"Global Governance"
Die Globalisierung stellt die internationale Politik vor neue Herausforderungen. Viele grenzüberschreitende, globale Probleme, derer einzelne Staaten nicht mehr allein Herr werden können, gilt es heutzutage gemeinsam zu lösen - hierzu zählen beispielsweise der Klimawandel mit all seinen Auswirkungen auf Mensch und Natur, die Probleme der internationalen Finanzmärkte, AIDS, Rohstoffknappheit, Armut und Hunger.

Das Westfälische Staatensystem mit seinem "ehernen Gesetz" staatlicher Souveränität muss sich daher Modernisierungen öffnen: Die Staaten übertragen Teilbereiche ihrer Souveränität auf supranationale und internationale Organisationen, um von einer politisch übergeordneten Ebene größere Einflussmöglichkeiten auf globale Angelegenheiten zu schaffen.
Zum Begriff der "Global Governance"
Auf deutsch versteht man unter "Global Governance" Ordnungspolitik, Weltinnenpolitik, oder auch strittig, Weltordnungspolitik. Mit letztangeführtem Begriff gibt es insofern Probleme, als dass er eine "Weltordnung" oder Weltmacht / Weltregierung implizieren könnte - das soll aber gerade nicht angedeutet werden. Ferner versteht der Neorealismus unter der "Global Governance" schlicht internationale Politik mit Bezug zu den Problemen der Globalisierung, die Breite der Politik- und die Sozialwissenschaften jedoch "die lösungsorientierte Politik in Zeiten der Globalisierung bei Abwesenheit einer Weltregierung".
Dirk Messner definiert "Global Governance" wie folgt: "Die Entwicklung eines Institutionen- und Regelsystems und neuer Mechanismen internationaler Kooperation, die die kontinuierliche Problembearbeitung globaler Herausforderungen und grenzüberschreitender Probleme erlauben."
Und die UN Commission of Global Governance: "Ordnungspolitik bzw. Governance ist die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln. Es handelt sich um einen kontinuierlichen Prozess, durch den kontroverse und unterschiedliche Interessen ausgeglichen werdenund kooperatives Handeln initiiert werden kann. Der Begriff umfasst sowohl formelle Institutionen und mit Durchsetzungsmacht versehene Herrschaftssysteme as auch informelle Regelungen, die von Menschen und Institutionen vereinbart oder als im eigenen Interesse angesehen werden." (CGG 1995, 4).
Geschichte der "Global Governance"
Bereits Immanuel Kant erkannte 1795 die Notwendigkeit eines globalen Abkommens aller Staaten, um gemeinsam eine internationale Rechts- und Friedensgemeinschaft zu erschaffen (den "Friedensbund" im Entwurf "Zum ewigen Frieden").
In den 70er Jahren, bereits weit vor dem Ende der Blockkonfrontation, entwickelte Willy Brandt das Konzept der UN Commission on Global Governance, die dann von Johannes Rau gegründet wurde. Der Brundtland-Report 1987 formulierte die Begriffe "Global Commons", der Club of Rome veröffentlichte 1991 den Bericht "Our Common Future". Die aus einem Forschungsprogramm der United Nations University (UNU) hervorgegangene Zeitschrift "Global Governance" setzte den Begriff mit einem Mehr an Multilateralismus gleich, also mit einer Verdichtung der internationalen Zusammenarbeit in internationalen Organisationen und Regimen. Auf dieses Verständnis weist schon ihr Titel hin: "Global Governance: A Review of Multilateralism and International Organizations". Hier bildet das VN-System den Nabel der Welt und von Global Governance. Der 1995 vorgelegte Bericht der Commission on Global Governance (CGG) rückte zwar auch die Reform des VN-Systems in den Mittelpunkt seiner strategischen Überlegungen, ging jedoch wesentliche Schritte weiter. Sie wurden von der Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF), die den Bericht unter dem Titel "Nachbarn in Einer Welt" veröffentlichte, aufgegriffen und vom Duisburger Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) weiterentwickelt.

Akteure der "Global Governance"
Franz Nuscheler, seit 2003/04 Gastprofessor an der JKU Linz, erklärt:
»Das neue und unterscheidende Konzept der Commission on Global Governance liegt nicht nur in einem Mehr an staatlich organisiertem Multilateralismus, sondern im Zusammenwirken von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren von der lokalen bis zur globalen Ebene«.
Grundvoraussetzung für Global Governance (GG) ist – und hierfür stehen repräsentativ die Vereinten Nationen (VN) – die Einsicht der Staaten in ihre begrenzte Steuerungsfähigkeit globaler Entwicklungen und Gefahren. Diese Einsicht muß zur freiwilligen Einschränkung der Souveränitätsrechte, zur Übertragung von Befugnissen an übergeordnete Institutionen führen.
Somit bezeichnet man als Akteure der Global Governance die internationalen Organisationen, UN, Weltbank, WTO, IWF etc., internationale Nichtregierungsorganisationen, Akteure des Menschenrechtsregimes, der Umweltschutzbewegung, der Entwicklungszusammenarbeit, ferner private Agenturen (Stichwort: Public Private Partnership, PPP) wie die 1997 von der Weltbank und der World Conservation Union (IUCN) ins Leben gerufene Weltstaudammkommission (World Commission on Dams, WCD) oder der Forest Stewardship Council (FSC), im Bereich der Regelsetzung oder die Global Alliance for Vaccines and Immunisation (GAVI) im Bereich der Umsetzung internationaler Ziele und Regeln.
"Global Governance": Probleme und Herausforderungen
Ein Resultat von Globalisierungs- und Entgrenzungsprozessen ist die Ausbreitung von grenzüberschreitenden, nicht oder kaum regulierten Aktivitäten, kurz von "Schattenökonomien" oder Formen der "Schattenglobalisierung", die für mehr und mehr Menschen in Entwicklungs- und Transformationsländern eine prekäre Lebensgrundlage darstellen. Dabei geht es in erster Linie um die Ausbreitung informeller und krimineller Aktivitäten, wenngleich die Grenzen zur formalen Ökonomie durchaus fliessend sind. Phänomene der "Schattenglobalisierung" sind einerseits Ausdruck des Kontrollverlusts staatlicher bzw. internationaler Institutionen, anderseits treiben sie diesen voran. Charakteristisch für die "Schattenglobalisierung" sind u.a. unregulierte Umschlagplätze für Waren, Güter und Dienstleistungen, unregulierte Arbeitsmärkte und Wanderungsbewegungen, informelle Geldtransfers, Kapitalflucht und Steuerhinterziehung, Gewalt- und Kriegsökonomien sowie diverse Formen der organisierten transnationalen Kriminalität wie Geldwäsche, Schmuggel, Drogen-, Waffen-, Rohstoff- oder Menschenhandel, Marken- und Produktpiraterie, Wirtschaftskriminalität oder Internetkriminalität.
Ein Problem der Global Governance liegt in den Nationalinteressen der souveränen Staaten. So widersprechen sich diese um die Notwendigkeit von weltumspannenden Problemlösungen häufig (beispielsweise das Streben der USA, ihre Wirtschaft nicht durch das Erfüllen des Kyoto-Protokolls zu behindern).
Ferner wird die Legitimität der Global Governance-Akteure sehr kontrovers diskutiert; man weist zurecht auf die fehlenden demokratischen Strukturen der VN hin (Stichwort: Input-Legitimität), auch der der NGOs und anderer privater aber mit exekutiven Befugnissen ausgestatteten Akteuren; im Hinblick auf die demokratisch strukturierten Staaten, deren Handlungsspielraum aber angesichts der globalen Anforderungen eingeschränkt und die mit den Problemlösungen mithin überfordert sind, wird von fehlender Output-Legitimation gesprochen.
Hier werden Anstrengungen unternommen, Transparenz und Glaubwürdigkeit auf allen Ebenen zu erreichen, siehe hierzu den UN Global Compact oder den INEF-REPORT.
Quellen und Links
- Commission on Global Governance
- Franz Nuscheler - Global Governance
- Das Konzept Global Governance - Stand und Perspektiven, Messner/Nuscheler INEF-Report
- Ein umfassender Kosmopolitismus - Immanuel Kant
- Aber alle oder keiner - Wundertüte "Global Governance": ein aktueller Sammelband zu einem politischen Konzept, das offen ist für Ökologie und Neoliberalismus
- KLAUS DINGWERTH - Effektivität und Legitimität globaler Politiknetzwerke
Jenny Louise Becker I RESET-Redaktion, Januar 2009