über mehrere Monate, eine wochenlangen Reise im Kühlcontainer – all zu oft nach einem kurzen Countdown von wenigen Tagen im Supermarktregal in der Tonne.

Eine gravierende Lebensverlängerung ohne die Umwelt durch weitere Abfälle oder Pestizide zu belasten könnte demnächst die neuartige Beschichtung Edipeel des Startups Apeel sein.

Ausgedacht hat sich das Ganze James Rogers, Materialforscher an der University of California. Sein Arbeitsmaterial ist eigentlich Stahl und Plastik für Solarzellen, aber irgendwann ist er auf die Frage gestoßen, wie eigentlich so viel angebaut werden kann und trotzdem nicht alle genug zu essen haben. Es musste also ein Problem der  Verteilung sein – und damit eben auch der zeitlich sehr begrenzten Haltbarkeit.

Jedem Obst sein eigenes Mikroklima

Wie also die frischen Lebensmittel besser schützen? Aus den Tüfteleien im Labor ist das Startup Apeel geworden, die spezielle Beschichtung mit dem Namen Edipeel steht kurz vor dem Start auch auf dem europäischen Markt. Was genau aber ist Edipeel?

Edipeel legt sich wie eine zweite Haut um die Frucht und schafft so eine Barriere, die beeinflusst, wie viel Wasser und Kohlendioxid aus der Frucht austritt und wie viel Sauerstoff von außen eintritt, denn diese drei Faktoren sind die Hauptverantwortlichen für die Haltbarkeit von Obst und Gemüse.

„Innerhalb der Avocado oder der Zitrone entsteht ein neues, besseres Mikroklima“, sagt Rogers gegenüber der SZ. „Das Mikroklima reist mit der Frucht mit, von der Ernte bis in den Kühlschrank.“ Mit der zweiten Hülle halten die Früchte wesentlich länger, eine Erdbeere z.B. ist mindestens noch eine weitere Woche genießbar.

Die Zutaten für die Beschichtung sind vor allem Pflanzenabfälle, wie Schalen, Stiele oder Kerne, je nach dem, was regional verfügbar ist. In Kalifornien, dem Sitz des Unternehmens, sind das z.B. die Überbleibsel der Weinherstellung. In einem chemischen Prozess entsteht aus den Resten ein Pulver, das die Bauern unmittelbar nach der Ernte mit Wasser mischen und auf das Obst oder Gemüse aufspritzen können. Dabei ist jedes Spray anders zusammengesetzt, die Rezeptur für Zitrusfrüchte ist eine andere als für Bananen oder Auberginen.

Mittlerweile beschäftigt Apeel 82 Mitarbeiter und hat 42 Millionen Dollar Wagniskapital eingesammelt, unter anderem auch von Silicon-Valley-Investoren wie Andreessen Horowitz und der Stiftung von Bill und Melinda Gates.

Tschüss Kühlcontainer?

Zu den wichtigsten Kunden von Apeel könnten die großen Supermarktketten werden, denn sie sind es, die sich mit entweder zu reifen oder zu unreifen Obst und Gemüse rumschlagen müssen. Und sie haben einen unmittelbaren Nutzen von der neuen Hülle, denn diese verhindert, dass weniger vorzeitig gealtertes Obst und Gemüse in der Tonne anstatt im Einkaufswagen landet. „Supermärkte haben darum ein Interesse daran, ihre Zulieferer dazu zu bringen, etwas für längere Haltbarkeit zu tun.“

Und auch Bauern, die bisher nur für den regionalen Markt produzieren, da sie keinen Zugang zu den teuren Kühlketten haben, könnten von Epipeel profitieren. In einem der ersten Projekte der Firma hat Rogers zusammen mit der Gates-Stiftung eine Beschichtung für Maniok und Mangos für Kleinbauern in Kenia und Nigeria entwickelt, die damit auch Zugang zum europäischen Markt erhalten.

Weniger Interesse hingegen dürften die Transporteure haben, denn Epipeel soll demnächst Früchte viermal länger haltbar machen – genauso lange, wie aufwendig gekühlte Früchte. Ein Großteil der Kühlcontainer könnte damit verzichtbar werden.

In den USA, Mexiko, Chile, Peru, Japan und China ist Edipeel bereits von den Lebensmittelbehörden zugelassen. Noch diesen Monat hofft Rogers auf die Genehmigung der EU. Es könnte also gut sein, dass demnächst Obst und Gemüse auch bei uns mit Anti-Aging-Hülle geliefert wird. Genial wäre es, wenn mit der neuen Beschichtung dann auch Plastikverpackungen nicht mehr nötig sind.

MARKIERT MIT
AeroFarms: Indoor-Salat auf mehreren Etagen

Frisches Blattgemüse ganz ohne Erde und Sonnenlicht? Mitten in urbanen Ballungsgebieten? AeroFarms verlagert den Anbau nach drinnen – und nach oben.

Feeding India: Vom Ende der Lebensmittelverschwendung in einem Land der Unterernährung

Ein junger Unternehmer will hungernden Menschen in Indien helfen, indem er über ein Sozialunternehmen Lebensmittelabfälle rettet und sie an Bedürftige verteilt.

La Caverne – Underground Farming von Pilzen und Keimlingen

Mit diesem Projekt kommen jetzt Pilze und Gemüse direkt aus der Tiefgarage – einer ehemaligen natürlich. Jetzt ist sie eine urbane Farm.

SirPlus: Können ein Supermarkt und eine App gegen Lebensmittelverschwendung helfen?

Das Team hinter SirPlus hat der Verschwendung von Lebensmitteln den Kampf angesagt. Die Tools: ein Supermarkt für gerettete Lebensmittel und ein Online-Shop. In Berlin soll es bald losgehen.

Unterwassergärten – die Rettung für unsere Meere?

Vertikale Unterwasserfarmen wie die von GreenWave helfen dabei, die Überfischung, Versauerung und Verschmutzung der Meere zu verringern, den Klimawandel abzumildern – und nachhaltige Nahrungsmittel werden dabei auch noch produziert.

Mehl aus Kaffee als neuer Akteur gegen Lebensmittelabfälle

Durch die Wiederverwendung eines der Haupt-Nebenprodukte der Kaffee-Industrie hat CoffeeFlour einen Weg gefunden, ein Abfallprodukt in eine ökonomisch, sozial und ökologisch wertvolle Ressource zu verwandeln. 

Apptivism: Das Smartphone gegen Lebensmittelverschwendung

Lebensmittelverschwendung ist eine ökonomische sowie ökologische Belastung. Einige neue Apps helfen mit Einkaufslisten, Foodsharing in der Nachbarschaft oder vergünstigten Angeboten in Restaurants. Wir geben dir einen Überblick über die praktischsten Apps und Konzepte aus dem EU-Forschungsprojekt "REFRESH".

Berliner Supermarkt bietet Kräuter zum Pflücken an

Ein Berliner Supermarkt integriert erstmalig in Europa einen Kräutergarten zwischen den Regalen. Frischer geht es nicht: Die Kunden können sich praktisch ihre Kräuter selbst pflücken.

Lebensmittelverschwendung

In Deutschland landen jährlich rund 20 Millionen Tonnen oft noch genießbarer Lebensmittel im Müll. Die Aktualität des Themas geht jedoch weit über die Grenzen der Bundesrepublik und auch Europas hinaus. Lebensmittelverschwendung ist ein globales Problem - weltweit wird etwa die Hälfte der produzierten Nahrungsmittel verschwendet.