Landwirtschaft als Kreislauf verstehen: Gemüse- und Obstanbau mit Nährstoffen aus der Kläranlage

Fraunhofer UMSICHT (Vertikaler Anbau in der SUSKULT-Pilotanlage)
Fraunhofer UMSICHT
Vertikaler Anbau in der SUSKULT-Pilotanlage.

Bei SUSKULT brauchen die Pflanzen keine Erde und die benötigten Nährstoffe stammen aus Kläranlagen. Damit geht das Hydroponik-System völlig neue Wege.

Autor*in Luisa Ilse, 20.03.24

Übersetzung Lana O'Sullivan:

Vor allem die mit dem Klimawandel zunehmenden Dürren und Hitzeperioden schaden der Landwirtschaft. Landwirt*innen plagen dabei die zusätzlichen Kosten für Bewässerung und Ernteausfälle. Und an manchen Orten wird herkömmlicher Anbau fast unmöglich. Bereits seit einiger Zeit gibt es daher Ansätze, die Pflanzenaufzucht nach drinnen zu verlegen. Umgeben von einer Hülle, sind die Pflanzen gegen starke Sonneneinstrahlung und Hitze geschützt und brauchen weniger Wasser. Neben dem klassischen Gewächshausanbau gibt es jedoch noch andere Anbausysteme, die Gegenstand von verschiedenen Forschungsprojekten als Klimafolgenanpassung in der Landwirtschaft sind.

Das Projekt SUSKULT verfolgt den Ansatz der Hydroponik. Dabei werden die Gemüse- und Obstpflanzen in einem Indoor-Kultivierungssystem mit einer mineralischen Nährstofflösung ganz ohne Erde versorgt. Der Fokus richtet sich bei dieser Methode alleinig auf die lebensnotwendig von der Pflanze benötigten Stoffe. Und SUSKULT geht sogar noch einen Schritt weiter: Die Ressourcen werden aus nahegelegenen Kläranlagen gewonnen. So wird das Forschungsprojekt zu einer kreislauffähigen und damit langfristig nachhaltigen Lösung.

Abwasser wird zum Nährstoff

Um den Kreislauf vom Klärwerk bis zur Pflanze auf den Weg zu bringen, setzt das Verbundprojekt SUSKULT, bestehend aus zahlreichen Forschungsinstitutionen und Universitäten, bei der Umstrukturierung konventioneller Kläranlagen an.

Fraunhofer UMSICHT/Sandra Riedel (Konzept eines Agrarsystems der Zukunft nach der SUSKULT-Vision)
Fraunhofer UMSICHT/Sandra Riedel
Konzept eines Agrarsystems der Zukunft nach der SUSKULT-Vision.

Unter der Leitung der TU Kaiserslautern werden Kläranlagen von reinen Abwasserbehandlungsanlagen hin zu Ressourcenlieferanten umstrukturiert. Dazu werden Potenziale identifiziert und verschiedene Konzepte für die Bereitstellung und Nutzung der Ressourcen entwickelt. Außerdem ist ein grundlegendes Umdenken bei den Betreiber*innen von Kläranlagen nötig, um das neue Agrarsystem in Kläranlagen integrieren zu können. Zu diesem Zweck erarbeitet das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) dynamische, bedarfsgerechte und automatische Prozesssteuerungen auf Basis des maschinellen Lernens.

In einem nächsten Schritt werden unter der Leitung vom Fraunhofer UMSICHT Technologien analysiert und entwickelt, die eine Rückgewinnung der Ressourcen Wasser, Stickstoff, Phosphor, Kalium, CO2 und Wärme ermöglichen. Die technologischen Konzepte werden anschließend zu Prozessketten zusammengefügt. Damit sollen Ressourcen erzeugt werden, die frei von Keimen, Mikroschadstoffen und Störstoffen sind. So kann das nährstoffreiche Wasser im Kreislauf gehalten werden.

Fraunhofer UMSICHT (SUSKULT-Rezyklatdünger für den hydroponischen Anbau als A- und B-Lösung)
Fraunhofer UMSICHT
SUSKULT-Rezyklatdünger für den hydroponischen Anbau als A- und B-Lösung.

Anschließend geht es unter der Leitung der Hochschule Osnabrück um die Identifizierung von geeigneten Gemüse- und Obstpflanzen für das Hydroponik-System. Dazu müssen folgende Fragen beantwortet werden: Welche Pflanzen brauchen welche Nährstoffe und in welcher Menge? Kann dieser Bedarf über die aus der Kläranlage gewonnenen Nährstoffe gedeckt werden? Mithilfe verschiedener Analysen soll so eine sichere, effiziente sowie gezielte Kultivierung von Nutzpflanzen im hydroponischen System realisiert werden. Erforscht wird das Nährstoffmanagement derzeit an Tomaten und Blattsalaten.

Das Forschungsprojekt endet jedoch nicht am Klärwerk. Mitbetrachtet werden die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der technologischen Entwicklungen. Gleichzeitig sollen Chancen und Herausforderungen ausfindig gemacht werden. Außerdem wird ein interdisziplinärer Austausch zwischen verschiedenen Akteur*innen aus der Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in Form von Dialogen angestrebt.

Die Pilotanlage in der Kläranlage an der Emschermündung wurde 2022 eingeweiht und befindet sich aktuell in der Erprobungsphase.

Regional, unabhängig und klimawandelgerecht

Spannend macht das Projekt SUSKULT vor allem, dass mit seinem neuartigen Hydroponik-System bisher ungenutzte Ressourcen erschlossen werden können. Klärschlamm, der normalerweise entsorgt wird, wird hier zum Nährstoff für Pflanzen. Daraus könnte zukünftig eine regionale, unabhängige und an den Klimawandel angepasste Nahrungsmittelproduktion resultieren. „Kläranlagen stellen alle erforderlichen Ressourcen für eine kreislauforientierte und biobasierte Agrarwirtschaft bereit und sind daher ein idealer Ort für den nachhaltigen Anbau der Zukunft“ erklärt Volkmar Keuter, Abteilungsleiter Umwelt und Ressourcennutzung am Fraunhofer UMSICHT und Projektkoordinator von SUSKULT. „Allein die Demonstrationsanlage im Klärwerk an der Emschermündung wird im Jahr 2050 voraussichtlich mehrere Tonnen Gemüse pro Jahr produzieren“, so Keuter weiter.

URBAN FARMING

Im Urbanismus stellt das Urban Farming eine herausragende Möglichkeit einer Stadt dar, sich selbst zu ernähren. Klimaforscher*innen und Stadtplaner*innen sehen darin großes Potenzial für die Agrarwirtschaft der Zukunft. Statt Lebensmittel viele Kilometer in die Städte zu transportieren, können urbane Farmen tausende Menschen vor Ort mit Gemüse und Früchten versorgen. Zahlreiche Beispiele gibt es in Asien, Nordamerika und immer häufiger auch in Europa. Dort wachsen die lebensmittelproduzierenden Nutzpflanzen beispielsweise auf dem Dach oder an Hauswänden entlang.

Im Gegensatz zu Gewächshäusern mit sehr hohem Wärmeenergiebedarf und schlechter Klimabilanz, benötigt das Hydroponik-System keinerlei Wärmeenergie. Dennoch gilt es auch hier noch eine Hürde zu nehmen, denn diese Form der Nahrungsmittelproduktion hat einen relativ hohen Verbrauch von Strom. Bis dieser durch eine gelungene Energiewende zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt werden kann, stellt sich auch hier die Frage: Wie nachhaltig ist diese Methode unter Berücksichtigung aller Umweltauswirkungen?

Die Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen: Einerseits ist sie stark von den Auswirkungen des Klimawandels und des Arten- und Biodiversitätsverlust betroffen. Andererseits trägt die Landwirtschaft selbst zu den Problemen bei.
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Durch die Unabhängigkeit des Standorts wird es zukünftig möglich sein, die Indoor-Kultivierungssysteme vermehrt auch in Städten, also in direkter Nachbarschaft zu den Konsument*innen, zu errichten. Die meisten Klärwerke befinden sich heutzutage sowieso im urbanen Raum. „Mit Projekten wie SUSKULT treiben wir die Integration der Agrikultur in Städten und Metropolen voran […]. Wochenmärkte zum Beispiel könnten sich vom Marktplatz weg an den Ort des Anbaus verlagern und dort den Verbraucher*innen anbieten, ihr Obst und Gemüse selbst zu ernten“, berichtet Keuter.

Der Lösungsansatz von SUSKULT schafft es, nicht nur ein Teilproblem der Gemüse- und Obstproduktion in der Landwirtschaft zu adressieren, sondern die Landwirtschaft als Kreislauf zu verstehen – und deren Nährstoffzirkulation gekonnt zu analysieren und nutzen. Ein in sich geschlossenes System ohne Nährstoffverlust birgt somit das größte Potenzial einer echten Agrarwende.

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Dieser Artikel gehört zum Dossier „Agrarwende – Die nachhaltige Landwirtschaft von morgen“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

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