Der Walfang ist seit 1986 weltweit verboten. Das hält einige Länder trotzdem nicht davon ab, unter Vorwand – aber auch illegal – immer noch Jagd auf die bedrohten Tiere zu machen. Weiterhin werden jährlich etwa 1500 Wale in Japan, Norwegen und Island getötet und das Öl, Fett und die Knorpelmasse der Tiere für pharmazeutische Produkte oder Nahrungsergänzungsmittel verwendet. In einigen Regionen der Welt locken Restaurants immer noch Tourist*innen mit dem Walfleisch als „traditionellem“ Gericht an, obwohl die Populationen der Meeressäugetiere in den letzten 400 Jahren um etwa 95 Prozent geschrumpft sind.
Die Auswirkungen des massiven Walfangs im 20. Jahrhundert und heute zeigen sich nicht nur in der Anzahl der Tiere, die unsere Ozeane besiedeln – von dem westpazifischen Grauwal gibt es noch knapp über 100 Exemplare, was ihn zur am stärksten vom Aussterben bedrohten Walart macht – sondern auch in den Folgen für die Biodiversität und für ein funktionierendes Ökosystem Meer.
Wale, oder genauer gesagt ihre Exkremente, sind besonders wichtig für die sogenannte „biologische Pumpe“ in den Ozeanen. Die großen Säugetiere fressen üblicherweise in 300 Metern Tiefe, durch den hohen Druck können sie sich dort aber nicht erleichtern. Aus diesem Grund schwimmen die Wale an die Oberfläche, wo dann ihre Ausscheidungen eine Art schwimmenden Teppich aus Exkrementen bilden. Fällt Sonnenlicht darauf, wächst dort Phytoplankton. Die Kleinstlebewesen absorbieren CO2 aus der Atmosphäre und werden wiederum von anderen Fischen gefressen. Wenn die Fische dann sterben und auf den Grund sinken, wird ein Teil des CO2 in den Meeresboden eingeschlossen. Walkot ist somit der natürliche Ausgangspunkt der maritimen Nahrungskette – und dieser Mechanismus ist durch den extremen Walfang geschwächt.
Marine Biomass Regeneration nennt sich der innovative Ansatz, der eine Art ‚Biomimikri‘ darstellt, also einen natürlichen Prozess simuliert. Das Projekt von sechs verschiedenen Universitäten und Forschungszentren aus der ganzen Welt, unter anderem unter der Leitung von David King vom Centre for Climate Repair der Cambridge University, will dabei mit künstlichem Walkot eine Art Dünger in die Meere geben, der Fische ernährt und zugleich CO2 speichert. Damit sollen Ökosysteme und Biodiversität im Meer gefördert werden und sich so auf lange Sicht wieder selbst erholen können.
Da das Projekt noch in der Entwicklungsphase steckt, wird noch an der finalen Zusammensetzung des künstlichen Walkots gearbeitet. Im Gespräch sind Vulkanasche oder besonders eisenhaltiger Sand, da die fertige Masse die richtige Mischung aus Nitraten, Silicaten, Phosphaten und Eisen aufweisen muss. Der künstliche Dung soll dann auf zusammengebackenen Reisschalen platziert werden, die als eine Art Floß dienen. Insbesondere in Goa in Indien sind diese Reisschalen eines der größten Abfallprodukte der dortigen Reisindustrie.
Das Projekt wird zunächst nur sehr klein skaliert durchgeführt. Ziel ist es, zunächst das tatsächliche Potenzial und die Durchführbarkeit zu testen. Zurzeit kann das Team noch nicht mit Sicherheit sagen, ob der Ansatz wirklich die endgültige Lösung ist, die Ozeane wieder zu bevölkern und dem maritimen Ökosystem seine fehlenden Nährstoffe zurückzuführen. Ein weiteres Projekt in Australien, WhaleX, hat bereits einen ähnlichen Versuch gestartet. Dabei wurde eine Mischung verschiedener Nährstoffe etwa 10 Kilometer vor der Küste von Sydney verstreut, um die Hypothese zu testen.
Die größte Herausforderung des Projekts scheint jedoch, dass der künstliche Walkot andere ökologischen Prozesse der Ozeane aus der Balance bringen könnte. Laut den Bestimmungen der Londoner Konvention, die sogenannte “Convention on the Prevention of Marine Pollution by Dumping Wastes and Other Matter“, ist das Entsorgen jeder Form von Abfall im Meer bis auf einige kleine Ausnahmen verboten.
Aus diesem Grund ist das Projekt auch zunächst nur für drei Wochen angesetzt, um zu testen, ob die Konstruktion der Flöße funktioniert. Darauf aufbauend ist aber noch weitaus mehr Forschung zur Rolle der Walexkremente im Ökosystem Meer nötig. Den Forschenden ist bewusst, dass auch die Zusammensetzung des künstlichen Walkots sehr gut berechnet und ausgeglichen sein muss, um nicht zusätzliche, schädliche Effekte hervorzurufen.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Ansatz sind zurzeit noch nicht eindeutig. Das könnte unter anderem auch der Grund dafür sein, dass eine Entscheidung der Vereinten Nationen die Ozean-Düngung aufgrund der möglichen schädlichen Folgen vorerst stoppte. Groß angelegte Dünge-Projekte sind so lange verboten, bis mehr gesicherte Forschung vorliegt.
Bei einem Ausstoß von 40 Billionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahr ist den Forschenden jedoch bewusst, dass das Projekt groß-skaliert durchgeführt werden muss, um wirklich einen Unterschied zu machen. Die Walpopulationen scheinen sich zu erholen, jedoch nur langsam, und es gibt bisher keine Garantien, dass dieser Ansatz oder die steigenden Zahlen an Walen selbst je wieder herstellen, was bereits verloren ist. Daher bleibt zu hoffen, dass diese und viele ähnliche Projekte in Zukunft Erfolg haben werden.