Mikroplastik – Klein, fies und überall

Mikroskopisch kleine Plastikpartikel sind mittlerweile in nahezu allen Gewässern, in unseren Böden und sogar in der Luft, die wir atmen. Wo kommen sie her, was machen sie mit uns und vor allem: Was können wir dagegen tun?

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 19.04.18

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut:

Man muss keinen Urlaub an Stränden voll Plastikmüll verbracht haben, um zu wissen, dass wir ein gewaltiges Problem haben. Ganze Inseln aus Plastik, Meeresvögel, deren Mägen vollgestopft sind mit bunten Kunststoffenteilen oder in Netzen verfangene Schildkröten – die meisten von uns kennen diese abschreckenden Bilder. Aber irgendwie ist das alles weit weg von uns – zumindest bis zum nächsten Urlaub. Weitaus weniger bekannt ist jedoch, dass Plastik nicht nur in unseren Meeren in Besorgnis erregenden Mengen schwimmt, sondern dass es auch in sämtlichen Süßwasser-Gewässern in Europa und weltweit zu finden ist – allerdings die mikroskopisch kleine Variante des Verpackungs-Allrounders: Mikroplastik.

Das Ausmaß der Mikroplastik-Verschmutzung wird erst langsam deutlich; neben Studien, die eine Belastung mit Mikroplastik in fast allen Gewässern in Europa und sogar in unserem Trinkwasser nachweisen, konnte Mikroplastik auch in allen untersuchten 24 deutschen Biersorten nachgewiesen werden, genauso wie in Honig und Zucker. Und in Paris haben Forscher entdeckt, dass Mikroplastik vom Himmel fällt und auch in der Luft in Wohnungen entdeckt. Aber auch in weit abgelegenen Gegenden in den Bergen konnten Mikroplastikpartikel bereits nachgewiesen werden.

Was genau ist Mikroplastik und wo kommt es her?

 Florida Sea GranNach dem Aufstehen erst mal die Zähne putzen, dann noch schnell das Gesichtspeeling einmassieren und die Haare waschen. Ach ja, und die Wäsche muss noch in die Maschine, der neue knallbunte Synthetikpulli kommt mit rein. Kannst du dir vorstellen, dass wir bei diesen alttäglichen Handlungen jede Menge Plastik mit dem Abwasser in die Kanalisation spülen? Wahrscheinlich nicht, man sieht ja auch gar nichts, denn hier geht‘s um kleine und kleinste Plastikteilchen mit einer Größe von fünf Millimetern bis hin zu für das bloße Auge unsichtbaren Nanometern, auch Mikroplastik oder „Microbeads“ genannt.

Mikroplastik aus Kosmetik und Textilien

Die mikroskopisch kleinen Plastikteilchen sind einerseits Bestandteil von Kosmetikprodukten wie Zahncremes, Shampoos und Peelings; hier werden sie für einen Schleif-, Peeling- oder Reinigungseffekt eingesetzt. Untersuchungen der Verbraucher-Plattform „Codecheck“ vom Oktober 2016 haben ergeben, dass von 130.000 Pflegeprodukten jedes dritte Gesichtspeeling und jedes vierte Duschgel Polyethylen aufweist. Laut Bundesumweltamt sind allein in Deutschland Kosmetika für rund 500 Tonnen Mikroplastik pro Jahr verantwortlich.

Mikroplastik stammt aber auch aus den Fasern unserer Kleidung – mit jedem Waschgang lösen sich kleinste Synthetikfasern aus unseren Kleidungsstücken und beginnen ihre lange Reise ins Meer. Die Freisetzung von synthetischen Fasern wie Acryl, Polyamid, Elastan, Polyester u.a. während des Waschprozesses von Textilien hat sich als eine der Hauptquellen von Mikroplastik herausgestellt, sowohl im häuslichen als auch im industriellen Abwasser. Pro Waschgang werden schätzungsweise bis zu 3.000 Fasern freigesetzt, ihr Anteil am gesamten Mikroplastikeintrag in den Meeren beträgt rund 35 Prozent. Die Plastikpartikel werden über Abwässer aus Haushalten und Industrie in den Wasserkreislauf gespült, Kläranlagen kapitulieren vor der Aufgabe, diese wieder herauszufiltern, da die Mikropartikel einfach durch die meisten Filter durchschlüpfen.

Eine Plastiktüte = Millionen Plastikpartikel

Eine andere Quelle von Mikroplastik ist der Zerfall größerer Kunststoffteile, z.B. durch Verwitterung, Wellenbewegung und Sonneneinstrahlung. Der Plastikmüll, der an Land entsteht und nicht richtig entsorgt wird, landet über unsere Flüsse und den Wind irgendwann im Meer. Plastik, vor allem in Form von Tüten, Kanistern und PET-Flaschen, macht einer Studie des United Nations Environmental Programme (UNEP) zufolge bis zu 80 Prozent der gesamten Abfälle in den Ozeanen aus. Aus den Plastikmassen bilden sich durch die Meeresströmungen Inseln, die Plastic Islands. Der Sonne und den Wellen ausgesetzt zerfallen die Kunststoffteile in immer kleinere Partikel und werden zu Mikroplastik.

Mikroplastik in Gärten und Feldern

Kompost und Dünger aus Biomüll gelten als eine umweltfreundliche Alternativen zu Kunstdünger. Doch auch in Biodünger können große Mengen Mikroplastik enthalten sein, wie eine neue Studie zeigt. Forscher der Universität Bayreuth haben bis zu 900 Stücke Kunststoff pro Kilogramm in Dünger aus Gärresten entdeckt. Den Partikeln ist oft noch anzusehen, woher sie kommen: von Tüten, Beuteln und anderen Behältern, die mit den Obst- und Gemüsereste fälschlicherweise in der Biotonne landen.

Außerdem werden übrig gebliebene Nahrungsmittel aus Supermärkten als Substrate für Klärwerke und Biogas-Anlagen geschreddert. Doch die Mühe, die Essensreste aus ihren  Verpackungen zu befreien, machen sich leider nicht alle Anlagen. Schlussendlich landet das Verpackungsmaterial dann auf unseren Feldern und gelangt so auch ins Wasser.

Mikroplastik im Trinkwasser

Nicht nur in Gewässern ist Mikroplastik ein Problem: Sowohl Forscher in den USA als auch in Deutschland konnten in Trinkwasserflaschen eine zum Teil erhebliche Konzentration von Mikroplastikpartikeln nachweisen.

Die US-Forscher konnten in 93 Prozent der 250 getesteten Proben aus den USA, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Kenia, Mexiko, Thailand und dem Libanon Plastikrückstände wie Polypropylen, Nylon und Polyethylenterephthalat (PET) nachweisen. Bis zu 10.000 Partikel fanden sie in einer einzigen Flasche, durchschnittlich waren es 10,4 Mikro-Plastikteilchen (0,10 Millimeter) pro Liter. Ein Großteil der Partikel seien „Fragmente und keine Fasern“ gewesen, so Mikroplastik-Expertin Sherri Mason von der State University of New York. Daher nehmen die Wissenschaftler an, dass das Plastik beim Abfüllprozess in das Wasser gelangt – entweder von den Flaschen selbst oder deren Verschlüssen.

Mikroplastik – Wo ist das Problem?

Klein, wie die Teilchen sind, verbreiten sie sich in sämtlichen Flüssen, Seen und Meeren und sind dort von den obersten bis in die tiefsten Wasserschichten zu finden. Hier werden sie von Tieren als vermeintliche Nahrung aufgenommen – bis wir sie vielleicht mit dem Fisch essen, der auf unserem Teller landet. Mikroplastik konnte bereits in Kleinstlebewesen (Zooplankton), Muscheln, Würmern, Fischen und Seevögeln nachgewiesen werden. Und von Fischen und Muscheln ernähren sich Meeressäuger, Vögel – und auch wir. Studien konnten bei einem Drittel aller in England gefangenen Fische Plastik nachweisen.

Wie schwerwiegend der Schaden ist, den Mikroplastik in unseren Ökosystemen und in Lebewesen anrichtet, ist noch nicht abschließend untersucht, aber die Ergebnisse verschiedenster Studien der letzten Jahre sind besorgniserregend.

So warnt der Umweltforscher Anderson Abel de Souza Machado vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin: „Kleinste Plastikteilchen sind praktisch überall auf der Welt und können verschiedenste Beeinträchtigungen auslösen.“ Zusammen mit Matthias Rillig von der Freien Universität Berlin und weiteren Wissenschaftlern konnte er z.B. nachweisen, dass Regenwürmer Mikroplastik von der Oberfläche in Böden eintragen und es so, abgeschlossen von Licht und Sauerstoff, über 100 Jahre konserviert wird. Eine weitere Studie zeigte, dass Regenwürmer, die mit den Kunststoffteilchen in Kontakt kommen, ihre Gänge anders graben, was direkte Auswirkungen auf die Bodenbeschaffenheit hat.

Werden die winzigen Plastikpartikel von Menschen und Tieren mit der Nahrung aufgenommen, kann das verschiedene Effekte haben: Einige Untersuchungen geben Hinweise darauf, dass Mikroplastik in Körperzellen oder auch Organe eindringen kann und hier Entzündungen, Veränderungen der Membrandurchlässigkeit und Stress durch Sauerstoffradikale auslösen kann. In höheren Konzentrationen kann Mikroplastik offenbar sogar tödlich wirken: Eine laufende Studie des Leibniz-Instituts und der FU Berlin liefert die ersten Erkenntnisse, dass eine hohe Dosis Mikroplastik Salatpflanzen abtöten kann.

Und ganz abgesehen davon, dass wir (genauso wie alle anderen Lebewesen) uns sicher nicht von Kunststoff ernähren möchten, wirken die Plastikteilchen in der Umwelt regelrecht wie ein „Magnet“ für Schadstoffe und binden unter Wasser giftige Substanzen aufgrund ihrer physikalischen und chemischen Eigenschaften. Die Schadstoffkonzentration an den Mikoplastikpartikeln ist oft hundertmal höher als im umgebenden Meerwasser. Zudem enthält der Kunststoff selbst Chemikalien, die während der Produktion hinzugefügt werden. So wirken etwa Phthalate und der Plastik-Grundstoff Bisphenol A ähnlich wie Östrogene, also weibliche Sexualhormone. In Tierversuchen hat sich gezeigt, dass sie bei vielen Tieren den Hormonhaushalt durcheinanderbringen können.

Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass Mikroplastik für sich genommen vielleicht nicht das gefährlichste Umweltgift ist, mit dem Lebewesen zu kämpfen haben, so ist das pure Ausmaß der Kontamination ein enormer menschengemachten Dauerstressfaktor, dem Ökosysteme weltweit ausgesetzt sind. Daher sollten wir alles daran setzen, rasch herauszufinden, was die wirklichen Risiken sind und mögliche Gefahren eindämmen.

Die Lösungen sind vielfältig

Um unser globales Plastikproblem in den Griff zu bekommen, sollte das wichtigste Ziel natürlich sein, Plastik in jeder Form zu vermeiden und intensiv an der Entwicklung von Alternativen zu arbeiten und diese zu befördern. Dazu gehören auch klare politische Richtlinien.

Obwohl einige der Stoffe als hormonell wirksam oder krebserregend gelten, gibt es in Europa noch immer kein rechtlich bindendes Verbot für Hersteller, Mikroplastik in ihren Produkten zu verwenden – mit der Ausnahme von Schweden und dem Vereinigten Königreich. Zwar haben in den letzten Jahren viele der größten internationalen Kosmetikproduzenten aufgrund des öffentlichen Drucks einer Selbstverpflichtung zugestimmt, in ihren Produkten auf die umstrittenen Kunststoffpartikel zu verzichten. Doch laut einer Umfrage der Umweltschutzorganisation Greenpeace ist diese bei den 30 weltweit umsatzstärksten Herstellern nicht wirklich wirksam. Alternativlos ist der Einsatz von Mikroplastik in Kosmetik jedoch keineswegs: Hersteller von Naturkosmetik setzen schon lange auf Zuckertenside, Kieselsäure oder Heilerde und auch das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik hat Bio-Wachs als geeignete und umweltfreundlichere Alternative zu den schädlichen Kunststoffpartikeln vorgeschlagen.

Und auch im Bereich der Verpackungsindustrie gibt es Alternativen zu Plastik, deren Einsatz gefördert werden sollte. So könnten z.B. essbare Verpackungen aus Milchproteinen oder Pflanzenresten, biologisch abbaubare Flaschen aus Zuckerrohr oder ein plastikähnlichen Material aus Holz Unmengen an Plastik ersetzen.

Aber natürlich müssen auch Maßnahmen ergriffen werden, das Plastik abzufangen, bevor es sich auf die Reise in unsere Meere macht. Mit einem neuartigen Waschsack bleibt das Mikroplastik in der Waschmaschine, mit digitalen Tools können illegale Müllkippen aufgedeckt und beseitigt werden und neuartige Verfahren verbessern das Recycling.

Und nicht zuletzt sollten wir uns darum kümmern, kleinste wie große Plastikteile wieder aus unserem Ökosystem zu beseitigen. Visionäre Forscher sind dabei, Schiffe zu entwickeln, die Plastik aus den Meeren fischen sollen, z.B. das Projekt „Seekuh“ oder den Quadrimaran „Manta“. Hoffnung machen auch ein von Forschern des Königlichen Instituts für Technologie (KTH) entwickeltes Verfahren, mit einem Halbleiter und Sonnenlicht kleine Plastikteilchen zu zersetzen und die Entdeckung von Bakterien und Enzymen, die sich von Plastik ernähren und es so zersetzen.

Du kannst bei dir selbst anfangen!

Was du selbst tun kannst, um nicht unnötig viel Mikroplastik aus deiner Kleidung in die Kanalisation zu spülen? Der BUND gibt Tipps: Mikroplastik aus Textilien

Die App ToxFox zeigt dir an, welche Kosmetika Mikroplastik enthalten.

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Es gibt viel zu tun, packen wir‘s an!

Autor: Sarah-Indra Jungblut (RESET-Redaktion/ April 2018)

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