Wer Rad fährt oder zu Fuß geht, ist maximal klimaschonend unterwegs. Doch statt die Weichen auf Zukunft zu stellen, sind Städte immer noch „ Auto-Städte“. Und den Preis dafür zahlen wir alle! Das zeigt der neue Mobilitätsatlas der Heinrich-Böll-Stiftung.
In Berlin werden aktuell 13 Prozent der Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt. Doch insgesamt stehen dem Radverkehr hier gerade einmal drei Prozent der Verkehrsflächen zur Verfügung. Dem Autoverkehr stehen dagegen 39 Prozent der Verkehrsflächen zur Verfügung, bei einem Anteil von 30 Prozent aller Wege. Obendrauf kommen nochmals 19 Prozent Flächen in Form von Parkplätzen.
Ähnlich stellt sich das auch in den meisten anderen Städten dar. Und auch wenn mittlerweile hinreichend bekannt ist, dass wir unsere Klimaziele nicht ohne eine Verkehrswende erreichen, geht die Tendenz weiter in Richtung CO2-intensiver Fortbewegung. So haben die Verkehrsflächen in Deutschland zum Beispiel stark zugenommen. Während 1992 insgesamt 16.400 Quadratkilometer Straßen, Wege und Plätze von Bahn-, Flug- und Schiffsverkehr genutzt wurden, waren es 2017 bereits 18.000 Quadratkilometer. Dieser Zuwachs geht fast komplett auf das Konto des Straßenverkehrs, Bahnstrecken sind dagegen in den letzten 20 Jahren um rund 15 Prozent geschrumpft, wie der „Mobilitätsatlas 2019“ zeigt, den die Heinrich-Böll-Stiftung für wenigen Tagen gemeinsam mit dem Verkehrsclub Deutschland(VCD) herausgegeben hat.
Das Problem an diesen Entwicklungen: Jede neue Straße führt zu noch mehr Verkehr und damit auch zu weiteren negativen Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Die CO2-Emissionen steigen, Straßen zerschneiden wichtige Lebensräume von Tier- und Pflanzen und fruchtbare Böden gehen verloren.
Den Preis dafür zahlen wir alle – auch Fahrradfahrer
Schäden durch die Veränderungen des Klimas, eine verschmutzte Luft, Verkehrsunfälle und Lärm – die Folgekosten des Verkehrs sind hoch. Doch diese stehen aktuell weder auf der Rechnung an der Tankstelle noch auf dem Flugticket, sondern wir tragen sie alle gleichermaßen, auch wenn sie für jedes Verkehrsmittel sehr unterschiedlich ausfallen.
Im Mobilitätsatlas der Böll-Stiftung ist zu lesen, dass die Klimakosten des Verkehrs allein 2017 in Deutschland rund 27 Milliarden Euro betrugen. Berechnungsgrundlage ist hier die „Methodenkonvention zur Schätzung von Umweltkosten“ des Umweltbundesamtes. Diese Kosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen, widerspricht nach Meinung der Autor*innen jedoch erstens dem Verursacherprinzip (für Schäden kommen die auf, die sie verursachen). Zweitens verhindert die Externalisierung von Kosten einen fairen Wettbewerb zwischen den Verkehrsmitteln.
Politische Maßnahmen und gute Beispiele sind längst bekannt
In der dänischen Hauptstadt Kopenhagen sind die Radwege breit, die grüne Welle ist auf Fahrradgeschwindigkeit eingestellt, es gibt Radschnellwege und eigene Fahrradbrücken. Die meisten täglichen Wege können hier am schnellsten mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Die Richtungsänderung der Stadt – vom Leitbild der Auto- zur Fahrradstadt – ist erfolgreich: In Kopenhagen ist das Rad inzwischen das Hauptverkehrsmittel. 2017 wurden 41 Prozent der beruflichen und 29 Prozent aller Wege mit dem Rad zurückgelegt.
In Wien ist das Parken für die Anwohner*innen teurer geworden, die Einnahmen sind in den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel geflossen. Außerdem gibt es ein preiswertes Jahresticket für 365 Euro, das in allen Bussen und Bahnen gilt. Die Stadt hat sich dadurch deutlich verändert: Seit 2012 hat sich die Anzahl der Jahrestickets mehr als verdoppelt – inzwischen gibt davon eine größere Anzahl als an Autos. Auf manchen Parkplätzen sind kleine Stadtoasen mit Sitzgelegenheiten und Begrünung entstanden. Für seine Verkehrspolitik hat die Stadt Wien einige Preise eingeheimst. 2019 schaffte sie es an die Spitze zweier internationaler Städterankings zur urbanen Lebensqualität, zum zehnten Mal in Folge siegte Wien im weltweiten „Mercer Quality of City Ranking“ und zum zweiten Mal hintereinander im „Global Liveability Index“ der Denkfabrik Economist Intelligence Unit.
Großes Potenzial durch technische Fortschritte und digitale Vernetzung
Der Mobilitätsatlas der Heinrich-Böll-Stiftung stellt klar heraus, dass wir nur gewinnen können, wenn wir bei der Verkehrspolitik soziale, ökologische und ökonomische Belange zusammendenken. Wenn Investitionen massiv in nachhaltige Mobilitätsinfrastrukturen und -netze umgeschichtet werden – wie in den beiden Beispielen Kopenhagen und Wien –, Hersteller und Unternehmen verlässliche politische Rahmenbedingungen und eine sinnvolle Regulierung erhalten, um klimafreundliche Innovationen bis zur Marktreife vorantreiben zu können, bewegen wir uns in Richtung klimafreundlicher und lebenswerter Städte. Gleichzeitig gilt es, einen sozial gerecht gestalteten CO2-Preis zum Umstieg auf klimaschonende Verkehrsarten oder verbindliche Ziele zum Ausstieg aus dem fossilen Verbrennungsmotor umzusetzen.
Gerade bei der Verkehrsvermeidung und -verlagerung sollten wir zudem den technologischer Fortschritt und die digitale Vernetzung nutzen, denn hier ist das Potenzial groß: Smarte Städte ermöglichen Mobilität ohne eigenes Auto, indem sie verschiedene Verkehrsmittel intelligent miteinander verknüpfen.
Verkehrswende von unten hat schon begonnen
Bis wir von wirklich lebenswerten Städten sprechen können und das aus ökologischer Sicht veraltete Planungsleitbild der autogerechten Stadt abgelöst ist, bedarf es mit Sicherheit noch vieler Aktionen von Bürgerinitiativen, einer mutigen Kommunalpolitik und der Unterstützung durch Bund und Länder.
Doch es ist Bewegung in der Sache, die Verkehrswende von unten hat Fahrt aufgenommen! In vielen deutschen Städten wurden erfolgreiche „Radentscheide“ gestartet, gerade in den Sommermonaten rollen fast jedes Wochenende in irgendeiner Stadt Fahrraddemos der Critical-Mass-Bewegung durch die Straßen und immer mehr lokale Initiativen kümmern sich gezielt um Probleme, unter denen die Fahrradmobilität leidet, attestiert der Mobilitätsatlas.
Bei den Radentscheiden wird eine sicherere, komfortablere und schnellere Infrastruktur gefordert, um mit dem Rad von A nach B zu kommen. Damit verbunden ist aber auch noch mehr, nämlich der Wunsch nach lebenswerten Städten, in denen es leiser ist, die Luft sauberer und die ausreichend Freiräume bieten. Dahinter steht auch die Platzfrage. Denn wie kann es sein, dass ein einziges – und auch noch so klimaschädliches – Fortbewegungsmittel wie das Auto so viel des wenigen Platzes beansprucht, der in Städten zur Verfügung steht?
Ob die Verkehrswende von unten gelingt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie zum Beispiel einer mutigeren Kommunalpolitik. Doch eines hat die Vergangenheit bereits gezeigt: Der Erfolg wird umso größer, je mehr Bürger*innen sich aktiv für eine Verkehrswende engagieren.