Die Landwirtschaft steht vor der Herausforderung, eine wachsende Zahl an Menschen ernähren zu müssen. Dabei ist sie einerseits stark von den Folgen des Klimawandels betroffen: Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen machen Erträge auf einen Schlag zunichte und Dürren lassen die Pflanzen auf den Feldern vertrocknen. Und mit dem Verlust an Arten fehlen zunehmend Bestäuberinsekten. Andererseits trägt die Landwirtschaft selbst durch nicht-nachhaltige Anbaupraktiken zu den hohen CO2- und Methanemissionen und geschädigten Ökosystemen bei.
Dass Landwirtschaft auch über die Lebensmittelproduktion hinaus einen positiven Beitrag leisten kann, da ist sich die Agronomistin Prof. Dr. Sonoko Dorothea Bellingrath-Kimura sicher. Sie leitet am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung e. V. (ZALF) die Arbeitsgruppe Bereitstellung von Ökosystemleistungen in Agrarsystemen (ProvESS), die zu den Auswirkungen der Landwirtschaft auf Ökosysteme und Biodiversität forscht. Mithilfe digitaler Technologien und empirischen Feldversuchen entwickeln Bellingrath-Kimura und ihr Team nachhaltige Anbausysteme und erarbeiten Optimierungsmöglichkeiten.
Im Interview haben wir uns mit ihr darüber unterhalten, welche Rolle die Digitalisierung in einer nachhaltigeren Landwirtschaft spielt, warum sie noch nicht eingesetzt wird, um Klima und Umwelt zu schützen, und wie wichtig positive Zukunftsvisionen und Zusammenarbeit sind.
Sonoko, du forschst schon lange an der Schnittstelle von Landwirtschaft und Digitalisierung. Wie bist du dazu gekommen und was fasziniert dich daran?
Ich komme eigentlich aus dem Pflanzenbau und der Bodenkunde. Und dabei kam ich immer wieder an den Punkt, dass eine Balance zwischen der Produktion und der Nachhaltigkeit notwendig ist, sodass man in zehn, zwanzig, hundert Jahren auch noch produzieren und dabei die Umwelt erhalten kann. Und dabei kam ich dann auf die Nutzung von digitalen Tools, von Sensorik und Robotik bis hin zu Informationssystemen.
Mir geht es vor allem um die Optimierung in der Landwirtschaft. Da gibt es sehr viele Aspekte, nicht nur die Produktion. Es gibt verschiedene Leistungen wie Bodenfruchtbarkeit, Kohlenstoffsenke, Mikroklima, Biodiversität, Erosionsschutz. Und dies hängt alles mit den Standorteigenschaften zusammen und damit, wann etwas passiert. Das ist sehr komplex und um das zu verstehen, braucht man viele Informationen, die sich auch je nach Jahr und Betriebs- oder Bodentyp ändern können. Die Digitalisierung kann diese ganze Komplexität erfassen und die Informationsdaten zusammenzufassen, um so die verschiedenen Prozesse zu verstehen.
Wenn man sich die aktuelle Situation anguckt, dann sind die CO2-Emissionen in der Landwirtschaft seit einigen Jahren tatsächlich rückläufig – auch wenn sie zur Erreichung der Klimaziele immer noch zu hoch sind. Was sind die Hauptprobleme in der Landwirtschaft? Und was wiederum ist nötig für eine nachhaltige Transformation der Landwirtschaft?
Eigentlich kann die Landwirtschaft sehr viel Umwelt- und auch Biodiversitätsschutz leisten. Aber momentan ist es so, dass große Fläche mit gleichen Kulturen bepflanzt werden. Da ist es effizient, dass die ganze Fläche auf einmal geerntet wird und quasi eine Wüste entsteht. Das fördert die Biodiversität natürlich nicht – und auch nicht die verschiedenen ökologischen Leistungen wie zum Beispiel Mikroklima, Wasserneubildung oder Bodenfruchtbarkeit.
Besonders Grünland ist ein Biodiversitätshotspot in der Landschaft. Damit könnte die Landwirtschaft einen essenziellen Beitrag zur Biodiversität und zur Grundwasserbildung leisten. Insgesamt kann die Landwirtschaft die Bodenfruchtbarkeit erhöhen und auch die Bodenstruktur verbessern. Nur liegt der Fokus momentan sehr stark auf der Produktion, dem Ertrag und der Flächennutzung. Für die landwirtschaftliche Nutzung bekommt man Prämien – und dieser ökonomische Anreiz ist stärker, als die Umweltbelastung zu reduzieren.
Die Landwirtschaft, wie wir sie aktuell kennen, befindet sich in dem Spannungsfeld, dass sie den Klimawandel und Biodiversitätsverlust genauso mitverursacht wie darunter leidet. Über die Lösung gibt es weitgehend wissenschaftlichen Konsens, nämlich dass wir zu nachhaltigen Landwirtschaftspraktiken kommen müssen. Aber warum wird das nicht umgesetzt? Politisch gibt es vereinzelte Maßnahmen, aber wir sind jenseits von einer konsequenten Transformation. Und auch die Landwirt*innen selbst kritisieren Umweltauflagen, wie u. a. die aktuellen Proteste zeigen. Dabei geht es ja auch um den Erhalt ihrer eigenen wirtschaftlichen Grundlagen.
Ja, da hast du ein komplexes Thema angesprochen. Es gibt ganz viele Ebenen, die zusammengefügt werden müssen. Einerseits ist es das Regulatorische, was gemacht werden muss. Aber wenn man mit der Faust draufhaut, ist das natürlich nicht schön. Es muss einen Rahmen geben, in dem man sich bewegt, aber der muss dann auch gemeinsam entwickelt werden.
Dann muss man gucken, wie der Ertrag oder das Einkommen der Landwirte generiert wird, nämlich vor allem über die Produktion: Je mehr man produziert, desto besser. Dafür ist eben der Anreiz vorhanden. Und dann sind da noch die anderen Einkommensquellen, wie die Subventionen, die auf die Fläche gezahlt werden. Das heißt, es gibt keinerlei Anreiz, nachhaltiger zu werden, also Ressourcen effizienter zu nutzen oder die Biodiversität zu schützen. Aber es müssen Anreize für ökologische Leistungen geschaffen werden. Mikroklima und Kohlenstoffspeicherung müssen als Bewirtschaftungsziel angesehen werden und diese Produkte sollten auch einen ökonomischen Wert bekommen.
Das heißt, du setzt auf einen regulatorischen Rahmen, in dem Biodiversitätsschutz und nachhaltige Landwirtschaft einen Wert bekommen.
Genau. Es gibt Maßnahmen, wo man Biodiversitäts-Indikatoren nachweisen kann und diese dann honoriert werden, zum Beispiel artenreiches Grünland. Wenn also bestimmte Arten vorhanden sind und Maßnahmen durchgeführt werden, dass diese Arten auch bleiben, bekommt man dafür Geld. Das nennt sich erfolgsorientierte Zahlung. Und, wenn man diese Maßnahmen nachweisen muss, kommt wieder die Digitalisierung ins Spiel.
Was könnte hier der Beitrag der Digitalisierung sein?
Erstens, dass man die Arten erkennt und auch dokumentieren kann. Dazu könnten Artenerkennungstools oder Apps genutzt werden. Da muss es eine Rechtssicherheit geben, also einen nicht manipulierbaren Nachweis, dass die Art wirklich an dem Standort war. Damit wäre auch der ganze Prozess vereinfacht. Diese Vereinfachung sollte die Digitalisierung bringen, damit solche Maßnahmen überhaupt angenommen werden können.
Was sind denn Maßnahmen, die beim Artenschutz und dem Erhalt der Biodiversität helfen und die gleichzeitig im Einklang mit wichtigen Aspekten der Landwirtschaft stehen, also der Ernährungssicherheit und Wirtschaftlichkeit?
Eine der wesentlichen Maßnahmen ist die Kleinteiligkeit. Es müssen nicht immer große Maßnahmen sein. Es können zum Beispiel kleine Biotope oder auch die Flächen, wo im Frühjahr die Kröten wandern, geschützt werden. Solche kleinen Maßnahmen können sehr viel nutzen. Dazu muss man allerdings erst mal wissen, wo und wann was passiert. Und wenn man weiß, dass ein Ort als Biotop sehr wichtig ist, könnte man diesen kleinen Teil von produktiven Maßnahmen ausnehmen und zum Beispiel nicht düngen oder spritzen. Aber dann sollte am besten die Spritze automatisch an dieser Stelle ausgeschaltet werden, ohne dass man aus dem Traktor aussteigen und umdrehen muss. Das macht sonst zu viel Arbeit und ist nicht praktikabel.
Diese Prozesse schreien danach, mit digitalen Tools zu arbeiten und smart die Informationen mit den eigentlich sehr hoch entwickelten Maschinen in der Landwirtschaft zu verknüpfen. Und dann die Maßnahmen in einen Wert zu setzen, dass sich diese Arbeit lohnt. Dieser ganze Prozess muss da sein – was theoretisch möglich ist.
Theoretisch möglich heißt, dass die Maschinen und die digitalen Technologien bereits zur Verfügung stehen.
Genau. Es gibt theoretisch die verschiedenen Komponenten und die Vernetzung. Allerdings hakt es daran, dass diese Komponenten wirklich zusammenarbeiten, dass man die Management- und Informationssoftware mit den Lenksystemen in den Traktoren verknüpft und diese an ein Antragssystem für Biodiversität gekoppelt sind und automatisch durchgeführt werden. Die Komponenten sind also da, aber der Fluss ist noch nicht da. Wenn man auf dem Feld ist, fehlt zum Teil der Informationsdatenfluss – und es gibt oft keine Netzverbindung. An solchen banalen Sachen scheitert man dann.
Bei den digitalen Systemen, über die wir sprechen, handelt es sich ja meist um proprietäre Software. Das heißt, dass sowohl Digitalunternehmen als auch Agrarkonzerne hier den Markt dominieren und viele Daten der Landwirt*innen abgreifen. Führt das nicht zu neuen Abhängigkeiten und Ungleichheiten, wenn all das noch stärker in den täglichen Ablauf integriert wird? Und wie ließe sich das anders lösen?
Es ist noch eine Grauzone, wem die Daten gehören. Personenbezogene Daten sind der Person zugeordnet. Wem aber gehören die Daten, die eine Maschine vor Ort generiert? Dieser Punkt ist noch nicht endgültig geklärt. Aber da muss die Datenhoheit geklärt werden, ohne die Innovation zu stoppen, ohne Überregulierung. Meiner Meinung nach müssen die Daten den Betrieben gehören. Die können dann entscheiden, wo die Datenflüsse hingehen. Beim Kauf von Sensoren und Maschinen steht manchmal eine Klausel und man unterschreibt und die Daten fließen automatisch, ohne dass man explizit zu- oder dagegen gestimmt hat. Das ist auch ein Punkt, wo Landwirtinnen sehr skeptisch sind und deshalb das alles nicht so richtig nutzen.
Die Landwirtschaft ist bereits sehr digital. Laut einer Studie setzen acht von zehn landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland, die über 30 Hektar groß sind, heute schon digitale Technologien ein. Am weitesten verbreitet sind dabei Fütterungsautomaten, GPS-gesteuerte Landmaschinen, Agrar-Apps und Farm- und Herdenmanagementsysteme. Und es werden Technologien eingesetzt, mit denen Dünger und Pflanzenschutzmittel reduziert werden können, weil sie nur bedarfsweise aufgebracht werden. Mit diesen Technologien könnten eigentlich Ressourcen und im besten Fall auch CO2-Emissionen eingespart werden – doch diese Einsparungen werden nicht unbedingt realisiert. Woran liegt das?
Das hat damit zu tun, dass die Technologien primär für die Produktion entwickelt werden und nicht die Nachhaltigkeit als Ziel haben. Da kommen wir wieder auf die nötigen Rahmenbedingungen zurück.
Auf der anderen Seite sind die Kosten noch nicht so hoch, zum Beispiel die Preise für Diesel oder für Agrochemikalien. Da ist der Anreiz nicht groß, viel zu reduzieren. Und dann hat die Biodiversität aktuell keinen konkreten ökonomischen Wert, also dass man zum Beispiel zehn Tonnen Weizen und zehn Froschkolonien „verkaufen“ kann.
Und auch die Gesellschaft ist noch nicht so weit, dass Produkte gekauft werden, die Nachhaltigkeit fördern und bei denen zum Beispiel Wiesenbrüter geschützt werden. Man sieht das den Produkten nicht an. Auch wenn es einzelne Initiativen gibt, die eine Landwirtschaft für Artenvielfalt fördern, gibt es noch zu wenige Maßnahmen.
Das heißt, eigentlich ist es immer eine Frage, mit welcher Intention ich digitale Technologien installiere?
Ja, das sollte schon bei der Entwicklung stärker in den Blick genommen werden. Die Landwirtschaft ist für die Produktion und nicht für den Naturschutz da, das darf nicht vergessen werden. Aber man kann eine Synergie schaffen, dass die Technologien die Produktion steigern und die Natur schützen. Viele Technologien haben die Potenziale und werden noch nicht so eingesetzt.
Wenn ich mir angucke, wer hauptsächlich Technologien entwickelt, die eine nachhaltige Landwirtschaft schon in der Entwicklung mitdenken, lande ich oft bei Open-Source-Anwendungen.
Die Monopolisierung von Daten ist auf jeden Fall ein Problem. Es braucht nicht alles Open Source zu sein, aber die Schnittstellen müssen klar definiert sein. Daher sollten schon bei der Entwicklung offene Schnittstellen mitgedacht werden. Das ist ein essenzieller Punkt, um die nötige Vernetzung hinzubekommen. Dann kann das jeder nutzen und entwickeln, egal, ob es größere Konzerne oder Startups sind.
Der Einsatz von digitalen Anwendungen ist auch immer eine Kostenfrage. In der bereits genannten Studie hat sich klar gezeigt, dass vor allem große Betriebe auf digitale Technologien setzen, weil sie sich diese leisten können. Führt der Technologieeinsatz damit nicht zu noch weiter wachsenden Ungleichheiten in der Landwirtschaft?
Digitalisierung hat viele Facetten. Eine ist die Hardware, die du ansprichst, Sensoren und größere, smarte Maschinen. Das ist auf jeden Fall ein Trend. Der andere Trend ist die Verknüpfung von Informationen durch Management-Tools, Software oder Apps. Und die sind größenunabhängig. Dazu kommt: Wenn man das konsequent weiterdenkt, ist die Größe der Betriebe skalierbar mit der Anzahl der Roboter. Größere Betriebe haben dann zum Beispiel zehn oder 100 Roboter, kleine Betriebe nur zwei oder drei. Die Betriebsgröße ist nicht das Entscheidende, sondern die Module und der Informationsfluss, wie man die Module verknüpfen kann. Und das ist auch wiederum größenunabhängig. Da muss die Entwicklung hingehen.
Momentan ist es ökonomisch, die großen Flächen mit großen Maschinen zu managen. Wenn andere Maßnahmen ökonomisch wären, würde sich das auch auflösen und die Landwirtschaft könnte kleinteiliger werden. Und dann ist eigentlich die Betriebsform nebensächlich. Das Wichtige ist, wie nachhaltig die Flächen bewirtschaftet werden. Das wäre die Vision, dass man da hinkommt.
Das heißt im Umkehrschluss, dass in digitalen Technologien auch die Chance steckt, eine kleinteiligere Landwirtschaft zu begünstigen, oder? Zum Beispiel, wenn kleine, wendige Agrarroboter die Aufgaben relativ autonom übernehmen.
Die Roboter sind momentan auf großen Flächen ineffizient. Sie sind kleiner und langsamer als große Traktoren und können eher eine kleinere Fläche bewirtschaften. Das heißt, da muss eine andere Denkweise her, die Betriebsform muss angepasst werden an die Nutzung der Roboter. Wenn sie stupide hin- und zurückfahren, um Unkraut zu jäten, wo eigentlich nichts ist, ist es ineffizient. Für einen Traktor ist es effizient, weil er viel Fläche auf einmal bewirtschaften kann. Das kann man aber verbinden, also dass die Roboter dahin fahren, wo sie gebraucht werden. Zum Beispiel gekoppelt mit Drohnen-Aufnahmen, die ein Unkrautnest oder Krankheiten aufzeigen. Bisher hat es in diesem Bereich aber keinen Durchbruch gegeben.
Die Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen: Einerseits ist sie stark von den Auswirkungen des Klimawandels und des Arten- und Biodiversitätsverlust betroffen. Andererseits trägt die Landwirtschaft selbst zu den Problemen bei.
Wie können digitale Lösungen auf Feldern und Höfen dabei helfen, Arten, Böden und Klima zu schützen?
Wir stellen Lösungen für eine digital-ökologische Transformation vor. Mehr erfahren.
Die Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen: Einerseits ist sie stark von den Auswirkungen des Klimawandels und des Arten- und Biodiversitätsverlust betroffen. Andererseits trägt die Landwirtschaft selbst zu den Problemen bei.
Wie können digitale Lösungen auf Feldern und Höfen dabei helfen, Arten, Böden und Klima zu schützen?
Wir stellen Lösungen für eine digital-ökologische Transformation vor. Mehr erfahren.
Das ist ein Aspekt, den ich auch in anderen Bereichen sehe. Die Elektromobilität ist dafür ein gutes Beispiel. Auch da wird die Technologie danach bewertet, wie sie in einem bestehenden System funktioniert. Dabei steckt in den Entwicklungen eigentlich eine große Chance, wenn das gesamte System neu gedacht wird.
Genau, da liegt sehr viel Potenzial. Und wenn man so denkt, macht es richtig Spaß. Dass man bei der Vision anfängt und nicht das existierende, etwas krankende System optimieren will. Dabei ist es wichtig, die Vision gemeinsam zu formulieren. Nicht nur der Entwickler, der einen schönen Roboter entwickeln will oder die Wissenschaftler, die irgendeine Ökosystemleistung optimieren wollen, sondern viele Leute zusammen müssen diese Vision entwickeln, denn da gibt es so viele Chancen.
Momentan werden die Probleme stärker nach vorne gestellt: die Nitratverschmutzung, der Biodiversitätsschwund, auch die Klimakrise. Aber die Landwirtschaft kann vieles geben. Sie kann Kohlenstoff speichern, Grundwasser produzieren und Biodiversität fördern. Das heißt, man kann die verschiedenen Technologien besser nutzen, wenn man das umdreht und von den Potenzialen aus denkt und fragt: Wie kommt man dahin?
Ist es dann überhaupt richtig, in der Landwirtschaft die Frage nach Klimaneutralität zu stellen? Oder geht es eben eher darum, die anderen Leistungen der Landwirtschaft anzuerkennen?
Ich würde sagen, sowohl als auch. Und das hängt wiederum vom Standort ab. Das heißt, man müsste eher fragen, wo sind welche Leistungen am wichtigsten, ohne die Produktivität insgesamt zu drastisch zu reduzieren. Kohlenstoffspeicherung, Grundwasserneubildung, Mikroklima oder Biodiversitätsschutz an einem Ort zu machen, ist unmöglich. Man muss eher kleinteiliger oder gezielter denken: Wo muss ich zum Beispiel Abzüge bei Kohlenstoffspeicherung machen, fördere aber stärker den Biodiversitätsschutz. Wie kann ich die Prozesse miteinander harmonisieren oder eine Balance finden, damit es zu Nachhaltigkeit führt. Man muss abwägen – und da sind wir bei der Forschung. Dieser Balanceprozess ist, glaube ich, das Schwierige, aber auch das, was die Landwirtschaft spannend macht. Weil es eben nicht eine Antwort gibt, sondern viele Antworten, die sich mit der Zeit auch ändern.
Das führt zu der Perspektive, die Landschaft als ein zusammenhängendes, komplexes System zu betrachten. Also eben nicht jeden Hof, jeden Betrieb für sich, sondern die größeren Strukturen, die lokalen und die überregionalen Zusammenhänge, oder?
Ja, man muss über die eigene Fläche oder den eigenen Hof hinausdenken können. Und da wiederum sind die Informationen sehr komplex. Die Landwirte hängen jetzt schon mit dem Weltmarkt zusammen. Es wird noch komplexer, wenn auch ökologische Prozesse mit berücksichtigt werden müssen. Und da müssen Lösungen und Anreize her, um diese Prozesse, die auf dem Feld stattfinden, in einen größeren Kontext zu setzen.
Aber wie kommen wir dahin? Du hast gesagt, dass es mehr Zusammenarbeit und mehr Austausch geben muss. Und dass es einen anderen politischen Rahmen braucht und die Verbraucher*innen besser involviert werden müssen, zum Beispiel durch eine Markierung von Lebensmitteln, die Biodiversität schützen. Was sind die nötigen nächsten Schritte, um die Agrarwende wirklich auf den Weg zu bringen?
Man muss hierauf mit verschiedenen Maßnahmen und Aktivitäten antworten. Es sind politische Maßnahmen notwendig, die aber nicht top-down kommen, so wie aktuell die Diskussion mit dem Agrardiesel. Und man muss die Notwendigkeit dieser Maßnahmen wirklich gut kommunizieren. Hier würde ich auch wieder empfehlen, dass man vom Ziel anfängt und einen Dialog schafft – und dann die Probleme, die dazwischen liegen, ausräumt.
Und die ökologischen Maßnahmen sollten sowohl ökonomisch als auch von der Gesellschaft honoriert werden. Es sind Unsummen von Geldern vorhanden, die man besser einbringen könnte mit dem Ziel, nicht auf die Flächen zu zahlen, sondern für die Ergebnisse und die Aktivitäten.
Sonoko, vielen Dank für das Interview!
Dieser Artikel gehört zum Dossier „Agrarwende – Die nachhaltige Landwirtschaft von morgen“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.