Allein im Jahr 2019 waren Autos in Deutschland für rund 164 Millionen CO2-Emissionen verantwortlich. Damit ist die Mobilität der einzige Sektor, der seine Emissionen in den letzten Jahrzehnten nicht reduzieren konnte. Und das, obwohl in vielen Städten das eigene Auto zu einem Luxus geworden, der sich leicht durch öffentliche Verkehrsmittel ersetzen lässt. In ländlichen Gebieten dagegen ist ein Leben ohne Auto oft eine Notwendigkeit. Der Weg zur Arbeit, zum Arzt oder einfach nur zum Einkaufen ist nicht in 10 Minuten zu Fuß oder mit dem Rad zu bewältigen und viele abgelegene Gegenden sind gar nicht oder unzureichend an den ÖPNV angeschlossen. Mit Shuttle-Diensten auf Abruf wird nun vielerorts erprobt, die Lücke zwischen gemeinsam genutzten öffentlichen Verkehrsmitteln und individuellen Fahrten mit dem Auto zu schließen.
Das Problem der „letzten Meile“
Während die Bevölkerung in den Städten weltweit zunimmt, leben immer noch 43 Prozent der Weltbevölkerung in ländlichen Gebieten, in Europa sind es 27 Prozent. Dieser nicht unerhebliche Teil der Bevölkerung ist nach wie vor in hohem Maße auf das eigene Auto angewiesen. 90 Prozent der Haushalte in den ländlichen Gebieten Deutschlands besitzt mindestens ein Auto – ein großer Unterschied zu den Städten, in denen fast die Hälfte der Haushalte ohne ein eigenes Auto auskommt. Auch wenn viele Busse und Bahnen bereits kreuz und quer durchs Land kurven, scheitert die Mobilitätswende auf dem Land oft an der sogenannten „letzten Meile“. Es macht keinen Sinn, mit dem Zug zu fahren, danach in den Bus zu steigen, um dann an einer abgelegenen Haltestelle ohne Anschlussverbindung nach Hause festzusitzen. Es ist der letzte Schritt der Reise, der für viele das Auto immer noch unverzichtbar macht.
Leere Fahrten – Die Herausforderung der Auslastung
Auch wenn Deutschland ein dicht besiedeltes Land ist, gibt es einige Gebiete, in denen die Bevölkerungsdichte und der Bedarf einfach nicht ausreichen, um eine regelmäßige Bahn- oder Busverbindung wirtschaftlich oder ökologisch tragfähig zu gestalten. Eine ganze Buslinie, die die täglichen Fahrten von 4 Fahrgästen abdeckt, ist immer noch nicht nachhaltig. Hier müssen andere Lösungen gefunden werden.
In der EU ist das Auto das vorherrschende Verkehrsmittel, wobei im Durchschnitt weniger als 2 Personen pro Auto unterwegs sind. Der Hauptanlass ins Auto zu steigen ist der tägliche Weg zur Arbeit, was dazu führt, dass viele leere Autos jeden Tag die gleichen Strecken fahren. Aber es gibt Hoffnung: Autos mit nur einem Fahrenden schneiden zwar deutlich schlechter ab als öffentliche Verkehrsmittel, aber mit jedem Mitfahrenden steigt die CO2-Effizienz. Die Anzahl der Fahrgäste ist damit ein wichtiger Faktor für eine effiziente Mobilität und macht etwa 70-90 Prozent der Emissionen aus, während nur die restlichen 10-30 Prozent durch Technologie, Bedingungen oder Entfernungen erklärt werden können. Um dies zu illustrieren: Die CO2-Effizienz eines Autos mit vier Fahrgästen ist ähnlich hoch wie die eines E-Scooters in Privatbesitz. Wenn wir ein Auto mit anderen teilen, verbessern wir also die Umweltauswirkungen unserer Reise drastisch – und entlasten zusätzlich die Verkehrsinfrastruktur.
Alle an Bord? Inklusion im ÖPNV
Was ist eigentlich mit allen, denen es aus irgendwelchen Gründen nicht möglich ist, ein Auto zu fahren? Können sie den öffentlichen Nahverkehr nutzen? Nun, nicht immer. Immer wieder funktionieren Aufzüge nicht, Busse haben keine Rampe für einen Rollstuhl oder die Fahrpläne sind zu kompliziert oder nicht auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen abgestimmt. Dies kann dazu führen, dass ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen auf Familienmitglieder oder Betreuer*innen angewiesen sind, die sie herumfahren. Neue, nachhaltigere Lösungen sollten auch zur Autonomie und sozialen Integration der Menschen beitragen.
Die Räder drehen sich – intelligente Lösungen durch Digitalisierung
Erfreulicherweise werden an verschiedenen Orten neue Initiativen aktiv, die Lösungen an der Schnittstelle von individueller Mobilität und öffentlichem Verkehr anbieten. Ermöglicht durch die Digitalisierung und oft angetrieben durch bürgerschaftliches Engagement, sind On-Demand-Shuttle-Dienste besonders in ländlichen Gebieten Deutschlands effektiv, wo keine Bahnen und Busse zur Verfügung stehen.
Eines der größten On-Demand-Projekte in Europa ist das Projekt „On-Demand Mobility für die Region Frankfurt/Rhein-Main„. Das Ziel ist es, die CO2-Emissionen im öffentlichen Raum zu reduzieren, indem Lücken im öffentlichen Angebot mit emissionsfreien Fahrzeugen, die rein batterieelektrisch oder mit Wasserstoffantrieb fahren, geschlossen werden. Der linien-und fahrplanunabhängige Verkehr wird dabei über eine digitale Plattform organisiert. Es ist das erste Mal, dass ein Projekt dieser Art in Deutschland über mehrere Regionen hinweg und mit einheitlichen Standards umgesetzt wird und damit ein Leuchtturmprojekt für viele weitere Initiativen.
Wie das On-Demand-Shuttle funktioniert? Nehmen wir an, du möchtest von zu Hause in die Stadt fahren, um einige Besorgungen zu machen. Entweder kannst du dir jetzt telefonisch oder über die RMV-On-Demand-App ein Shuttle bestellen. Über die App gibst du dein Start- und Endziel ein, wählst, ob du sofort oder zu einem späteren Zeitpunkt fahren möchtest, buchst die Route und schon kann es losgehen! Die Bezahlung erfolgt direkt über die App, und die Preise richten sich nach dem regulären Tarif für öffentliche Verkehrsmittel mit einem kleinen Aufschlag für den Komfort. Um Emissionen zu sparen, übernimmt die Software dahinter das Ridepooling und fügt andere Fahrgäste zu deiner Fahrt hinzu, die eine ähnliche Strecke fahren wollen.
Die Software hinter dem On-Demand-Shuttle in der Region Frankfurt hat „CleverShuttle“ entwickelt. Das Unternehmen bietet die Planung, Einrichtung und Verwaltung von Shuttle-Service-Projekten und die Software zur Koordinierung der Fahrten an und arbeitet bereits mit mehr als 18 Verkehrsbetrieben zusammen. Die Projekte zielen darauf ab, in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden den bestehenden öffentlichen Nahverkehr durch nachhaltige, flexible und bedarfsgerechte Shuttles zu ergänzen. Die Software von CleverShuttle ermöglicht dabei die digitale Steuerung sämtlicher Prozesse, von der Zuordnung von Schichten zu Fahrten über Wartungsaufgaben und der Zustandserfassung der Fahrzeugflotte bis hin zur Algorithmus-gesteuerten Bündelung der Fahrtanfragen und der Navigation der Fahrer*innen zum jeweiligen Start- und Endpunkt der Buchung. Fahrgäste können hier ihre Fahrten buchen und alle wichtigen Auskünfte zu Preisen, Wartezeiten und Ankunft abrufen.
In Lübeck setzt die Initiative „In2Lübeck“ vor allem auf die Beteiligung der Bürger*innen, um einen möglichst nutzerzentrierten Service zu entwickeln. Die Shuttlebusse sind seit einigen Jahren im Einsatz und aus der lokalen Mobilität nicht mehr wegzudenken. Durch Workshops, Umfragen und Dialogveranstaltungen will das Projekt nun über den Shuttleservice hinausgehen und zu einer Veränderung der Verkehrslandschaft der Stadt insgesamt beitragen.
Doch wie effektiv sind diese Dienste?
Shuttle-Dienste auf Abruf können das Verkehrsaufkommen wirksam reduzieren, insbesondere im Gegensatz zu Taxidiensten, die das Verkehrsaufkommen durch leere Fahrten erhöhen, wie eine langjährige Studie aus Hamburg belegen konnte. Zusätzlich zu den öffentlichen Verkehrsmitteln können sie viele Menschen unabhängiger von ihrem Auto machen, was dazu führt, dass weniger Autos pro Haushalt benötigt werden.
Ein großer Schwerpunkt muss dabei jedoch darauf gelegt werden, die sozialen und nachhaltigen Vorteile zu einem integralen Bestandteil von Shuttle-Diensten auf Abruf zu machen. Der Einsatz von E-Autos und das Angebot von Mitfahrgelegenheiten für mehr Menschen könnten wirksame Maßnahmen sein, um zu verhindern, dass sie zu einem Taxi-Ersatz werden, und sie für neue Bevölkerungsgruppen attraktiv zu machen. Insbesondere ältere Menschen könnten von diesen Diensten profitieren; eine Herausforderung besteht jedoch darin, diese Dienste für Menschen zugänglich zu machen, die nicht über die notwendigen digitalen Fähigkeiten verfügen, um Fahrten online zu buchen.
Mobilitätswende – Smart in Richtung Klimaneutralität
Autonome Fahrzeuge, E-Mobility, intelligente Verkehrsplanung, multimodal durch die Stadt – wie sieht die Mobilität von morgen aus? Wir stellen nachhaltig-digitale Lösungen für eine klimaneutrale Fortbewegung und Logistik vor und diskutieren neue Herausforderungen der „digitalen“ Mobilität: Mobilitätswende – Smart in Richtung Klimaneutralität
Ein wesentlicher Schlüssel dazu, dass Abrufdienste zu einer attraktiven Alternative zum Privatwagen werden, scheint eine gut umgesetzte Integration in den bestehenden öffentlichen Verkehr zu sein. Dabei ist die Finanzierung flexibler On-Demand-Dienste ist eine Herausforderung, mit der viele kleinere Betreiber*innen noch zu kämpfen haben, insbesondere wenn es um digital verwaltete Dienste geht. Außerdem gilt es, die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die experimentelle und projektbasierte Phase zu verlassen und diese Initiativen skalierbar zu machen und ihre Wirksamkeit zu erhöhen.
Derzeit befinden sich On-Demand-Shuttle-Services noch in einer rechtlichen Grauzone, wenn sie Teil des öffentlichen Verkehrssystems werden und dann auf Antrag und Genehmigung gemäß der Experimentierklausel des Personenbeförderungsgesetzes angewiesen sind. Die Herausforderung besteht darin, eine Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes auf den Weg zu bringen, um für innovative digitale On-Demand-Dienste mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Gleichzeitig müssen auf der finanziellen Seite neue Finanzierungsrahmen gefunden werden, um Bundes- und Regionalisierungsmittel für lokale Projekte bereitzustellen. Ein Vorschlag ist zum Beispiel ein „Ein-Prozent-Fonds„, mit dem Regionalisierungsmittel für diese Angebote von den zuständigen Behörden und verantwortlichen Bestellern ausgeschrieben werden können.
Es ist noch ein weiter Weg, bis Shuttle-Dienste zu einem gut integrierten Teil des ländlichen Verkehrs werden. Aber neue, wegweisende Projekte zeigen, wie die digitale Vernetzung zur lokalen Verbesserung einer globalen Nachhaltigkeitsherausforderung werden kann. Werden On-Demand-Shuttle und Ridepooling-Services gut ausgeführt, können sie durchaus eine sehr effektive Lösung sein – und idealerweise zu einem Katalysator werden, dass mehr Menschen ihre Autoabhängigkeit überdenken.
Dieser Artikel gehört zum Dossier „Mobilitätswende – Smart in Richtung Klimaneutralität“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.