Der Modekonsum der Menschen in Deutschland ist immens: Verbraucher*innen kaufen rund 60 Kleidungsstücke pro Jahr – tragen diese allerdings nur noch halb so lang wie vor 15 Jahren. Allein im Jahr 2019 gaben die Deutschen rund 64,4 Milliarden Euro für neue Outfits aus, was Bekleidung zum umsatzstärkste Konsumgütersegment im Non-Food-Bereich macht. Dieses Luxusverhalten geht jedoch mit negativen Folgen für das Klima einher, denn jährlich sorgt die Textilindustrie für einen großen Beitrag zu den globalen Treibhausgasemissionen: Knapp 1,7 Milliarden Tonnen CO2. Zwar gibt es Möglichkeiten, um ausgemistete Kleidung weiter zu nutzen wie Flohmärkte oder Second-Hand-Läden, allerdings werden diese nur von wenigen wahrgenommen. Laut einer repräsentativen Greenpeace-Umfrage aus dem Jahr 2015 haben mehr als 80 Prozent ihre Klamotten noch nie getauscht, zwei Drittel noch nie verliehen und über die Hälfte noch nie weiter verkauft. Die Folge: Viele T-Shirts, Pullis und Hosen landen im Müll. Um dieser Dynamik entgegenzuwirken, entwickelt das Startup circular.fashion gemeinsam mit der Technischen und der Freien Universität Berlin eine Methode, um Kleidung hinsichtlich ihrer Weiterverwertbarkeit zu scannen.
Wie funktioniert der „Kleiderscanner“?
Das Forschungsprojekt trägt den Namen „Circular Textile Intelligence“, kurz CRTX. Die Sortierung der Altkleider in “wiederverwertbar” und “nicht wiederverwertbar” soll automatisiert erfolgen. Künstliche Intelligenz (KI) soll das Verfahren umsetzbar machen mit dem Ziel, jene Kleidung zu erkennen, die sich für Faser-zu-Faser-Recycling eignet, also für die Verwertung von Alttextilien zu neuen Kleidungsstücken. Ein Problem für diese Recycling-Methode ist die bisher fehlende Sortenreinheit der Fasern der Textilien. Die Mischung an verschiedenen Materialien, Accessoires und Verschlüssen braucht eine aufwändige Trennung. CRTX nimmt sich mit seiner Forschung diesem Problem an.
Das Forschungsprojekt teilt sich in drei Bereiche auf: Die TU Berlin entwickelt die spektroskopischen Verfahren, die das Material und Schadstoffbelastung ermitteln sollen. Zusammen mit der FU Berlin soll eine KI-basierte Auswertung entstehen, die die bisherige Altkleider-Sortierung entlastet und vereinfacht. Parallel sollen mit Methoden der Bildanalytik Kleidungsstücke erkannt werden, um sie zielgruppengenauer für Secondhand-Märkte nutzbar zu machen. Hiermit sollen die Verkaufschancen der Secondhand-Verwertung erhöht und damit eine Verlängerung der Tragedauer von Kleidungsstücken ermöglicht werden.
Das Startup circular.fashion koordiniert die Zusammenarbeit und sorgt für die Vernetzung mit weiteren Partnern. Mit diesem Ansatz könnte das Projekt Vertreter*innen eines der größten globalen Industriezweige alternative Recyclingmöglichkeit aufzeigen und so mithilfe der KI einen Kreislauf an Bekleidungsweiterverwertung etablieren.
Altkleider-Sortierung als Leuchtturm
Das Projekt CRTX ist eines von 15 Projekten, die im Rahmen der KI-Strategie der Bundesregierung unterstützt werden und hat vom Bundesumweltministerium eine Förderung von knapp 1,5 Millionen Euro für drei Jahre erhalten. Die geförderten Projekte sollen „Künstliche Intelligenz nutzen, um ökologische Herausforderungen zu bewältigen und so eine umwelt-, klima-, gesundheits- und naturgerechte Digitalisierung fördern.“
Neben CRTX hat sich auch das Projekt AI4Grids für die Förderung qualifiziert. Das Projektziel ist es, die für die Energiewende benötigten Erzeuger*innen und Verbraucher*innen mithilfe intelligenter Netzbetriebsführung effizient in das Mittel- und Niederspannungsnetz zu integrieren. So soll der Energieverbrauch ressourcenschonend gemanagt werden. Ein weiteres Projekt im Programm will dabei helfen, nachhaltiger im Netz einzukaufen. Der „Green Consumption Assistant“ zeigt dazu Konsumierenden bei der Produktsuche in der Suchmaschine Ecosia die konkreten Auswirkungen von Konsumentscheidungen an und klärt über nachhaltige Alternativen auf. Vom Topf des Fördergeldes profitiert zudem auch das Projekt „Kinsekt“, das Insekten schützen will. Für dieses Vorhaben braucht es eine engmaschige Beobachtung. Mithilfe von KI soll das Monitoring digitalisiert und die erhobene Datenmenge im großen Stil nutzbar gemacht werden.
Chancen und Risiken von KI im Umwelt- und Klimaschutz
Das breite Spektrum der geförderten Projekte zeigt, wie vielfältig KI-basierte Anwendungen einsetzbar sind. Und schon jetzt spielen sie eine nicht unerhebliche Rolle in vielen Bereichen des Umwelt- und Klimaschutzes – sei es wie bei CRTX in der Kreislaufwirtschaft, im Klimaschutz oder bei der intelligenten Vernetzung erneuerbarer Energien. Doch es gibt noch einiges zu tun, um das Potenzial von KI für den Umwelt- und Klimaschutz auszuschöpfen und gleichzeitig wirklich nachhaltige KI-Anwendungen mit kleinem CO2-Fußabdruck zu entwickeln. Welche Schritte dafür nötig sind, dazu gibt das Redaktionsteam von RESET.org in der digitalen Publikation Greenbook(1) „Künstliche Intelligenz – Können wir mit Rechenleistung unseren Planeten retten?“ Antworten. In der Publikation werden verschiedene Anwendungsbereiche von intelligenten Algorithmen für den Umwelt- und Klimaschutz vorgestellt, die Chancen und Risiken ausgelotet und konkrete Handlungsempfehlungen für Entwickler*innen, Startups, Unternehmen und Entscheidungsträger*innen gegeben.