Das Berliner Startup SunCrafter arbeitet an Off-Grid-Ladestationen aus gebrauchten Solarmodulen, die das Team mit seiner eigenen Technologie upcycelt. Diese Ladestationen können im urbanen Raum als Ladestationen für Smartphones, Scooter oder für alle Arten von mobiler Nutzung von Geräten auf Festivals und Events verwendet werden. Auf der anderen Seite entwickelt SunCrafter aber auch ein Solarsystem für die Elektrifizierung ländlicher Regionen im globalen Süden. Diesses ist komplett wartungs- und installationsfrei und könnte somit eine Lösung für viele Problematiken in abgelegenen Regionen sein.
Im Interview mit RESET spricht Mitgründerin Lisa Wendzich darüber, wie SunCrafter erneuerbare Energie, Kreislaufwirtschaft und globale Solidarität vereinen will.
Lisa, wie entstand die Idee zu euren Off-Grid-Solarmodulen?
Als eine Energietechnologie ist Solar unglaublich einfach. Und trotzdem ist es relativ komplex. Nicht einmal ich kann mein eigenes Solarsystem auf dem Campingplatz, das konventionell ist, immer zuverlässig am Laufen halten und muss immer wieder herumprobieren. Deshalb haben wir eigentlich erst einmal für uns selbst diese Lösung entworfen, weil wir viel mit ausgebauten Autos unterwegs und campen waren. Das war für uns der Moment zu sagen: „Ok, wir kürzen alle komplizierten und anfälligen Teile aus dem Solarsystem raus und lassen es so laufen, dass man nicht mehr wahnsinnige Sprünge machen kann.“ Wir betreiben also keine Waschmaschine oder Klimaanlage damit. Aber alle Standardfunktionen sind abgedeckt. Du kannst dein Handy laden, du hast Licht, du kannst eine Kühlbox, einen Ventilator betreiben. Auch Dinge in Richtung Productive Use sind damit machbar. Alle Arten von akkubetriebenen kleineren Geräten sind mit diesem Solarsystem betreibbar, z.B. Haarschneidemaschinen oder Bohrmaschinen.
Woher bekommt ihr die recycelten Solarmodule?
Wir upcyceln Industriemodule, die wir momentan über Versicherungen beziehen. Wir haben früher in der Wartung von Solaranlagen gearbeitet. Damals hat es sich gelohnt, jemanden zu einer Anlage zu schicken und zu schauen, welche Module defekt sind, zum Beispiel nach einem Sturm. Das funktioniert über Elektrolumineszenz-Verfahren und Flashing. Die Module wurden einzeln durchgetestet und die defekten aussortiert und repariert. Das lohnt sich aber heutzutage nicht mehr, da der Modulpreis so stark gefallen ist. Es rechnet sich wirtschaftlich nicht mehr, jedes Modul zu deinstallieren, zu testen und dann wieder einzubauen, da dies ein riesiger Aufwand ist. Jetzt ersetzt man diese Module eben in großem Maßstab. Das bedeutet, dass sehr viele Module im Recycling oder in der Verschrottung landen, die eigentlich total OK sind. Und das macht keinen Sinn! Das war ein bisschen der Startpunkt für uns. Es gibt so viele Menschen, die keinen Zugang zu Strom haben und wir werfen wertvolle Ressourcen, sauber und funktional, in den Müll und müssen sie dann auch noch energieintensiv recyceln. Das ist total ironisch, weil nach dem Recycling das Modul sozusagen im CO2-Minus ist, weil die Module drei oder vier Jahre brauchen, um sich zu amortisieren in Punkto CO2. Für das Recycling wird noch einmal genauso viel CO2 verwendet wie für die Herstellung. Das heißt, wenn ein Modul nur ein paar Jahre verwendet wird, zieht das die Bilanz ziemlich runter.
Und was werdet ihr mit nicht mehr funktionierenden Modulen machen? Wie sind eure Pläne?
Das Schöne ist, dass die elektrische Halbwertszeit dieser Module, die Degradation, sich noch einmal verlangsamt, da wir sie auf einer sehr niedrigen Spannung laufen lassen. Wir liegen bei einer Degradation von ungefähr 0,5. Das bedeutet eine elektrische Halbwertszeit von ungefähr 150 Jahren. Außerdem gibt es keine Teile mehr in dem System, die kaputt gehen können. Theoretisch ist das Modul in 100 Jahren immer noch nutzbar und kann immer noch Strom generieren. Natürlich nicht mehr viel. Aber wir haben auch einen ganz anderen Anwendungsfall als bei der kommerziellen Stromerzeugung, die wir hier in Deutschland haben, wo die Effizienz pro Modul eine extrem wichtige Rolle spielt. Unser Anwendungsfall ist, Menschen energieautark zu machen oder ihnen überhaupt Zugang zu Energie zu verschaffen. Ich kann mir vorstellen, dass das Modul in 80 Jahren, wenn es vielleicht noch 60 oder 70 Watt hat, auch dann noch gebraucht wird. Wir hoffen auf eine sehr lange Lebensverlängerung.
Ihr habt außerdem ein Solarsystem für die humanitäre Hilfe entwickelt.
Richtig. Unser Solar-Hub ist der Prototyp für Einsätze in der humanitären Hilfe. Das Modul ist in einem idealen Winkel zur Sonne und hat gleichzeitig eine extrem hohe Windlast. Das Modul befindet sich in einem Holzschrank. Das macht das ganze System sehr robust und kann gleichzeitig aber auch Ad hoc Energie liefern. Die ersten Aufträge nach der Entwicklung kamen jedoch zuerst vom Event-Sektor. Ein Festival ist insoweit mit einem Flüchtlingscamp vergleichbar, als dass in beiden die Leute in einer ziemlichen Ausnahmesituation sind. Sie finden meist abgelegen auf einem Feld statt und trotzdem werden Geräte benötigt, um Freunde zu finden oder Aufnahmen zu machen. Außerdem wird manchmal ziemlich grob mit den Stationen umgegangen. Das hat bisher gut funktioniert auf den Festivals und war für uns der Nachweis, dass unser Produkt für solche Einsätze funktioniert. Wir hoffen, dass wir in 2020 oder 2021 die humanitäre Hilfe einsteigen können und 2020 wollen wir auch in den Bereich der ländlichen Elektrifizierung einsteigen und sind in Verhandlung mit Pilotprojekten.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei euch?
Das Thema Nachhaltigkeit wird oft sehr elitär behandelt. Mittlerweile trägt sich das zwar ein bisschen mehr in die Mitte der Gesellschaft, aber auch nur zu einem gewissen Maße. Nachhaltigkeit ist bei uns aber etwas total Wichtiges. Wir verstehen uns auf keinen Fall als grüne elitäre Geschichte, auch wenn wir die Stichworte erneuerbare Energie, Kreislaufwirtschaft und globale Solidarität vereinen. Wir wollen etwas total Inklusives sein. Denn letztendlich geht darum, dass alle an Board sind, alle verstehen worum es geht und man nicht künstliche Grenzen zieht.
Einen Lösungsansatz zum Laden von E-Scootern habt ihr jetzt auch. Habt ihr das Ganze auch in Städten aufgestellt?
Da sind wir gerade dran für Berlin. Der Hintergrund ist, dass diese Scooter erstens ein Sicherheitsrisiko darstellen, wenn sie wahllos abgestellt oder liegen gelassen werden. Zweitens werden sie unter relativ schlechten Arbeitsbedingungen von Leuten aufgeladen. Das passiert auch ziemlich unnachhaltig. Sie werden mit Autos eingesammelt, zuhause an der Steckdose geladen und dann wieder in der Stadt verteilt – und das jeden Abend. Deshalb haben wir vorgeschlagen, Off-Grid-Ladestationen an jeder Straßenecke zu platzieren. Man kann sie verschieben, wenn es dort nicht passt, wo sie gerade sind. Man braucht keinen aufwendigen, teuren Netzanschluss, man muss nichts Infrastrukturelles ausrechnen und projektieren. Die Off-Grid-Ladestationen sind upcycelt, CO2-neutral, sie laden die Scooter, ohne Emissionen zu verursachen. Damit könnte das Ganze wirklich zu einer nachhaltigen und sicheren letzten Meile für die Mobilität in der Stadt werden. Das versuchen wir gerade der Berliner Politik nahezubringen.