Gerade zur Weihnachtszeit nehmen Lebensmittel einen wichtigen Stellenwert in unserem täglichen Leben ein – mehr noch als sonst. An Adventssonntagen kommen Familien und Freunde zusammen, oftmals steht das Essen im Mittelpunkt, der mehrere Tage währende Weihnachtsschmaus wird oft schon Wochen im Voraus geplant. Was wir bei all diesem Genuss nicht aus den Augen verlieren sollten: In der EU werden jährlich 88 Millionen Tonnen an Lebensmitteln weggeworfen. Laut einer aktuellen Studie der Uni Stuttgart werfen in Deutschland Privathaushalte durchschnittlich 85,2 Kilogramm Essen im Jahr in die Tonne – das ist über die Hälfte der 12,7 Millionen Tonnen Lebensmittel, die deutschlandweit weggeworfen werden. Doch auch in anderen Bereichen fallen Lebensmittelabfälle an. Am meisten noch in der Lebensmittelverarbeitung mit 2,2 Millionen Tonnen und beim Außer-Haus-Verzehr, also der Gastronomie, mit 1,7 Millionen Tonnen. Im Endeffekt bedeutet die Lebensmittelverschwendung eine Menge vergeudete Ressourcen: Land, Arbeit und Energie wurde aufgebracht, um die Lebensmittel zu produzieren, zu transportieren und zu verarbeiten, die dann letztendlich im Müll landen und im schlechtesten Fall auf Mülldeponien, wo sie Treibhausgase freisetzen.
Eines der Ziele der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung (oder auch Sustainable Development Goals) ist es, bis zum Jahr 2030 die weltweite Nahrungsmittelverschwendung pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene zu halbieren und die Nahrungsmittelverluste, die entlang der Produktions- und Lieferkette entstehen, zu verringern (Ziel 12.3). Noch liegt der Fokus vermehrt auf den Haushalten, weil dort auch die meisten Lebensmittelabfälle anfallen. Doch auch andere Bereiche, wie die Gastronomie, sollten nicht aus den Augen verloren werden. Zwar gibt es bereits einige Netzwerke, Plattformen und Konzepte wie Too Good To Go oder Foodsharing, die beim „Retten“ von überschüssigen Lebensmitteln in Supermärkten, Restaurants etc. helfen können, doch diese Konzepte benötigen die aktive Mitarbeit von außen. Es braucht also ein bestehendes Netzwerk an Menschen, die die Lebensmittel, die zum Beispiel ein Gastronomiebetrieb überzählig hat und nicht mehr an zahlende Kundschaft vertreiben kann, zu einem gewissen Zeitpunkt und in einer gewissen Menge abholen. Eine relativ hohe Flexibilität und Engagement müssen dementsprechend von den Teilnehmenden kommen.
Ein smarter Mülleimer mit Kamera und Waage
Doch auch in der Gastro-Küche an sich lässt sich einiges an Lebensmittelabfällen vermeiden. Das Problem liegt meist darin, dass nicht richtig erfasst wird, wie viel und was wann weggeworfen wird. Das 2013 in London gegründete Unternehmen Winnow Vision will mit Künstlicher Intelligenz bei diesem Problem Abhilfe schaffen. Winnow hat nämlich ein smartes System entwickelt, das mit einer Kamera und einer Waage die weggeworfenen Lebensmittel fotografisch erkennt, erfasst und deren Gewicht ermittelt. Anfangs müssen die Mitarbeitenden in der Küche noch eingeben, um was für ein Lebensmittel es sich handelt, das in der Tonne landet.
Nach Angaben von Winnow gegenüber RESET erreichen die Testsysteme des Unternehmens eine vergleichbare oder sogar höhere Genauigkeit bei der Identifizierung von verschwendeten Lebensmitteln wie Menschen. Nach einer kurzen Trainingszeit und mithilfe von Cloud Learning kann das smarte System anhand der Fotos dann aber eigenständig die weggeworfenen Lebensmittel erkennen. Eine manuelle Eingabe sei dann nicht mehr notwendig, was die Datengenauigkeit und den Bedienkomfort erhöhe.
Mit diesen gesammelten Informationen erstellt das System dann regelmäßig Berichte, in denen das Volumen, der Wert und die Umweltauswirkungen des Abfalls berechnet werden. Mit diesem Wissen können die Gastronom*innen bewusste Entscheidungen treffen, um Lebensmittelverschwendung in den Küchen zu reduzieren. Das können zum Beispiel Menüanpassungen sein, wenn festgestellt wird, dass ein Gericht mit vielen Resten auf dem Teller zurückkommt. Außerdem lässt sich analysieren, wann die meisten Lebensmittelabfälle anfallen. Bei Buffets ist das meistens zum Ende hin, wenn trotzdem alle angebotenen Speisen vorhanden sein sollen, aber nur noch wenig davon gegessen wird. Eine Lösung hierfür wäre, gegen Ende der Buffetzeit die Speisen nur noch auf Nachfrage frisch zuzubereiten.
Bisher arbeiten bereits über 1.000 Küchen mit dem System, allen voran einige Hotelketten und der Möbelhaus-Gigant IKEA, der in jedem seiner Märkte über ein Gastronomieangebot verfügt. Die IKEA-Filiale in Southampton in England konnte beispielsweise mit Winnow ihre Lebensmittelabfälle um 75 Prozent reduzieren. Mithilfe des Systems wurde unter anderem eine Verbindung zwischen dem Wetter und den Essensvorlieben der Gäste hergestellt. Das Team fand heraus, dass Kund*innen an sonnigen Tagen bevorzugt Essen kaufen, das sich leicht draußen essen lässt, so wie Hot Dogs und Wraps. Mit dieser Einsicht konnte die Küche ihre Produktion der Wettervorhersage anpassen und Überproduktion vermeiden.
Das englische Wort „Winnow“ ist übrigens ein alter landwirtschaftlicher Begriff, der bedeutet, die Spreu vom Weizen bzw. das Gute vom Schlechten zu trennen. Für seinen smarten Mülleimer wurde das Londoner Unternehmen bereits ausgezeichnet: 2019 gewann Winnow den Preis als „Tech Disruptor“ bei The Circulars, einem Programm zur Auszeichnung der Kreislaufwirtschaft. The Circulars werden vom Weltwirtschaftsforum und dem Forum der Young Global Leaders vergeben.
Wie kann KI im Umwelt- und Klimaschutz wirkungsvoll eingesetzt werden? Welche spannenden Projekte gibt es? Was sind die sozial-ökologischen Risiken der Technologie und wie sehen Löungen aus? Antworten und konkrete Handlungsempfehlungen geben wir in unserem Greenbook(1) „KI und Nachhaltigkeit – Können wir mit Rechenleistung den Planeten retten?“.
Dieser Artikel ist Teil des Dosssiers „Künstliche Intelligenz – Können wir mit Rechenleistung unseren Planeten retten?“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier KI
Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers über zwei Jahre zum Thema „Chancen und Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung“ erstellen.
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