Klima-Bürgerrat startet im April

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Am 26. April legt der erste bundesweite Bürgerrat Klima los. 160 zufällig ausgeloste Bürger*innen sollen Empfehlungen für die deutsche Klimapolitik entwickeln. Beraten werden sie von führenden Wissenschaftler*innen. RESET.org gehört zum Unterstützungskreises.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 19.04.21

Insgesamt zwölf Sitzungen sind bis zum 23. Juni geplant. In dieser Zeit sollen die Teilnehmenden von Fachleuten begleitet Ideen entwickeln, wie die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens noch erreicht werden können. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Themenbereichen Verkehr, Gebäude und Wärme, Energieerzeugung und Ernährung. Keine leichte Aufgabe angesichts der Komplexität der Themen, aber eine wichtige. Denn aktuell sind wir noch weit entfernt von der Erreichung der Klimaziele in Deutschland – und es ist dringend an der Zeit, Bewegung in die „Klimawende“ zu bringen.

Das breite zivilgesellschaftliche Bündnis, das den Bürgerrat Klima im Dezember 2020 initiiert hat, hofft, mit der Beteiligung der Bürger*innen wichtige Veränderungen anstoßen zu können. In den letzten Jahren sind Bürgerräte in Europa populärer geworden, Frankreich und Großbritannien haben schon im letzten Jahr Bürgerräte zu Klimafragen ins Leben gerufen.

Die Ergebnisse sind vielversprechend: Im Juni 2020 legte die französische „Convention citoyenne pour le climat“ zum Beispiel 149 Vorschläge vor. Darin forderte das Gremium unter anderem ein Tempolimit auf französischen Autobahnen von 110 Stundenkilometer, die Verpflichtung zur Wärmedämmung für Hausbesitzer*innen sowie eine  Förderung des Bahnverkehrs und den Verzicht auf neue Flughäfen. Und auch die kürzlich abgehaltene Citizen Climate Assembly in Großbritannien hat sehr ambitionierte Vorschläge zur Klimakrise vorgelegt hat, angefangen von hohen Investitionen in die Renaturierung von Mooren und den öffentlichen Verkehr bis hin zu einer Steuer auf Treibhausgas-Emissionen der Landwirtschaft.

In Deutschland wird bereits zum dritten Mal ein bundesweiter Bürgerrat zusammengetrommelt. Im März hat der „Bürgerrat Deutschlands Rolle in der Welt“ seine Ergebnisse an Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble übergeben, 2019 arbeitete außerdem der „Bürgerrat Demokratie“.

Das besondere an den Bürgerräten ist, dass die Teilnehmenden überparteilich und ergebnisoffen über konkrete Maßnahmen diskutieren. „Ein Bürgerrat bringt Menschen aus unterschiedlichen Lebensrealitäten miteinander ins Gespräch. Von Fachleuten begleitet, erarbeiten sie gemeinsam Empfehlungen für eine lebenswerte Zukunft“, erklärt Percy Vogel, Vorstandsvorsitzender des Trägervereins BürgerBegehren Klimaschutz. Im Bürgerrat Klima dreht sich alles um die Fragestellung: Wie kann Deutschland die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreichen – unter Berücksichtigung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Gesichtspunkte? Ex-Bundespräsident Horst Köhler, Schirmherr des Klimarats, in einer Pressemitteilung betont, dass Deutschland eine große gesellschaftliche Veränderungsbereitschaft braucht, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. „Darum ist es so wichtig, dass Bürgerinnen und Bürger an der Suche nach Lösungen beteiligt werden – und dass die Politik ihre Vorschläge ernst nimmt.“

Um die Anhörung verschiedener Perspektiven und die Neutralität des Prozesses zu garantieren sind Vertreter*innen aus Wirtschaft, Sozial- und Umweltverbänden, Zivilgesellschaft, Religionsgemeinschaften sowie anderen Interessensverbänden im Beirat. „So kann der Bürgerrat Klima der Politik eine Grundlage für entschlossene Richtungsentscheidungen geben und dabei gleichzeitig dem fortschreitenden Auseinanderdriften der Gesellschaft entgegenwirken“, erläutert Percy Vogel.

Kann ein Bürgerrat wirklich etwas verändern?

Ende Juni wird über die Ergebnisse abgestimmt, im Herbst sollen sie allen Parteien des deutschen Bundestages überreicht werden. Die entscheidende Frage ist natürlich, wie es dann weitergeht, denn der Bundestag muss die Empfehlungen des zivilgesellschaftlich organisierten Bürgerrats natürlich nicht umsetzen.

Die französische Regierung veröffentlichte nach mehreren Verzögerungen und Unstimmigkeiten schließlich Anfang des Jahres einen Gesetzentwurf zum Klimaschutz – doch gerade mal 40 Prozent der Vorschläge der Bürger*innen sind darin enthalten. Umweltgruppen haben daher kritisiert, dass das Gesetz in seiner aktuellen Form wenig dazu beitrage, die Klimaziele zu erreichen. Stattdessen seien die Vorschläge der Bürger*innen stark verwässert worden. Und die irische Regierung hat die Vorschläge ihres Bürgerrats weitestgehend ignoriert.

Diese und weitere Beispiele verdeutlichen, dass die Umsetzung der Empfehlungen der Bürger*innen ungewiss ist. Prof. Hans-J. Lietzmann vom Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung an der Bergischen Universität Wuppertal sieht das im Interview mit Riffreporter jedoch nicht nur negativ: „Wenn eine solche Assembly etwas beschließt, dann steht das als politische Meinung mit einem hohen Gewicht im Raum. Das ist meiner Erfahrung nach mindestens so viel wert wie ein institutioneller Beschluss. Kein Politiker, der noch wiedergewählt werden will, kann das völlig negieren.“

Die Gründe, warum Regierungen Bürgerräte einsetzen, mögen nicht nur mit der eigentlichen Fragestellung zu tun haben, mit der die Bürger*innen betraut werden. Oftmals geht es auch darum, ihre Glaubwürdigkeit und Legitimation als demokratisch gewählte Interessenvertreter zu erhalten oder, worauf auch Percy Vogel verweist, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken. Aber sie zeigen durchaus Wirkung. Die Organisator*innen des Bürgerrats versprechen sich ähnlich ambitionierte Empfehlungen wie die ihrer britischen und französischen Vorgänger, die deutlich zeigen, dass die Bevölkerung bereit ist zu effektivem Klimaschutz – und das lässt sich nicht mehr so leicht ignorieren.

Aber natürlich muss das erste Ziel sein, dass die Politik die Empfehlungen ihrer Bürger*innen nicht nur anhört und diskutiert, sondern diese auch in politischen Handlungen umsetzt und endlich eine konsequente und effektive Klimapolitik verfolgt – denn die Zeit drängt.

Mit RESET.org bleiben wir auf jeden Fall weiter dran und berichten als Teil des Unterstützungskreises über die Ergebnisse, damit die Ergebnisse bei den Verhandlungen des Koalitionsvertrages und in der Arbeit der neu gewählten Regierung berücksichtigt werden.

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