Wirklich nachhaltig einkaufen geht nur, wenn zuverlässige Informationen über die Umweltauswirkungen von Produkten für Verbraucher*innen leicht verfügbar sind. Doch aktuell ist es nicht immer einfach, die genauen Auswirkungen und die Herkunft verschiedener Zutaten und Artikel zu entschlüsseln. Und selbst für die meisten Lebensmittelhersteller*innen ist nicht immer ganz klar, wie nachhaltig ihre Produkte sind – oder eben nicht.
Forschende der britischen Universität Oxford haben einen neuen Algorithmus entwickelt, der hier Abhilfe schaffen soll. In ihrer in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlichten Arbeit versuchen sie, alle Informationen zu verschiedenen Produkten in einer einfachen, leicht verständlichen Punktzahl zusammenzufassen, die auf die Verpackung gedruckt werden kann. Die so leicht zugänglichen Informationen sollen dann den Verbraucher*innen dabei helfen, eine nachhaltigere Wahl zu treffen, insbesondere zwischen Produkten ähnlicher Preisklasse.
Während sich bisherige Bewertungssysteme vor allem auf die Umweltauswirkungen einzelner Inhaltsstoffe wie Rindfleisch, Weizen oder Obst konzentrierten, wird bei dem neuen Ansatz berücksichtigt, dass viele Produkte aus einer Kombination vieler verschiedener Inhaltsstoffe bestehen, was ihre Umweltbilanz verkompliziert. Der neue Algorithmus ist in der Lage, auf die vollständige Liste der Inhaltsstoffe von Produkten zuzugreifen und sie dann mit verfügbaren Umweltdatenbanken zu vergleichen. Anschließend werden die Ergebnisse für jede Art von Lebensmitteln mit einer Umweltbewertung versehen, die auf den vier Hauptkriterien Treibhausgasemissionen, Landnutzung, Wasserbelastung und Eutrophierungspotenzial (die Auswirkungen der Überdüngung auf die Land- und Wasserumwelt) basiert.
Überraschungen bei den Bewertungen
Die Bewertungen der 57.000 Produkten aus britischen Supermärkten sind größtenteils vorhersehbar, aber auch überraschend. Alle Produkte erhalten eine numerische „Öko-Bewertung“ zwischen 0 und 40, wobei 0 die geringste und 40 die höchste Umweltbelastung darstellt. Natürlich liegen Fleisch- und Milchprodukte weit vorne, wobei insbesondere Rind- und Lammfleisch die höchste Bewertung von 34,72 erhalten. Auch Nüsse, Tee, Kaffee und Schokolade werden in ihren Kategorien relativ hoch bewertet, obwohl sie alle nur einen Bruchteil der Gesamtauswirkungen von Fleisch ausmachen. Was überraschen mag ist, dass kohlensäurehaltige Getränke und Cola die niedrigste Bewertung von 0,23 erhalten.
Die Forschenden weisen jedoch darauf hin, dass ihr Ansatz nicht alle Faktoren berücksichtigt. So wird zum Beispiel das Herkunftsland nicht berücksichtigt, ein Faktor, der einen großen Einfluss auf den CO2-Fußabdruck bestimmter Produkte wie Fisch, Gemüse und Getränke haben kann. Auch die Art der Herstellung wird nicht berücksichtigt. Daher rangieren Artikel wie Fertiggerichte relativ weit unten, auch wenn aus umstrittenen intensiven landwirtschaftlichen Methoden stammen. Und viele große Lebensmittelhersteller wie Nestlé und Coca Cola haben eine lange Geschichte von Umwelt- und Menschenrechtsskandalen hinter sich, die im Algorithmus ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Auch innerhalb bestimmter Produkte gibt es große Diskrepanzen: Die am wenigsten umweltschädliche Wurst hatte nur ein Drittel der Punktzahl der am meisten umweltschädlichen.
Hier zeigt sich die Herausforderung eines solchen Bewertungssystems. Um zugänglich zu sein und praktische Ergebnisse zu liefern, werden die Informationen stark vereinfacht und verschiedene Faktoren bleiben unbeachtet. Das Team ist sich darüber im Klaren, dass sein Ökoscore am nützlichsten ist, wenn er mit anderen Bewertungssystemen verglichen wird, zum Beispiel mit dem weit verbreiteten „Nutri-Score“, der den Nährwert von Lebensmitteln bewertet. Auf diese Weise wird die Wahl zwischen „guten“ und „schlechten“ Lebensmitteln – sowohl in Bezug auf die Umwelt als auch auf den Nährwert – ein wenig komplexer.
Auch wenn sie kein völlig klares Bild der Realität vermitteln, sind solche Bewertungen dennoch ein Schritt in die richtige Richtung hin zu aufgeklärten Verbraucher*innen. Doch sie setzen nicht nur hier an. Auch die Herstellenden selbst tappen oft im Dunkeln, was die Umweltauswirkungen ihrer eigenen Produkte angeht. Angesichts der Tatsache, dass sich einige Hersteller verpflichtet haben, ihre Produkte bis 2030 umweltneutral zu produzieren, können solche Informationen von unschätzbarem Wert sein.
Eine Änderung des Einkaufsverhaltens?
Es ist auch möglich, dass solche Bewertungen einen neuen Weg des Wettbewerbs zwischen Lebensmittelherstellerinnen eröffnen. Wenn den Verbrauchenden die Umweltauswirkungen von Produkten viel deutlicher vor Augen geführt werden, könnte dies die Herstellenden dazu zwingen, ihre Nachhaltigkeit zu verbessern, um im Vergleich zur Konkurrenz attraktiver zu werden. Obwohl es unwahrscheinlich ist, dass eine solche objektive Öko-Kennzeichnung in naher Zukunft – zumindest im Vereinigten Königreich – obligatorisch wird, könnte die freiwillige Einführung eines unabhängigen Bewertungssystems bestimmten Marken Auftrieb geben. Und wenn derartige Praktiken bei einer umweltbewussteren Verbrauchergruppe nachweislich die Rentabilität steigern, könnte sich die allgemeine Nachhaltigkeit des gesamten Lebensmittelnetzes verbessern.
Natürlich stehen für viele Verbraucher*innen die Kosten im Vordergrund, vor allem angesichts der aktuell teilweise massiv steigenden Lebenshaltungskosten, und es ist fraglich, inwieweit solche Informationen das Kaufverhalten wirklich beeinflussen werden. Glaubt man jedoch den Verbraucher*innen selbst, so ist der Wunsch nach nachhaltigeren Optionen vorhanden. Laut einer aktuellen Studie von First Insight sind zwei Drittel der amerikanischen Verbrauchenden bereit, bis zu 10 Prozent mehr für nachhaltige Produkte zu bezahlen. Bei der Generation Z stieg dieser Anteil auf 90 Prozent. Umgekehrt gaben zwei Drittel der Einzelhändler*innen an, dass die Verbraucher*innen nicht bereit seien, mehr für nachhaltige Produkte zu bezahlen, was ihr Marketingverhalten beeinflusse.
Tatsächlich sind diese Art von Umfragen weitgehend theoretisch, da keine zuverlässigen Informationen über die Nachhaltigkeit von Produkten allgemein verfügbar waren. Aber das könnte sich ja mit Bewertungssystemen ändern…