Die Gärten sind Orte, an denen gesunde Lebensmittel angebaut werden und Natur wieder erfahrbar gemacht wird. Und sie sind Experimentierfelder für Zukunftsthemen: wie können neue Wohlstandsmodelle aussehen und interkulturelle Begegnungen gefördert werden, was bedeutet Teilhabe und sinnvolle Beschäftigung in der Postwachstumsgesellschaft, wie kann Ernährung in der Zukunft aussehen?
Der Boom der Gärten im Stadtgebiet ist nicht mehr zu übersehen. Die Stiftung Interkultur z.B. betreibt interkulturelle Gärten, in denen Deutsche und Menschen von anderswo zusammen Zucchini säen und Erbsen ernten. 2003 waren es fünf Projekte, 2012 sind daraus mehr als 100 geworden – Tendenz weiter steigend.
Von New York in die Welt: Wurzeln des Urban Gardening
Die Idee von Gärten und landwirtschaftlich genutzten Flächen in Städten ist keine neue. Die Stadtbürger der Antike und des Mittelalters waren vielmehr Ackerbürger; eigene Gärten um die Häuser waren ein fester Bestandteil des Stadtbilds. Auch Klein- bzw. Schrebergärten an den Stadträndern und in Kleingartenkolonien gibt es schon seit dem 19. Jahrhundert.
Die urbanen Gartenbewegung, die seit Mitte der 90er Jahre stetig wächst, scheint ihre Wurzeln jedoch ganz woanders zu haben: in den New Yorker Gemeinschaftsgärten der Siebzigerjahren. Die Community Gardens waren – und sind – grüne Oasen auf innerstädtischen Brachen mit Blumenbeeten und Gemüseanbau zur Selbstversorgung. Neu an diesen Gärten war, dass sie gärtnerische, ernährungspolitische, ökonomische, soziale, künstlerische und stadtgestalterische Fragen miteinander verknüpften und gängigen (Lebens-)Modellen andere Praktiken entgegensetzen. Die Idee verbreitete sich rasch in ganz Nordamerika.
Aus diesen frühen Gemeinschaftsgärten haben sich verschiedenen Konzepte nicht-kommerzieller kollektiver Gartenprojekte entwickelt und weiter verbreitet: Interkulturelle Gärten, City Farms, Nachbarschaftsgärten, Kinderbauernhöfe, Schulgärten, Guerilla Gardening.
Ein reicher Fundus gärtnerischer Praktiken und Ideengeber für die Zukunft der städtischen Landwirtschaft ist auch Kuba, wie z.B. für die Berliner Prinzessinnengärten. Mit dem Ostblock brach auch die Wirtschaft in Kuba zusammen und zwang das Land zu einer ökologischen Umstellung. Die staatlich unterstütze urbane Landwirtschaft sollte die Auswirkungen der Wirtschafts- und Ernährungskrise abmildern. Mit einfachsten Methoden und viel Einfallsreichtum wachsen dank der „Revolución Verde“ heute mehr als zwei Drittel des in Havanna verzehrten Obst und Gemüses innerhalb der Stadtgrenzen.
Worum geht es eigentlich? Die verschiedenen Konzepte
Bei den verschiedenen Gartenmodellen in Deutschland, Amerika und anderen europäischen Städten steht nicht eine tatsächliche Subsistenzwirtschaft im Vordergrund, sondern die Verschönerung und Bereicherung des Lebens in der Stadt und die Herstellung neuer Gemeinschaften. Aktiv ist hier vor allem eine junge urbane Avantgarde, die mit neue Modellen auf globale Herausforderungen und städtische Defizite reagiert: Ernährungskrisen und Umweltprobleme, Isolation, Vereinzelung oder mangelnde Freiräume. Wichtig sind dabei Flexibilität und Improvisation. Wer in dichten Stadtgefügen Platz für Blumen und Pflanzen finden möchte, muss kreativ sein.
Manche Stadtgärtner, wie z.B. die Prinzessinnengärten oder Rosa Rose e.V., legen ihren Garten komplett mobil an und pflanzen ihr Gemüse in Blumenkübel, Säcke oder alte Badewannen, um jederzeit umziehen zu können. Recycling statt Hightech, Kreativität statt Professionalität, lautet das Motto.
Gemeinsames Lernen, die Vermittlung von Wissen und das Schaffen von Bewusstsein sind weitere zentrale Apekte der Gärten. Neben der gemeinsamen „Feldarbeit“ bieten viele Gärten auch ein kulturelles Programm und verschiedene Workshops an.
Community Gardens oder Gemeinschaftsgärten ist eigentlich der Oberbegriff für kollektiv betriebene Gärten, die sich meistens in der Stadt befinden. Die Flächen dieser Gärten werden hauptsächlich als Gruppe genutzt, teilweise sind die Gärten öffentlich zugänglich. In Gemeinschaftsgärten sind NachbarInnen, politische Gruppen, Kirchen, Schulen etc. aktiv.
Interkulturelle Gärten sind Gemeinschaftsgärten, in denen Menschen verschiedener Herkunft Obst und Gemüse anbauen. Sie bieten Bildungsangebote, fördern einen internationalen Austausch, sind therapeutische Stätten und Zufluchtsorte. Vor allem die Stiftung Interkultur ist hier aktiv.
Nachbarschaftsgärten werden von einer Anwohnergemeinschaft betrieben und befinden sich in Höfen, vor oder zwischen den Häusern.
City Farms und Kinderbauernhöfe sind eine Mischform. Hier werden Nutztiere gehalten (Pferde, Schafe, Ziegen, Hühner etc.) und meistens noch ein Garten betrieben. Angesprochen werden damit vor allem Kinder mit Mitmach-Angeboten wie Reiten, Gärtnern und klassischen Hofarbeiten. In Berlin gibt es zahlreiche solcher Höfe: Kinderbauernhöfe in Berlin
Guerilla Gardening ist die subversive Variante der Stadtbegrünung. Als Form des politischen Protests sind die Guerilla-Gärtner kreativ und mit geringer Ausstattung unterwegs, um in das Stadtbild einzugreifen. Das können Gemüsepflanzen vor dem Londoner House of Parliament sein, bepflanzte Baumscheiben, Cannabis-Pflanzen in Tübingens Blumenkästen oder Samen und Zwiebeln, die im Vorbeigehen in Grünstreifen gesteckt werden. Der Begriff geht auf die New Yorker Künstler- und Aktivistengruppe Green Guerillas greenguerillas.org zurück. Tipps dazu findest Du hier: Guerilla Gardening
Schrumpfende Städte – Grüne Wucherungen im Niemandsland
Auch wenn weltweit die Zahl der Stadtbewohner wächst und demnächst zwei Drittel aller Menschen in Städten leben werden, schrumpfen viele mittlere und kleine Städte. Mit dem Standortwechsel von Firmen und Werkstätten und dem Verlust von Arbeitsplätzen zieht es viele Menschen in die großen Metropolen. Mit ihnen siedeln die Geschäfte und Unternehmen um. Viele Gebäude und Flächen werden nutzlos und verlassen. Doch der entstandene Freiraum birgt auch neue Möglichkeiten in sich.
Wie zum Beispiel in Detroit: Früher waren es die Fabriken, die den Menschen Hoffnung gaben, heute sind es die Gärten. Wo bis in die 90er Jahre Autos gebaut wurden, werden nun, nach der Schließung der Fabriken und dem Wegzug von rund einer Million Menschen, Möhren aus der Erde gezogen. Auf der Earthworks Urban Farm z.B. bauen auf 8000 Quadratmeter Freiwillige Obst und Gemüse in Bioqualität an. Ganze 1234 private und gemeinnützige Gärten gedeihen mittlerweile in Detroit – und es werden ständig mehr.
Auch die schrumpfende Stadt Dessau möchte ihre zahlenmäßig immer weniger werdenden Bewohner durch einen innerstädtischen Grüngürtel halten, der Flächen für städtische Landwirtschaft sowie Gemeinschaftsgärten bereitstellt.
Landwirtschaftlich genutzte Flächen in schrumpfenden Städten bieten Beschäftigung und Nahrungsmittel, wo es das kaum mehr gibt. Dort, wo wieder Platz ist, können sich neue Stadtmodelle entwickeln, in denen die Grenzen zwischen Konsum und Produktion, Natur und Stadt fließender werden.
Urbane Landwirtschaft in den Städten des Südens
In Deutschland poppen sie neuerdings allerorts auf, in Havanna, Caracas oder Singapur existieren die städtischen Miniacker schon lange: inmitten der Favelas und Slums des Südens werden Obst, Gemüse und Kräuter angebaut. Die Gärten sind eine Überlebensstrategie in Gegenden großer Armut und sichern den Menschen Nahrung und ein wenig Einkommen. In Buenos Aires gibt es mehr als 2000 Gemeinschaftsgärten – Haus- und Familiengärten, Nachbarschaftsgärten und Arbeitsloseninitiativen. Auch in Townships in Südafrika sind kleine landwirtschaftlich genutzte Flächen weit verbreitet. Viele sind in Eigeninitiative entstanden, andere werden vom Staat, NGOs oder privaten Firmen betreut, wie z.B. das Itsoseng Womens Project in Orangefarm.
Seit einigen Jahren setzt auch die Welthungerhilfe (DWHH) auf städtische Äcker. Sie unterstützt diverse Projekte auf Kuba, aber auch in Liberia und Nordkorea. Nicht in allen Städten sind urbane Gärten so leicht umzusetzen wie in Kuba, so Jürgen Roth von der DWHH. In vielen Ländern ist der Druck auf städtische Brachflächen wegen des freien Immobilienmarktes viel größer. Doch viele Beispiele zeigen, dass sich selbst versorgende Armenviertel schon längst keine Utopie mehr sind. Die Gärten mildern die Not an Geld und Nahrungsmitteln, in ihnen kann kulturelles Wissen erhalten werden. Mit ihnen und um sie herum entstehen soziale Netzwerke, vielerorts erwecken die Gärten politische und soziale Utopien in oft auswegslosen Gegenden.
Die Neudefinition der Stadt? Zur Bedeutung der Stadtgärten
Die Gärten in den Städten tun Gutes – auf vielen Ebenen. Aus ökologischer Sicht dienen sie der Verwertung organischer Abfälle, sie reichern die Luft mit Feuchtigkeit an und fangen Regenwasser auf, das sonst ungenutzt in die Kanalisation fließen würde. „Große, zusammenhängende, grüne Dachflächen können sogar das Stadtklima positiv beeinflussen und extreme Temperaturen ausgleichen“, sagt Wigbert Riehl von der Fakultät für Architektur der Universität Kassel. Auch Insekten und andere Stadtbewohner haben etwas von den Gärten, da der Anbau von lokalen Nahrungsmitteln zum Erhalt von Sortenvielfalt und Biodiversität beiträgt.
Aus sozial-politischer Sicht beleben insbesondere gemeinschaftlich genutzte Gärten den öffentlichen Raum und schaffen neue Orte der Begegnung und des Austauschs. Nachbarn lernen sich beim gemeinsamen Buddeln kennen, Menschen verschiedener Kulturkreise tauschen gärtnerisches Wissen und Erfahrungen aus. Im besten Falle wachsen mit den Blumen und Pflanzen die Gemeinschaften, neue Impulse für Kulturen der Teilhabe werden gegeben. Stadtteile gewinnen durch das zivilgesellschaftliche Engagement an Lebensqualität, indem sie miteinander in Verbindung treten und ihren Kiez verschönern. Nebenbei und auch gezielt entstehen praktische Lernorte für Kinder und Jugendliche. Die Bespielung bisher ungenutzter Flächen ist zudem eine aktive Auseinandersetzung und Einmischung in die Gestaltung der Stadt.
„Das Säen, Ernten, Kochen und Weiterverarbeiten für den Winter sensibilisiert nicht nur für die Natur, sondern auch für einen Reality Check der Bedingungen, unter denen wir leben. Der Garten verortet uns in einem größeren Kontext als den der Konsumgesellschaft. Er verschafft Überblick.“ (Christa Müller im Interview)
Nicht zuletzt sind städtische Gärten auch Mini-Modelle für die Städte der Zukunft, in denen Nahrungsmittelanbau und Stadtleben wieder stärker miteinander verwoben werden. Urbane Landwirtschaft schont Umwelt und Ressourcen, indem Transportwege für Nahrungsmittel eingespart werden und von Grünflächen aufgebrochenen Betonwüsten leisten einen Beitrag zur Verbesserung der Lebens- und Luftqualität. Für eine Zukunft der Gärten und lebenswerte Städte sollten beackerbare Flächen jedoch nicht übergangsweise vergeben oder erkämpft werden müssen, sondern fester Bestandteil einer nachhaltigen Stadtentwicklung werden.
Quellen und Links
- Städte ohne Hunger, Brasilien: cidadessemfome.org
- Urban Gardening
- Sehr sehenswerte Dokumentarfilme über urbane Gärten in Berlin, Buenas Aires, Südafrika und Nordamerika: Eine andere Welt ist pflanzbar
- Christa Müller (Hrsg.) (2011): Urban Gardening: Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt. Oekom Verlag, München
- Martin Rasper (2012): Vom Gärtnern in der Stadt. Die neue Landlust zwischen Beton und Asphalt. Oekom Verlag, München
- Carrot City: Creating Places for Urban Agriculture
- Green Thumb
- Reclaimthefields.org
- Soil2soul.blogspot.com
- Saatgutkampagne.org
- Blog zu Guerrilla Gardening
- Elisabeth Meyer-Renschhausen: Urbanes Ackern. Die Rückkehr von Gemüseanbau und Selbstversorgung in den Städten
- Kamel Louafi (Hrsg.): Grüne Inseln in der Stadt – 25 Ideen für urbane Gärten
Indra Jungblut, RESET-Redaktion (2012)