KInsecta: Volkszählung für Insekten

Können hiermit demnächst Insekten erkannt und gezählt werden?

Wie viele Insekten fliegen um uns herum? Welche Arten sind in unseren Gärten, Wiesen und Städten unterwegs? Nicht leicht zu beantworten. Das Projekt KInsecta soll es Forschenden und interessierten Laien künftig ermöglichen, ganz einfach Daten über die heimische Insektenwelt zu sammeln und auszuwerten.

Autor*in Philip Artelt, 14.09.21

Übersetzung Mark Newton:

Wie viele Insekten fliegen um uns herum? Welche Arten sind in unseren Gärten, Wiesen und Städten unterwegs? Nicht leicht zu beantworten. Das Projekt KInsecta soll es Forschenden und interessierten Laien künftig ermöglichen, ganz einfach Daten über die heimische Insektenwelt zu sammeln und auszuwerten.

Insektenforschung ist eine traurige Angelegenheit. Schon das Wort Malaise-Falle spricht für sich: In diesem Fallentyp, aufgestellt in Urwäldern, Gärten, auf Wiesen und Feldern, lassen unzählige Insekten ihr Leben für die Wissenschaft, konserviert in Alkohol. Dabei ist die Malaise-Falle nicht nach dem Wort Malaise (Unwohlsein, Unpässlichkeit) benannt, sondern nach Herrn René Malaise, der sie vor bald einem Jahrhundert ersann.

Bei KInsecta ist das anders. Keine Malaise, keine Todesfalle erwartet die Insekten hier – dafür Künstliche Intelligenz, LEDs, 3D-Druck. Das von der Journalistin Nicola Wettmarshausen ins Leben gerufene Projekt setzt auf Hightech, um künftig Insekten zu zählen und zu bestimmen, und das nicht nur mit Wissenschaftlerinnen, sondern auch mit Hilfe engagierter Mitbürgerinnen. Das Projekt KInsecta des Umweltbildungszentrums Listhof in Reutlingen und der Beuth-Hochschule für Technik in Berlin wird jetzt sogar mit einem Millionenbetrag vom Bundesumweltministerium gefördert.

„Ich hatte die Idee, Insekten digital zu zählen und zu bestimmen, aber keine Idee, wie man das technisch umsetzen kann“, sagt Wettmarshausen gegenüber RESET. Zuvor schon hatte sie Initiative gegründet, die Technologie, Umwelt und Citizen Science zusammenbringen will. Und so fragte sie in einem Hackerspace in Stuttgart und bei anderen Initiativen nach Hilfe – überall dort, wo engagierte Freiwillige an neuen Technologien basteln. Die Maker brachten eine Idee für eine Technologie mit, die Insekten am Flügelschlag erkennen soll.

Nur wenige Menschen sprechen über Mücken mit einer solchen Begeisterung wie Nicola Wettmarshausen. Sie erzählt von einer Studie, in der Wissenschaftler*innen festgestellt haben, dass verschiedene Mückenarten ihre Flügel mit unterschiedlicher Geschwindigkeit schwingen. Und wenn sie das an der richtigen Stelle tun, da, wo die Sensoren von KInsecta hinschauen, kann eine KI erkennen, um welches Insekt es sich handelt. Theoretisch zumindest, denn ganz so weit ist das Projekt noch nicht.

Bisher können die Forschenden der Beuth Hochschule einen schwarzen Rahmen vorzeigen, in dessen Seiten Infrarot-LEDs leuchten. Auf der anderen Seite sind Photodioden angebracht, die das Infrarotlicht wahrnehmen. Fliegt ein Insekt durch den Rahmen, werfen die Flügel einen Schatten im Rhythmus des Flügelschlags – das erkennen die Photodioden. Diese Daten werden von einer Künstlichen Intelligenz (KI) ausgewertet und mit weiteren Informationen verknüpft, beispielsweise mit Bildern aus einem Kamera-Sensor.

Diese KI wird an der Beuth Hochschule für Technik in Berlin entwickelt. Es seien sogar eigene Projektstellen geschaffen worden, erzählt Wettmarshausen. Eine Künstliche Intelligenz muss zunächst lernen, wie sie die Insekten unterscheiden kann. Das geht wie beim Menschen durch Übung und Beobachtung. Um die KI zu trainieren, haben die Projektbeteiligten einen größeren Versuchsaufbau aus Holz gebastelt. Durch einen Tunnel sollen die Insekten ins Innere der Holzbox gelangen. Dort werden sie von Kameras fotografiert, die KI bekommt Daten etwa über Farbe, Muster, Größe und Form der Tiere. Am Ende geht es durch den Rahmen mit den Infrarot-Sensoren wieder in die Freiheit.

Selbst im Endstadium wird das Gerät nicht alle Insekten einwandfrei erkennen können, sondern die KI gibt Wahrscheinlichkeiten an, mit denen es sich um eine bestimmte Art handelt. „Wir können nicht alle auseinanderhalten“, sagt Nicola Wettmarshausen, aber bei mehreren zehntausend Insektenarten wäre es schön, wenn sie zumindest Familien oder Überkategorien unterscheiden könnten.

Genauere Informationen könnten Wissenschaftler*innen durch Statistik und Metadaten erlangen. So sollen künftig Jahreszeiten, Wetterdaten und standortspezifische Besonderheiten in die Auswertung mit einfließen. „Wenn man weiß, dass die Mauerbiene im März, April oder Mai herumfliegt, kann man schon mal sagen, dass es nicht eine andere Biene ist, die erst im August kommt“, beschreibt die Projektinitiatiorin das.

Neben der Entwicklung der KI wollen sie bei KInsecta vor allem die Gemeinschaft der Freiwilligen weiterentwickeln, die sich an dem Projekt beteiligen, und neue Leute gewinnen. Aber auch die, die bereits dabei sind, gilt es zu koordinieren. Wenn Leute aus der Maker-Szene sich einbringen, ist das nicht so leicht planbar – immerhin erledigen sie die Arbeit für KInsecta in ihrer Freizeit: „Mal haben sie ganz viel Zeit und können sich reinhängen, und mal haben sie ein paar Monate gar keine Zeit mehr“, sagt Wettmarshausen, „das ist die Schwierigkeit: Wenn man ein Forschungsprojekt macht, hat man auch gewisse Verpflichtungen.“

Am Ende sollen sich auch Menschen für KInsecta interessieren, die sonst wenig mit Bastler*innen zu tun haben: Bäuer*innen, Hobbygärtner*innen, Menschen in der Stadt; sie alle bieten interessante Standorte für die Geräte, die sowohl ihnen selbst als auch Biolog*innen, Ökolog*innen und Klimaforscher*innen Daten liefern sollen. Doch damit sich auch forschungswillige Bürger*innen für das Projekt begeistern, muss die Technik noch billiger werden. Mehr als 200 Euro, schätzt Wettmarshausen würden Freiwillige, Nerds und Umweltschützer*innen privat nicht für so ein Gerät ausgeben wollen.

In Workshops wollen die Projektverantwortlichen die Menschen für KInsecta begeistern und Hilfestellung beim Selbstbau der Geräte geben. Die gewonnenen Daten können die engagierten Bastler*innen daheim auswerten und so einen Überblick bekommen, was in ihrem Garten summt, schwirrt, frisst – und gefressen wird. Forschende könnten die Daten zentralisiert abrufen und so weitere Informationen über den Rückgang der Insekten bekommen, von dem in den vergangenen Jahren die Rede war.

Sind nun alle Biologen begeistert von den neuen Möglichkeiten, crowdsourced Insekten zu zählen? „Es gibt Biologen, die haben Angst, dass die KI sie im Segment der Kartierung und des Monitorings arbeitslos machen könnte“, sagt Wettmarshausen, „es gibt aber auch Biologen, die sagen, wir haben sowieso zu wenig Manpower, zu wenig Geld und zu wenig Experten.“ Nichts anderes soll doch die Künstliche Intelligenz von KInsecta künftig sein: Eine Expertin auf dem Gebiet der Insektenforschung.

Der Artikel ist Teil des Dosssiers „Civic Tech – Wege aus der Klimakrise mit digitalem bürgerschaftlichen Engagement“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier Civic Tech

Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers über zwei Jahre zum Thema „Chancen und Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung“ erstellen. Mehr Informationen hier.

MARKIERT MIT
© Gregor Fischer
Civic Tech – Wie Bürger*innen mit digitalen Technologien Zukunft gestalten. Interview mit Geraldine de Bastion

Die Digitalisierung ist eine Entwicklung, die wir aktiv gestalten können und müssen, das ist für Geraldine de Bastion klar. Und auch, dass wir die Digitalisierung für mehr Klimaschutz nutzen sollten. Wir sprachen mit ihr über Civic Tech im Umwelt- und Klimaschutz und die Herausforderungen des digitalen Engagements. Bei Geraldine de Bastion dreht sich alles um

Was ist Civic Tech?

In digitalen Technologien steckt die Chance, dass sich mehr Menschen an Forschung und Politik beteiligen, Umweltdaten erheben und Klimaschutzmaßnahmen einfordern. Genau darum geht es bei Civic Tech.

Eine Open-Source-Plattform unterstützt nachhaltige Landwirt*innen

Auch in der Landwirtschaft dominieren große Konzerne das Angebot digitaler Services. Die kostenlose Open-Source-Plattform LiteFarm setzt dagegen auf Kooperation in der Entwicklung - und hat eine nachhaltige Landwirtschaft zum Ziel.

Nachhaltige Software: Wie freie Lizenzen helfen, unsere Ressourcen zu erhalten

Software ist eine systemrelevante Ressource unserer Gesellschaft geworden. Freie Lizenzen garantieren ihre langfristige Verfügbarkeit. Darüber hinaus kann der Einsatz freier Software auch direkt und indirekt natürliche Ressourcen schonen.

Das Berkeley-Protokoll setzt internationale Standards für digitale Open-Source-Untersuchungen

Untersuchungen auf Basis von Social-Media-Beiträgen und anderen frei zugänglichen Daten können eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltskandalen spielen. Das Berkeley-Protokoll will deren Zuverlässigkeit erhöhen.

Jenga Green Library will Kenias Gebäude mit nachhaltigen Lösungen umgestalten

Ein mangelndes Bewusstsein, zu hohe Preise und schwer zugängliche Informationen behindern nachhaltiges Bauen in Kenia. Die Jenga Green Library könnte hier Abhilfe schaffen.

Die vertrauensbildende Kraft von Soziallizenzen für Daten

Soziale Lizenzen können als Weg dienen, um die Vertrauenslücke zu schließen, die beim offenen Austausch von Daten besteht – und so mehr Datensharing anregen.

Ghana setzt auf Citizen Science gegen Plastikmüll

Eine ghanaische Initiative setzt auf von der Öffentlichkeit gewonnene Daten, um die Plastikverschmutzung der Meere zu monitoren und das Problem anzugehen.