Interview: „Für nachhaltige Gebäude gilt es, alle Akteure zusammenzubringen und einen Informationsfluss über den gesamten Lebenszyklus herzustellen.“

Unsere Gebäude haben dringenden Transformationsbedarf. Insbesondere im Betrieb und bei der Zusammenführung aller wichtigen Informationen ist das Potenzial digitaler Lösungen groß, sagt Rita Streblow (RWTH Aachen/TU Berlin) im Interview.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 09.10.23

Sowohl im Gebäudebestand als auch im Neubau entstehen hohe CO2-Emissionen. Werden alle Emissionen, die beim Bauen, Wärmen, Kühlen und Entsorgen unserer Gebäude anfallen, zusammengenommen, dann ist der Sektor für einen Anteil von rund 40 Prozent an den gesamten Emissionen Deutschlands verantwortlich. Klimaziele lassen sich damit definitiv nicht erreichen.

Wie aber kann die Transformation gelingen und wo liegt das größte Potenzial digitaler Technologien in der Gebäudewende? Das haben wir Rita Streblow in diesem Interview gefragt. Und wir haben mit ihr darüber gesprochen, warum ein durchgängiger Informationsfluss so wichtig ist und welche Rolle Datenplattformen dabei zukommt.

Rita Streblow ist Oberingenieurin und Teamleiterin am Lehrstuhl für Gebäude- und Raumklimatechnik an der RWTH Aachen und hat an der TU Berlin eine Einstein Center Digital Future Professur für „Digitale Vernetzung von Gebäuden, Energieversorgungsanlagen und Nutzenden“. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich vor allem mit der Zugänglichkeit, Nutzbarmachung und Anwendung von Daten für den effizienten und nachhaltigen Betrieb von Gebäude- und Quartiersenergiesystemen.

Rita, der Gebäudesektor ist für enorme CO2-Emissionen verantwortlich. Wo siehst du das größte Potenzial digitaler Lösungen, um die Emissionen von Gebäuden zu senken?

Die Digitalisierung ist ein wichtiger Schlüssel zu einer transparenten Entscheidungsfindung. Die wiederum, richtig eingesetzt, dabei hilft, alle notwendigen Ressourcen effizient zu nutzen. Im Gebäudekontext sind dies die Energieressourcen, monetäre, personelle und informationstechnische Kapazitäten sowie die Aufmerksamkeitsspanne aller Stakeholder.

Kurzfristig können wir also mithilfe von Digitalisierung mehr Transparenz in den Betrieb von Gebäuden bringen und diesen optimieren, ohne aufwendige Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. Mittelfristig müssen wir die Herangehensweise, die Kooperation von Stakeholdern und auch die Geschäftsmodelle im Gebäudesektor angehen, um dann langfristig zu einem kompletten nachhaltigen Lebenszyklus des Gebäudes zu kommen.

Der aktuelle Bausektor kann als fragmentierte Industrie bezeichnet werden. An einem typischen Bauprojekt ist eine Vielzahl unabhängiger Hersteller, Subunternehmer und Zulieferer beteiligt, die für einzelne Lebenszyklusphasen und Aktivitäten verantwortlich sind. Diese Akteure gilt es zusammenzubringen und einen durchgängigen Informationsfluss über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes hinzubekommen. Die relevanten Akteure sind dabei alle Stakeholder in der Baubranche. Zudem muss die öffentliche Hand eine Vorreiterrolle einnehmen.

Warum ist ein fragmentierter Bausektor aus Nachhaltigkeitsperspektive ein Problem? Wie hängt das mit den hohen Emissionen der Branche zusammen und was kann ein durchgängiger Informationsfluss daran ändern?

Informationen aus der Planung gehen beispielsweise nicht richtig in den Betrieb über. So müsste eigentlich der Anlagenbetrieb gerade von komplexeren Systemen schon in den frühen Planungsphasen mitgedacht werden, um später einen robusten und effizienten Betrieb sicherzustellen. Ein Systemintegrator, der alle technischen Komponenten für den Betrieb zusammenführen soll, kommt heutzutage zumeist erst sehr spät im Bauprozess hinzu, wenn die Komponentenauslegung bereits ohne genaue Kenntnisse des Gesamtbetriebskonzepts getätigt ist. Zudem bleiben immer wieder Abweichungen zwischen Planung und Umsetzung undokumentiert, sodass für den Gebäudebetrieb von falschen Annahmen ausgegangen wird. Von Informationsflüssen, von der Planung des Gebäudes bis zum Abriss, wie beispielsweise zur Nachverfolgung von Materialflüssen über den gesamten Lebenszyklus, sind wir also noch weit entfernt.

Damit Gebäude mit niedrigen Emissionen gebaut werden können, müssen alle Prozesse zusammengeführt und aufeinander abgestimmt werden.

Und bei der Herstellung eines durchgängigen Informationsflusses können digitale Technologien eine entscheidende Rolle spielen?

Ja, was wir brauchen, sind integrierte Ansätze für einen digital gestützten, nachhaltigen Lebenszyklus eines Gebäudes. Dazu benötigen wir Innovation bei den Prozessen und auf betrieblicher Ebene. Wir benötigen den Austausch von Daten und Informationen entlang der Wertschöpfungskette und Lebenszyklen. Hier müssen wir noch einiges im Umgang mit Daten lernen, gewillt sein, diese zu teilen und Fähigkeiten entwickeln, diese zu sammeln, zu verknüpfen und zu nutzen.

Ich denke, die Technologien dafür sind da. Die große Herausforderung ist noch der hierfür notwendige Kulturwandel in der Zusammenarbeit, im Informationsaustausch und für neue Geschäftsmodelle.

Schon heute werden digitale Lösungen eingesetzt, um den Energie- und Ressourcenverbrauch von Gebäuden zu senken. Kannst du sagen, in welchen Bereichen sie besonders präsent sind?

Die Digitalisierung hat bereits Einzug in die Gebäude gehalten und gerade im Bereich des Energiemanagements und der -optimierung tut sich etwas. Insbesondere Startups bringen hier neue Konzepte auf den Markt – auch wenn die Praxis zum Teil noch weit hinter den in der Forschung erprobten Konzepten ist.

Allerdings werden heute viele Chancen unnötig vertan. So fehlt dem Werkzeug der kommunalen Wärmeplanung beispielsweise noch der vereinheitlichende Rahmen. Wenn Daten erhoben werden, sollte immer darauf geachtet werden, dass diese nachhaltig genutzt werden können. Hierfür muss Wert auf Strukturiertheit, Qualität, organisatorische Verankerungen und Konzepte der Datenübermittlung gelegt werden.

Gebäude sind ein CO2-Schwergewicht: Das Bauen, Wärmen, Kühlen und Entsorgen unserer Häuser hat einen Anteil von rund 40 Prozent an den CO2-Emissionen Deutschlands. Unsere Klimaziele erreichen wir nur, wenn diese Emissionen massiv gesenkt werden.

Wie aber gelingt die nachhaltige Transformation der Gebäude und welche Rolle spielen digitale Lösungen dabei? Das RESET-Greenbook gibt Antworten: Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren

Wie meinst du das, dass die Praxis noch hinter den in der Forschung erprobten Konzepten zurückliegt? Werden potenzielle Energiesparpotenziale nicht ausgeschöpft? Oder greifen viele der digitalen Anwendungen zu kurz?

Hier kommen mehrere Aspekte zusammen. Um Konzepte aus der Forschung in die Praxis zu überführen, muss man sich gegenseitig verstehen können, existierende Prozesse kennen und die Möglichkeiten haben, bestehende Prozesse, wenn nötig, zu ändern.

Ich glaube, wir neigen in unserer Forschung dazu, Ergebnisse noch zu komplex darzustellen und die Bezüge zu bestehenden Prozessen nicht immer deutlich genug zu benennen. Und wenn die Einstiegshürden zu hoch sind, fehlt in der Praxis zumeist die Zeit für die Umsetzung und wirtschaftliche Hemmnisse treten in den Vordergrund.

Unter anderem kritisiert der Einfach-Bauen-Ansatz, dass zu kompliziert gebaut wird, dass beim Bau von Gebäuden keine umfassende Lebenszyklusanalyse durchgeführt wird und Standort, Klima und andere wesentliche Einflussfaktoren kaum berücksichtigt werden. Um dann aber mehr Energieeffizienz zu erreichen, werden die Gebäude im Nachhinein mit hochkomplexen, aber oft wenig robusten Technologien ausgestattet werden. Wie siehst du das?

Ich denke, es geht um Angemessenheit. Gesunde und komfortable Gebäude, die wir effizient mit erneuerbaren Energien betreiben wollen, benötigen ein gewisses Maß an Technik. Digitale Lösungen können helfen, diese übersichtlich und verständlich zu gestalten und die Komplexität wieder handhabbar zu machen.

In einem nachhaltigen Bausektor muss es um Bauen als Ganzes, um den kompletten Lebenszyklus der Gebäude gehen. Wie ja schon gesagt sind unterschiedlichste Akteure in den Lebenszyklusphasen des Gebäudes aktiv. Für die Betrachtung des gesamten Lebenszyklus von der Materialherstellung, dem Bauprozess, dem Betrieb bis hin zum Abriss des Gebäudes müssen die Akteure offen sein für einen Informationsfluss und anders als bisher miteinander kooperieren – und digitale Technologien können hier Lücken schließen.

Gute Beispiele entstehen immer dort, wo Akteure sich getraut haben, etablierte Herangehensweisen auch einmal zu verwerfen, Prozessabläufe aufzubrechen und schneller zu probieren. Und die Definition von Schnittstellen wird immer wichtiger. Es muss klar sein, wo welche Information benötigt wird und wie diese auf dem einfachsten Weg dorthin kommt.

Der Bausektor kann nur nachhaltig werden, wenn der komplette Lebenszyklus der Gebäude eingeplant und dargestellt wird.

Aber genau diese Informationen sind nicht immer leicht zugänglich, oder?

Ja, viele Daten befinden sich im Besitz einzelner Gruppen und sind anderen Akteuren nicht zugänglich. Wir sprechen hier von sogenannten Datensilos, die entstehen, weil Unternehmen beispielsweise Daten nicht teilen oder Abteilungen nicht wirklich zusammenarbeiten. Wir schauen, wie wir diese Datensilos aufbrechen und wie Daten in Beziehung gesetzt werden können, um sie nutzen zu können. An anderer Stelle fehlen uns noch Informationen. Hier schauen wir, welche Dateninfrastruktur welchen Mehrwert generieren kann.

Ein wichtiges Werkzeug für uns sind Datenplattformen, also eine einheitliche Basis, an die Komponenten angeschlossen und über die Programme aufgesetzt und betrieben werden können.

Wie kann ich mir so eine Datenplattform genau vorstellen?

Komponenten im Gebäude sprechen beispielsweise keine einheitliche Sprache, sondern sind unterschiedlich durch verschiedene Protokolle anzusprechen. Eine Plattform hat Adapter für diese unterschiedlichen Protokolle. So können alle Informationen eingesammelt werden und vereinheitlicht in der Plattform über entsprechende Datenspeicherkonzepte abgelegt werden. Softwareanwendungen sprechen dann nur noch eine einzige Sprache mit der Plattform und die unterschiedlichen Sprachen der einzelnen Komponenten sind an dieser Stelle nicht mehr relevant.

So können wir Plattformen als Toolset für die Entwicklung und den Betrieb unterschiedlicher anwendungs- und nutzendenspezifischer Dienstleistungen nutzen. Und wir können uns beispielsweise auch Konzepte lokaler Energiemärkte damit anschauen. Plattformen können hier bei der der effizienten Nutzung und Verteilung von Energie helfen, da Informationen unterschiedlicher dezentraler Anlagen in den Gebäuden zusammengeführt werden.

Du hast ja gesagt, dass viele Technologien für einen nachhaltigen Bausektor bereits vorhanden sind, diese aber noch viel zu selten eingesetzt werden. Was braucht es, um deren Einsatz voranzutreiben?

Wir benötigen Mut und Offenheit für neue Herangehensweisen mit dem notwendigen Verantwortungsbewusstsein für ein nachhaltiges Handeln.

Aber auch ein entsprechender politischer Wille, wie zum Beispiel eine starke Gebäuderichtlinie und ähnliche klare Regulierungen, sind wichtig, oder?

Ja, klare Vorgaben, die transparent getroffen werden, sind nötig. Je besser die Datenlage, umso besser auch hier die Entscheidungsgrundlage und die Darstellbarkeit, dass wir den Weg nur gemeinsam schaffen und jeder einen Teil zu tragen hat. Um diese Teile tragen zu können, ist es aus meiner Sicht sehr wichtig, auch jedem Einzelnen die Chance zu geben, die Energiewende mitzugestalten, wie es beispielsweise lokale Energiemärkte ermöglichen.

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Dieser Artikel gehört zum Dossier „Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

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