Interview: Kann Radartechnologie bei der Seenotrettung Geflüchteter helfen?

Ein Team der NGO Seawatch bei der Rettung Geflüchteter.

Jedes Jahr ertrinken tausende Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer. Ein Radar-Detektor soll ermöglichen, dass Seenotretter*innen schneller reagieren können. Peter Lanz im Interview.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 08.12.22

Übersetzung Mark Newton:

Nach wie vor machen sich jedes Jahr tausende Menschen auf den Weg über das Mittelmeer in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie haben Kriege und bitterste Armut erlebt oder wurden in ihren Herkunftsländern verfolgt. Viele von ihnen kommen nie an. Seit dem Jahr 2014 sind mehr als 25.261 Menschen im Mittelmeer ertrunken, alleine 2022 (Stand: 09. November 2022) waren es 1.912 Geflüchtete.

Die Seenotrettung wird vor allem von spendenfinanzierten NGOs wie Seewatch oder Seebrücke organisiert, die die Fluchtrouten von Schiffen aus und per Flugzeug nach Booten in Seenot absuchen. Doch oft werden die Boote erst entdeckt, wenn es schon zu spät ist.

Peter Lanz hat sich im Rahmen eines Forschungsprojekts auf die Suche nach einer Lösung begeben, mit der schnell und zuverlässig Boote ausfindig gemacht werden können – und hat einen Radar-Detektor entwickelt.

Peter, worum geht es genau bei dem Radar-Detektor?

Die Idee ist es, die Bilder von Radarsatelliten zu verwenden, um Boote in Seenot zu finden und die Seenotrettung im zentralem Mittelmeer zu unterstützen. Dafür arbeiten wir an einem Programm, das die Boote automatisch ausfindig machen soll. Dabei durchsucht ein Detektor die Satellitenbilder und liefert die Koordinaten möglicher Standorte von Booten. Diese können dann zusammen mit einem Zeitstempel an Rettungskräfte vor Ort kommuniziert werden. Wir haben uns für Radar entschieden, da es von Wolken und Regen nicht gestört wird und auch kein Sonnenlicht benötigt. Damit sind mehr Aufnahmen in besserer Qualität möglich, verglichen mit optischen Sensoren.

Peter Lanz
Das Testboot wird im Berliner Umland ins Wasser gezogen.

Die Radarbilder zeigen nicht das Boot selbst, sondern den Abdruck, den das Boot auf der Wasseroberfläche hinterlässt, richtig?

Das ist das, was wir annehmen. Trockener Kunststoff und Holz ist für Radar unsichtbar. Mit speziellen Radarmethoden ist die Abplattung der Wasseroberfläche unter dem Schlauchboot zu sehen. Auch der Windschatten, den das Boot erzeugt, sollte sichtbar sein, genauso wie Wassertropfen auf der Bootsoberfläche es plötzlich sichtbar machen und Menschen und der Außenbordmotor Spuren im Radarbild hinterlassen. Das alles ist ziemlich variabel und die Kombination aus dem allen ist die Anomalie, nach der wir mit den Detektoren suchen.

Wie zuverlässig funktionieren die Detektoren und wie schnell sind die Informationen für die Seenotrettung verfügbar?

Die Zuverlässigkeit der Detektion hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Neben der Wahl der besten Detektoren spielt die Windgeschwindigkeit, welche eng mit der Wellenhöhe verknüpft ist, eine wichtige Rolle. In der ersten Phase des Projektes konnten wir zeigen, dass die Detektion auf einem See, also bei ruhiger See, gut funktioniert. Aktuell forschen wir daran, bis zu welchem Seegang wir die Boote noch finden können. Die Ergebnisse werden in den kommenden Monaten in einem neuen Paper veröffentlicht werden.

Peter Lanz
Das Testboot liegt im Wasser. Mit Tongranulat gefüllte Beutel simulieren im Boot sitzende Menschen.

Was war die initiale Idee, ein „Detektionstool“ für Geflüchtete zu entwickeln?

Die Idee entstand 2015, als immer mehr und mehr Menschen über das zentrale Mittelmeer flohen und die Opferzahlen stetig anstiegen. Mit unserem Projekt wollen wir einerseits die zivile Seenotrettung in ihrer Arbeit unterstützen und andererseits eine Möglichkeit zur Dokumentation der anhaltenden Fluchtbewegungen und damit verbundenen illegalen Pushbacks bieten. Mit dem Vorteil, dass diese Strategie nur schwer von Nationalstaaten geblockt werden kann.

Was waren besondere Herausforderungen bei der Entwicklung des Detektors?

Zu Beginn des Projektes wurde rasch klar, dass es schwierig werden würde, die für das Projekt unverzichtbar wichtigen Testradardaten zu bekommen. Zumindest auf dem zivilen Sektor gab es keine frei verfügbaren Radarbilder von solchen Booten auf dem offenen Meer in realen Situationen. Also organisierten wir zwei Datenkampagnen in 2017 und 2022 auf Seen nahe Berlin, um eine eigene Sammlung von Testdaten anzulegen. Das waren organisatorisch große Herausforderungen für ein kleines Projekt wie unseres.

Wie soll es weitergehen, wenn sich der Detektor auch auf hoher See bewährt?

Wir hoffen natürlich darauf, damit einen Beitrag leisten zu können. Allerdings könnten aktuell noch die hohen Kosten der Satellitendaten ein Grund sein, warum NGOs an den aktuellen Strategien, Geflüchtete in Seenot vom Schiffen und Flugzeugen aus zu finden, festhalten.

Vielen Dank für das Interview, Peter.

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