Nahrungsmittelspekulation – Geschäfte mit dem Hunger?

Die Preise für Nahrungsmittel sind in den letzten Jahren mit großen Schwankungen stark gestiegen. Die Spekulation mit Agrarrohstoffen gelten als zusätzlicher Preistreiber. Was hat es sich damit auf sich?

Autor*in David Pachali, 31.08.11

Nichts ist so entwürdigend wie Hunger, besonders, wenn er von Menschenhand verursacht ist.” Das sagte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon im Jahr der ersten weltweiten Nahrungsmittelkrise 2008. Die Preise für Agrarrohstoffe – und davon abgeleitet für Nahrungsmittel – sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen und waren sehr starken Schwankungen ausgesetzt. 

Das wird bei einem Blick auf den Nahrungsmittel-Preisindex der Welternährungsorganisation FAO deutlich. In den Jahren 2007 und 2008 kam es zu einem Anstieg der Preise von 71%, bei einigen Lebensmitteln sogar von 100%, nach einem starken Abfall erreichen sie 2011 wieder neue Höchstwerte (Quelle: WEED). Heute sind sie ausbalancierter als in den letzten Jahren, doch bleiben sie noch immer hoch (Quelle: Food Outlook). Von den Preissteigerungen sind die Menschen in Entwicklungsländern ungleich stärker betroffen als in den Industrieländern. Sie müssen einen größeren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel aufwenden. Während es bei Haushalten in Deutschland ungefähr 13 Prozent sind, zahlen Menschen in Bangladesch zum Beispiel 55 Prozent, in Nigeria 70 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel. Steigende Preise bei Agrarrohstoffen wie Mais oder Weizen machen Lebensmittel für viele sogar unerschwinglich.

Licensed under: Creative Commons - Attribution Non-Commercial FAO Food Price Index

Die Gründe für steigende Nahrungsmittelpreise sind vielfältig und wie bei jedem Preis geht es zunächst um Angebot und Nachfrage: Schlechte oder zerstörte Ernten durch Wetterereignisse, steigende Erdölpreise, weniger Anbauflächen als Folge des Klimawandels, aber auch zunehmende Flächenkonkurrenz etwa durch Biokraftstoffe – all das wirkt sich auf die Preise aus. Auffällig ist jedoch, dass Rohstoffpreise in der Geschichte tendenziell stets gesunken sind, seit der Jahrhundertwende jedoch, als der Rohstoffmarkt verwirtschaftet wurde, immer weiter anstiegen. Aus diesem Grund diskutieren Experten seit einigen Jahren einen weiteren Faktor, der für die extremen Preisschwankungen mitverantwortlich gemacht wird: die Spekulation mit Agrarrohstoffen.

Zunächst waren es vor allem Entwicklungs- und globalisierungskritische Organisationen, die sich mit dem Thema Nahrungsmittelspekulation beschäftigten. In den letzten Jahren rückt das Thema aber zunehmend auf die große politische Bühne. Mitgliedsländer und das Europaparlament einigten sich Anfang 2014 auf eine Neufassung der EU- Finanzmarktrichtlinien (Mifid), welche den Rohstoffspekulationen stärkere Grenze setzen sollen. Das hat mehrere Gründe: Die Regierungen Europas fürchten Hungerflüchtlinge vor ihren Toren und exportorientierte Volkswirtschaften wie Deutschland sind auf eine stabile Wirtschaftslage in den Abnehmerländern angewiesen, um ihre eigene Wirtschaftslage nicht zu gefährden.

Was sind Nahrungsmittelspekulationen?

Von Spekulation spricht man allgemein, wenn in Aktien, Devisen, Wertpapiere usw. allein aus der Erwartung investiert wird, sie später zu einem höheren Preis verkaufen zu können. Entsprechend geht es bei Nahrungsmittelspekulation um Wetten auf Preisänderungen bei Nahrungsmitteln – die wie jede Wette auch daneben gehen können. Spekulation wird zumeist nicht grundsätzlich als negativ bewertet, da sie für Liquidität am Markt sorgt. Auch auf fallende Kurse kann man spekulieren, etwa bei sogenannten Leerverkäufen. Vereinfacht gesagt werden dabei Aktien oder Waren verkauft, die man noch gar nicht besitzt. Der Verkäufer leiht sie sich von Dritten und verkauft sie. Um sie dem Verleiher zurückzugeben, kauft er sie zu einem späteren Zeitpunkt – also bei gefallenem Preis – vom Markt zurück und kann die Differenz behalten.

Die Funktionsweise der Agrarspekulation an sich ist nichts Neues. Schon lange nutzen Händler und Produzenten den Terminmarkt, um sich gegen steigende bzw. fallende Preise abzusichern. Das funktioniert, wieder vereinfacht gesprochen, so: Ein Weizenproduzent verpflichtet sich, eine bestimmte Menge Weizen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu liefern. Dafür wird ein Garantiepreis festgelegt, zu dem der Käufer den Weizen abnehmen wird. Das sorgt bei beiden Parteien für Planungssicherheit, da der Weizenproduzent nicht wissen kann, wie genau die Ernte verlaufen wird.

Für diese Verträge, sogenannte Futures, gibt es wiederum weitere Händler. Sie werden Hedger (zu deutsch: Absicherer) genannt. Wenn ein Händler mit ihnen Gewinne machen will, wettet er auf steigende Kurse solcher Futures: Er kauft den Terminvertrag, lässt sich jedoch später nicht den Weizen liefern, sondern verkauft ihn vor dem Liefertermin zu einem dann höheren Preis – man sagt: er „schließt die Position”. Die Differenz ist sein Spekulationsgewinn.

Ein weiterer Mechanismus der Spekulation sind Indexfonds. Das sind Pakete, die sich an Rohstoff-Indizes orientieren, also zum Beispiel gewichtete Anteile der Preise von Zucker, Weizen und Vieh enthalten. Sie bilden die am Markt gehandelten Mengen in einem Anlageportfolio nach.

Die Folgen

Solche und andere komplexe Mechanismen des Finanzmarkts wirken, so argumentieren Kritiker, als zusätzlicher Preistreiber. Eine solche – oft als Finanzialisierung des Rohstoffsektors bezeichnete – Entwicklung bedeutet letzten Endes, die Rohstoffmärkte und damit die Lebensmittelversorgung den riskanten Turbulenzen des Finanzmarkts auszusetzen. 

So schreibt etwa Marc Chesney, Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Zürich: „Es gibt einen Zielkonflikt zwischen Liquidität und Stabilität der Lebensmittelmärkte.” Man müsse deshalb die Frage stellen, was wichtiger sei: „Mehr Liquidität durch Spekulation zu erzeugen oder lieber erschwinglichere Lebensmittel für die Armen, besonders in der Dritten Welt, bereitzustellen?

Ähnlich argumentiert Markus Henn, Finanzexperte bei WEED, in einer Stellungnahme für den Bundestag: „Wenn der Aktienmarkt eine Spekulationsblase erlebt, ist dies im Wesentlichen ein Problem der AnlegerInnen. Wenn die Blase im Weizenterminmarkt und dann im Weizenmarkt stattfindet, ist es eine Katastrophe für Millionen Menschen”.

Aus diesem Grund haben sich 2013 viele Banken und Versicherungen dazu entschieden, aus dem Nahrungsmittelspekulationsgeschäft auszusteigen. Dazu gehören unter anderem die Berliner Sparkasse, die Commerzbank und die Deka. Andere jedoch, wie z.B. die Deutsche Bank und die Allianz, bewegen sich kaum.

Die beiden Wirtschaftsriesen haben lange Zeit Vorwürfen von Organisationen wie Foodwatch, Oxfam und WEED widersprochen, dass Spekulationen einen verstärkenden Einfluss auf den Hunger weltweit haben. Deutsche Bank und Allianz argumentierten lange Zeit auf Grundlage einer eigenen Studie, die positive Effekte auf die Nahrungsmittelpreise durch Spekulationen auf dem Rohstoffmarkt bewies. Eine von Foodwatch in Auftrag gegebene Studie der Universität Bremen stellte jedoch klar, dass die Studie der Deutschen Bank AG und der Allianz wissenschaftlich unsauber gearbeitet und nicht repräsentativ ist und eher der Schluss naheliegt, dass Spekulationen mehr negative als positive Effekte auf den Hunger haben.

Der Versuch, das Problem zu verharmlosen ist nicht überraschend, schließlich geht es um viel Geld. Laut Oxfam verwalten die Allianz und die Deutsche Bank zusammen Finanzprodukte im Wert von 10,5 Milliarden Euro, die von Anlegern für die Spekulationen auf Agrarpreise verwendet werden. Hinzu kommt, dass wissenschaftliche Ergebnisse zu diesem Thema je nach verwendeter Theorie sehr variabel sein können.

Im Dezember 2013 gab aber auch die Deutsche Bank dem Druck nach und verkündete, den Rohstoffhandel einschränken zu wollen. Die geplanten Maßnahmen werden jedoch von Kritikern als nicht ausreichend angesehen.

Was tun, um die negativen Auswirkungen zu verhindern?

Nach zweieinhalb Jahren des Verhandelns haben sich die EU und die Mitgliedsstaaten im Januar 2014 auf Erneuerungen der Finanzmarktregulierungen geeinigt, die bereits 2011 vorgeschlagen wurden. Der Handel auf den Märkten soll damit transparenter und sicherer werden. Mit einer Obergrenze für den Nahrungsmittel- und Rohstoffhandel auf den Warenterminbörsen sollen Spekulanten abgeschreckt und starke Schwankungen vermieden werden.

Ob die Beschlüsse jedoch wirklich eine Besserung herbeiführen werden ist umstritten. Kritisiert wird daran unter anderem, dass die Regulierungen nur für Europa und nicht weltweit gelten werden und dass jedes Land über die Höhe der Obergrenzen selbst entscheiden kann.

Die Forderungen, die weiterhin von Nichtregierungsorganisationen und einige Ökonomen im Raum stehen, sind:

  • Rohstoff- und Finanzmärkte generell unterschiedlich zu behandeln
  • Eine gesetzliche Definition von „exzessiver Spekulation” und die Schaffung einer Aufsichtsbehörde. Hier wird die amerikanische Aufsicht CFTC als Vorbild genannt, die Spekulation bekämpfen soll und auch vorbeugend tätig werden kann.
  • Ein Verbot von bestimmten Fondsprodukten wie etwa den Indexfonds.
  • Die Einführung von Mengenbeschränkungen (sogenannte Positionslimits) für spekulative Geschäfte. Sie sollen verhindern, dass einzelne Akteure durch ihr Handeln zu viel Einfluss auf die Preise bekommen.
  • Die Einführung einer Transaktionssteuer oder Börsenumsatzsteuer für bestimmte Finanzprodukte. Sie soll vor allem kurzfristige Spekulationsgeschäfte unattraktiver machen und den Handel entschleunigen.

Wie sich zeigt ist das Thema trotz neuer Regulierungen seitens der EU noch nicht beendet. Gegenläufige Deutungen wissenschaftlicher Studien und Interessenskonflikte zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft werden die Diskussion weiterhin am Laufen halten. Bleibt nur zu hoffen, dass in Zukunft nicht weitere Preissteigerungen das Leben der Menschen in Entwicklungsländern erschweren werden.

Quellen & Links

David Pachali, RESET-Redaktion/ 2011 (zuletzt aktualisiert: Henriette Schmidt/ 2014)

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