Von Nächsten- und Fernstenliebe: Was ist Effektiver Altruismus?

Wie kann ich mit meiner Spende möglichst viel Gutes bewirken? Der Effektive Altruismus gibt darauf klare Antworten.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 28.03.18

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut:

Du willst Geld spenden, aber weißt nicht, wo deine Spende am sinnvollsten angelegt ist? Bei der Vielzahl an ökologischen und sozialen Herausforderungen rund um den Globus und Tausenden von Projekten und Initiativen, die versuchen zu helfen, ist das eine schwierige Frage. Vielen Spenden liegt daher eine eher emotionale Entscheidung zugrunde, wie z.B. persönliche Kontakte, der Bezug zur eigenen Biographie, ein Thema wird persönlich als das dringlichste empfunden oder aber man profitiert selbst von der Projektarbeit.

Es gibt aber auch einen anderen Weg, ein Spendenprojekt auszuwählen, nämlich auf Grundlage möglichst vieler Daten. Mit deren Hilfe sollen dann jene Projekte herausgefiltert werden, die maximal Gutes tun. Die Bewegung, die dahinter steckt, nennt sich „Effektiver Altruismus“ (EA) und maximal effektiv ist hier: möglichst viel Leid verhindern. Seit einigen Jahren findet die Bewegung einen großen Zustrom; Plattformen und Forschungsinstitute wurden gegründet und ihre Anhänger treffen sich auf eigenen Konferenzen.

Aber worum geht es eigentlich genau beim Effektiven Altruismus?

Was genau ist Effektiver Altruismus?

Altruistische Menschen sind solche, die an andere oder das Gemeinwohl denken und sich um ihre Mitmenschen kümmern. Also z.B. ein Student, der regelmäßig Geflüchteten nach der Uni Nachhilfe gibt und am Wochenende gespendetes Essen an Wohnungslose verteilt.

Effektive Altruisten geben sich nicht mit guten Taten zufrieden, sondern wollen die Wirkung einer altruistischen Handlung maximieren. Aus Sicht der Effektiven Altruisten wäre das Engagement des oben genannten, altruistisch motivierten Studenten weitaus effektiver, würde er sich voll und ganz auf sein Studium konzentrieren, dieses möglichst schnell absolvieren, einen gut bezahlten Job annehmen und ein Teil seines hohen Einkommens an Organisationen spenden, die vielen Kindern kostenlosen Nachhilfeunterricht ermöglichen. Damit würde jener Student am Ende mehr Kindern zu einer besseren Bildung verhelfen, als er als Einzelperson jemals fördern könnte.

Worum also geht es beim EA? Der Effektive Altruismus ist eine Philosophie und eine soziale Bewegung zugleich, die ihre Wurzel in den frühen 2010er Jahren hat und darauf abzielt, die bei uns allen beschränkten Ressourcen Zeit und Geld optimal einzusetzen, um das Leben möglichst vieler Menschen umfassend zu verbessern. Im Zentrum steht die Frage: Wo verhilft das gespendete Geld einer größtmöglichen Zahl von Menschen zu einer möglichst umfassenden Verbesserung ihres Lebens? Beantwortet wird diese Frage mit empirischen Erkenntnissen und rationalen Argumenten.

Um die Wirksamkeit von Projekten zu ergründen, versuchen Effektive Altruisten Berechnungen dafür zu finden, was wirklich mit einem bestimmten Geldbetrag bewirkt wird. Grundlage ihres Datenmaterials – wie Big Data, experimentelle Feldforschung und naturwissenschaftliche Kontrollverfahren – ist die Arbeit anderer, etwa die des MIT in Boston und anderer forschender Institutionen.

Im Kern bilden die gewonnen Daten die Kosteneffektivität von Hilfsorganisationen ab, d.h. wie viel Gutes pro Geldeinheit bewirkt wird, wie viele Leben etwa gerettet oder nachweislich verbessert werden. Neben der Anzahl der geretteten Leben und der Transparenz einer Organisation ist ein wichtiges Kriterium „room for more funding”, d.h. wie effektiv weitere Spenden genutzt werden können. Mit einem solchen Index lassen sich dann inhaltlich völlig verschiedene Projekte und Maßnahmen einander gegenüberstellen und nach ihrer Wirksamkeit bewerten.

Vergleicht der Effektive Altruismus Äpfel und Birnen?

Der Hilfswerk-Evaluator und NPO GiveWell wurde von ehemaligen Hedgefond-Mitarbeitern gegründet mit der Idee, dass sich Gutes tun in Zahlen ausdrücken lässt. Dazu haben sie unterschiedliche Projekte ausgewertet, z.B. eine Maßnahme in New York, die Menschen wieder in den Arbeitsmarkt eingliedert und verschiedene Projekte in Afrika. Um einen Menschen in den USA wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, müssen ca. 40.000 US-Dollar aufgewendet werden. Für den gleichen Betrag kann aber auch hunderten Menschen in Afrika das Leben gerettet werden, z.B. durch die Verteilung von Moskitonetzen, die nachweislich vor Malaria schützen. Auf den ersten Blick haben diese Projekte ganz unterschiedliche Ziele und der Vergleich ist eher wie der von Äpfeln und Birnen, aber mit der Annahme, dass alle Menschen gleich viel wert sind, war es für die Gründer von GiveWell klar, für welchen Zweck sie ihr Geld spenden.

Oder ein anderes Beispiel: „Es kostet etwa 50.000 Dollar, in den USA einen Blindenhund zu trainieren“, sagt William MacAskill, britischer Philosoph an der Universität Oxford, Gründer mehrerer Organisationen auf dem Gebiet des Effektiven Altruismus und führende Figur der Bewegung. „Damit hilft man einer Person. In einem Entwicklungsland könnte man mit dem Geld aber einfache Operationen zahlen, die hunderte Menschen von Blindheit heilen könnten.“

In seinem Buch „Doing Good Better“ beschreibt MacAskill ein weiteres Beispiel aus Kenia. Um die Schulbildung zu verbessern, hat die Organisation X neue Schulbücher unter den Schülern verteilt und mehr Lehrer eingestellt – doch die Noten der Kinder änderten sich kaum. Dann versuchten die Entwicklungshelfer einen neuen Ansatz und gaben den Schülern ein Entwurmungsmittel. Das überraschende Ergebnis: Als Folge der Entwurmungsmittel sanken die Fehlzeiten drastisch und die Kinder kamen nicht nur öfter zur Schule, sie konnten dem Unterricht auch besser folgen, bekamen bessere Noten und am Ende auch bessere Jobs. Die Entdeckung dieses Zusammenhangs hat eine große Tragweite, denn Bilharziose (Wurmbefall) ist eine der am weitesten verbreiteten Krankheiten der Welt. Etwa 1,5 Milliarden Menschen sind mit den Würmern infiziert und die Parasiten können Kinder so sehr schwächen, dass sie nicht am Unterricht teilnehmen können. Nicht verwunderlich also, dass die „Deworm the World Initiative“ auf der Liste der Top Charities von GiveWell steht.

Diese Beispiele illustrieren deutlich die Hauptannahmen des EA: Es geht darum, möglichst viel Leid mit den begrenzt zur Verfügung stehenden Ressourcen zu verhindern. Und da für EA alle Menschen gleich viel wert sind, ist eine effektiv altruistische Tat keine Frage der Moral oder des Bauchgefühls, sondern eine datenbasierte Entscheidung.

Manche EA fassen die Definition noch weiter und beziehen alle empfindungsfähigen Wesen mit ein, womit auch Tiere eingeschlossen sind. Wird Menschen- und Tierleid gleichgesetzt, dann kann mit dem gleichen Geldbetrag oft mehr Tieren als Menschen geholfen werden.

Dabei spielt die Herkunft des Geldes für Hardliner des EA keine große Rolle. Genau dieses Kalkül ist es auch, was konsequente Effektive Altruisten dazu veranlasst, möglichst gut bezahlte Jobs anzunehmen, um einen maximalen Geldbetrag spenden zu können. Das Gedankenspiel dazu ist einfach: Wenn ich den Job z.B. als Wertpapierhändler nicht mache, dann übernimmt ihn jemand anders. Diese andere Person würde aber nicht einen großen Teil des Gehalts spenden. Zudem kann von einem hohen Gehalt auch ein höherer Geldbetrag gespendet werden. Die ebenfalls von MacAskill mitbegründete Initiative „80.000 hours“ berät Studenten, die individuell wissen möchten, wie sie sich beruflich orientieren können, um maximal Gutes zu tun.

Rationalisierte Nächstenliebe?

Die einen feiern den EA als Offenbarung, indem der Effektive Altruismus gute Taten in ein klares Regelwerk einbettet und moralische Fragen durch nachprüfbare Zahlen ersetzt. In einer Welt, die aus Krisen, Kriegen und Katastrophen zu bestehen scheint, liefern Organisationen wie Giving what you can und GivingWell all jenen klare Antworten, die nicht wissen, wo sie mit dem Helfen anfangen sollen. Auch räumt der EA mit der „das bringt doch sowieso alles nichts“-Haltung auf, indem er die Wirksamkeit von Projekten bestmöglich nachweist und klare Empfehlungen gibt.

Doch natürlich bleibt die Kritik nicht aus. Der EA sei Wohlfühl-Denken von Individualisten, die Konsumtipps verbreiteten, ohne die wirklichen Ursachen des Elends – wie Kapitalismus, Post-Kolonialismus, Klimawandel, etc. – zu bekämpfen und dabei hochgradig unpolitisch, ist aus dem Lager der Kritiker zu hören.

Und nicht wenige zucken bei der Vorstellung innerlich zusammen, ein altruistische Akt, ein Akt der Nächstenliebe, sei messbar und der Wert quantifizierbar. Und ja, folgt man konsequent der Logik des Effektiven Altruismus, dürften Kunst und Kultur erst wieder durch Spenden gefördert werden, wenn weltweit Armut, Hunger, Unterentwicklung und Seuchen eliminiert sind. Das Gleiche gilt für Sportvereine und Pfadfinderschaften, die Nachbarschaftshilfe und andere Vereine und Organisationen, die die Welt für Einzelne oder eine Gruppe von Menschen schöner, interessanter oder liebenswerter machen, aber nicht objektiv besser für alle.

Peter Singer, australischer Philosoph und Ethiker und als Vertreter des klassischen Utilitarismus einer der Väter des EA, äußert sich dazu in einem Interview auch ganz klar: „In einer Welt, in der alle Armutsprobleme gelöst wären, hätte ich nichts gegen Spenden für Kunstgenuss. Solange aber jedes Jahr sechs Millionen Kinder unter fünf Jahren an den Folgen von Armut sterben, sollten wir uns anderen Aufgaben widmen.“ Dem EA geht es um die Menschheit und nicht um den einzelnen Menschen – eine sehr gewöhnungsbedürftige Vorstellung für die meisten von uns.

MacAskill schwächt diese sehr radikale Haltung jedoch etwas ab. Der EA sei nur ein Instrument unter anderen, die Welt zu verändern. Vor allem möchte er mit seinem Buch „Gutes besser tun“ deutlich machen: Zu einem guten Leben gehört es, die Schwächsten zu stärken.

Und was machen wir jetzt damit?

Auch ohne dass wir uns dieser Bewegung komplett verschreiben müssen, können wir doch einige Lektionen aus der Bewegung mitnehmen. Zum Beispiel sollten wir, wenn wir Geld spenden, genau hinschauen, denn nicht jede Organisation leistet sinnvolle Arbeit. Und für Organisationen sollte gelten: Wichtig ist vor allem, wie sinnvoll das Hilfsprogramm an sich ist. Es ist daher empfehlenswert, eine Hilfsmaßnahme und auch alternative Lösungen sorgfältig zu erforschen, zu planen und die Wirksamkeit der Maßnahmen zu überprüfen.

Dabei sollte immer auch die Frage im Raum stehen, was effektiv eigentlich bedeutet. Denn ein Projekt kann durchaus sehr wirksam sein, auch wenn damit höhere Administrationskosten verbunden sind. Das Beispiel der Wurmkur ist in diesem Zusammenhang sehr lehrreich. Möglichst geringe Administrationskosten – ein Kriterium, nach dem viele Spender Projekte auswählen – sollten also nicht unbedingt zu den Kriterien für eine Spendenentscheidung gehören. Ergebnisse des EA weisen nach, dass der Anteil der Administrationskosten am Gesamtbudget nicht zwangsläufig mit der positiven Wirkung einer Spende korreliert.

Auf der anderen Seite sollte auch ein Bewusstsein dafür herrschen, dass gute Taten oder Projekte, die nicht messbar effektiv sind, natürlich nicht automatisch ineffektiv oder unwirksam sind. Der EA liefert uns keine absoluten Zahlen, denn tiefgreifend untersucht werden kann nur, wozu es gute Daten gibt und Antworten gibt es nur auf Fragen, die auch gestellt werden (können). Und auch Projekte, deren Nutzen (noch) nicht skalierbar ist, müssen nicht gleich über den Haufen geworfen werden. Letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden, inwiefern der Effektive Altruismus eine Grundlage für die eigenen Spendenentscheidungen bieten kann.

Autorin: Sarah-Indra Jungblut / RESET-Redaktion (2018)

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