„Wir brauchen eine Neujustierung der Nachhaltigkeitspolitik im digitalen Zeitalter“

Wie können wir die Digitalisierung nachhaltig gestalten? Damit hat sich der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in diesem Jahr in einem Bericht ausführlich beschäftigt. Wir sprachen mit Dr. Benno Pilardeaux, Pressesprecher und Mitverfasser des Berichts.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 23.12.19

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat im April dieses Jahres den Bericht „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ veröffentlicht. Darin gehen die Expert*innen der Frage nach, wie die Digitalisierung das Zusammenleben der Menschheit auf diesem Planeten verändern wird, aber auch, wie sie genutzt werden kann, um die großen Menschheitsherausforderungen – wie die große Transformation zur Nachhaltigkeit – zu lösen.

Mit dem umfassenden Bericht (dessen Titel übrigens an den 1987 erschienenen Brundtland Report „Unsere gemeinsame Zukunft“ angelehnt ist) macht der WBGU deutlich, dass Nachhaltigkeitsstrategien und -konzepte im Zeitalter der Digitalisierung grundlegend weiterentwickelt werden müssen. Wie das aussieht, darüber sprachen wir mit Dr. Benno Pilardeaux, Pressesprecher und Mitverfasser des Berichts.

Wie ist der Befund der WGBU-Studie: Wo steht unsere digitale Gesellschaft aktuell in puncto Nachhaltigkeit?

Für den Klimaschutz ist eine weitgehende Dekarbonisierung der globalen Energiesysteme bis Mitte des 21. Jahrhunderts zentral. Digitale Technologien werden eine Schlüsselrolle für die Ermöglichung einer globalen Energiewende spielen. Ihr Einsatz erleichtert die Energiewende hin zu den erneuerbaren Energien und kann zur verlässlichen Energieversorgung in netzfernen Regionen beitragen, vor allem in Entwicklungsländern. Die Digitalisierung kann die Energiewende aber auch gefährden, wenn sie zu einer stark steigenden Energienachfrage führt. Dies bedeutet: Ohne politische Gestaltung und Regulierung birgt der globale digitale Wandel das Risiko, den Ressourcen- und Energieverbrauch sowie die Schädigung von Umwelt und Klima weiter zu verstärken.

In Ihrer Studie sagen Sie ganz klar, dass die Digitalisierung nicht über uns hereinbricht wie eine Naturgewalt und wir uns „nur“ anpassen können, sondern dass wir die Digitalisierung aktiv gestalten können und für eine nachhaltige Transformation auch steuern müssen. Was sind die nächsten wichtigen Schritte auf dem Weg zu einer nachhaltigen Digitalisierung? Wo ist aktuell der größte Handlungsbedarf? Und worin sehen Sie Ihre Rolle?

Beginnen wir mit der letzten Frage zuerst: Als Wissenschaftler leisten wir Politik- und Gesellschaftsberatung: Wir tragen Fakten zusammen, stellen Warnschilder auf und geben wohl begründete Empfehlungen, was am besten zu tun wäre. Wir stellen zum Beispiel fest, dass die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft bislang nur randständig an Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. Zunächst gilt es daher, digitale Technologien zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele zu nutzen. Gleichzeitig aber bedarf es der Setzung von Leitplanken für Digitalisierung, um zu vermeiden, dass die bisherige Beschleunigung des Ressourcenverbrauchs und der Treibhausgasemissionen nicht weiter fortgesetzt wird. Dafür sollten geeignete Rahmenbedingungen und Anreize gesetzt werden.

In welchen Bereichen gilt es, Brücken zu schlagen?

Vor allem zwischen der Digitalisierungs- und der Nachhaltigkeitscommunity gilt es Brücken zu schlagen, bisher arbeiten beide weitgehend getrennt voneinander.

Sie sagen, dass wir einerseits die Digitalisierung an ökologischen und sozialen Kriterien ausrichten müssen. Andererseits kann die Digitalisierung selbst auch als Instrument zur Umsetzung der SDGs und zur Dekarbonisierung unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems eingesetzt werden, indem sie neue Lösungen bietet. Wie können wir diese vorantreiben und unterstützen?

Wichtig ist, genau hinzuschauen, was sich hinter der Smart-Rhetorik (smart city, smart mobilty, smart agriculture usw.) verbirgt und was davon wirklich für eine nachhaltige Gesellschaft nützlich ist. Dazu müssen unsere Gesellschaften, politisch Verantwortliche wie auch der einzelne Bürger Technologiesouveränität entwickeln, um zu sehen, was eine neue digitale Anwendung zur Verbesserung der Lebensbedingungen und zum Schutz der Umwelt beitragen kann und was nicht. Bildung im breiteren Sinne ist hier ein Schlüsselbegriff. Aber es geht nicht nur um Entscheidungen des Einzelnen, es geht auch Rahmensetzung und Regulierung. Beispielsweise schlägt der WBGU der Bundesregierung vor, das Thema „digitale Nachhaltigkeitsgesellschaft“ zum Leitmotiv der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 zu machen. International ist es aus Sicht des WBGU an der Zeit, 30 Jahre nach dem Erdgipfel von Rio de Janeiro und 50 Jahre nach der ersten UN-Umweltkonferenz in Stockholm die Frage nach der Neujustierung der Nachhaltigkeitspolitik im Digitalen Zeitalter zu stellen. Dafür schlagen wir die Einberufung eines UN-Gipfels im Jahr 2022 zu diesem Thema vor.

Was war eigentlich die Initialzündung für den Bericht „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“? Und war das eine einmalige Sache oder bringt der WGBU in den nächsten Jahren weitere Berichte heraus?

Ein großes Gutachten zum Thema Digitalisierung zu verfassen, lag bereits seit Jahren in der Luft. Mit der Berufung einer Digitalisierungsexpertin 2016 in den Beirat war es dann soweit. Typischerweise widmet sich der WBGU nur temporär einem Schwerpunktthema – etwa über zwei bis vier Jahre. Eine Ausnahme bildet die Klimapolitik, zu der wir seit Anbeginn konstant Papiere veröffentlicht haben.

Vielen Dank für das Interview.

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