Interview: Die Supermacht der Internet-Giganten – eine Herausforderung für den demokratischen Diskurs

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Wie beeinflussen die großen Kommunikationsplattformen Amazon, Google und Co. den öffentlichen Diskurs? Und welche Regulierungsmöglichkeiten gibt es? Darüber sprachen wir mit Vérane Meyer und Torben Klausa, Autor*innen einer kürzlich veröffentlichten Studie der Böll-Stiftung.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 14.06.21

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut:

Eine nachhaltige Digitalisierung berücksichtigt nicht nur ökologische Aspekte – wie zum Beispiel die CO2-Emissionen, die mit den globalen Datenströmen einhergehen und bei der Herstellung der digitalen Tools entstehen -, sondern auch die soziale Dimension, also faire Arbeitsbedingungen und ein gerechtes und demokratisches Miteinander.

Der letzte Punkt verweist auf die großen Digitalkonzerne wie Amazon, Google, Facebook und Co.: Wie demokratisch ist unsere Gesellschaft noch angesichts der Übermacht der Internet-Giganten? Die großen Plattformbetreiber sind längst zu entscheidenden Akteuren des Internets geworden. Sie stellen nicht nur Informationsinfrastrukturen zur Verfügung, sondern moderieren Diskurse, kuratieren Inhalte und sperren Accounts anhand selbst gesetzter Regeln.

Vérane Meyer, Leiterin des Referats Digitale Ordnungspolitik der Böll-Stiftung, und Torben Klausa, der u.a. zu Fragen der Plattformregulierung forscht und schreibt, fragen in ihrer Kurzstudie „Regulierung digitaler Kommunikationsplattformen“ danach, wie die privaten Unternehmen die öffentliche Debatte beeinflussen und welche Möglichkeiten es gibt, sie demokratisch zu überprüfen. Im Interview sprachen wir mit ihnen über die demokratischen Herausforderungen digitaler Plattformen, aktuelle Regulierungsvorhaben und Lösungen für einen demokratischen Diskurs im Netz.

Wie beeinflussen digitale Plattformen die öffentliche Debatte? Was sind Aspekte, die dabei Sorgen bereiten?

Torben: „Digitale Plattformen entscheiden, was wir überhaupt als öffentliche Debatte wahrnehmen. Das geht schon damit los, auf welche Inhalte wir bei Facebook und Co. überhaupt stoßen: Welche Videos, Bilder und Posts uns präsentiert werden, entscheiden die Algorithmen der Plattformen. Was sie nicht anzeigen, findet online praktisch nicht statt. Und die Auswahl der Inhalte richtet sich eben nicht danach, was einer konstruktiven öffentlichen Debatte dient.

Vérane: „Während die Bundestagswahl im September näher rückt, bereiten aktuell mögliche Manipulationen in einem Wahlkampf Sorgen, der vor allem online geführt wird: von fehlender Transparenz bei politischer Online-Werbung über die zunehmende Verbreitung von Desinformationen und systematische Hasskampagnen und problematische Inhalte in Messengern oder Plattformen, die noch gar nicht unter die derzeitige Regulierung fallen. Und dass inzwischen auch die Plattformen das Risiko digitaler Inhalte für die analoge Welt kennen, zeigt das Beispiel Donald Trump.“

Vérane Meyer, Leiterin des Referats Digitale Ordnungspolitik der Böll-Stiftung.

Ist es in diesem Fall aber nicht ein Segen gewesen, dass Trump dieser Kanal entzogen wurde? Oder sollten private Plattformen so etwas gar nicht entscheiden?

Vérane: „Das ist derzeit der große Streit. Die einen sagen, Plattformen müssten sich in ihren Entscheidungen einfach streng an die eigene Hausordnung halten – und der hat schließlich jede*r Nutzer*in irgendwann mal zugestimmt. Andere finden, die Entscheidung über solche Eingriffe in unseren demokratischen Diskurs dürfe man nicht privaten Unternehmen überlassen

Torben: „Schon heute sind Plattformen ja an deutsche Gesetze gebunden. Auch wenn die Durchsetzung manchmal hakt: Inhalte, die gegen deutsches Recht verstoßen – zum Beispiel Hakenkreuze und Beleidigungen –, müssen Facebook und Co. in Deutschland entfernen, wenn sie davon erfahren. Viel problematischer sind aber Inhalte, die auf Englisch als „awful but lawful“ bezeichnet werden – die also gefährlich und unerwünscht sind, aber eben noch legal. Wie gehen wir damit um? Wir glauben, dass wir diese Entscheidung als Gesellschaft in die eigenen Hände nehmen müssen und sie nicht einfach Unternehmen überlassen können.“

Vérane: „Auch die Politik setzt sich mit dem Thema schon auseinander. Im Entwurf des Digital Services Act (DSA), der geplanten Plattform-Regulierung der EU, wird derzeit eine Art „Trump-Artikel“ diskutiert: Danach könnten Online-Plattformen nicht mehr einfach die Accounts von Nutzer*innen sperren, die von öffentlichem Interesse sind.“

Was sollten eurer Meinung nach die Aufgaben der Plattformen sein?

Vérane: „Plattformen nehmen in der digitalen Öffentlichkeit eine immer größere Rolle ein und sollten dementsprechend auch gewissen Sorgfaltspflichten nachkommen – nicht nur im Umgang mit illegalen Inhalten. Es geht auch darum, die freie Meinungsbildung zu gewährleisten und etwa bei Werbung und Empfehlungsalgorithmen für Transparenz zu sorgen. Das Trump-Beispiel zeigt , dass die Debatte um die Macht und Einflussnahme kommerzieller Plattformbetreiber wichtiger ist denn je.  Ganz konkret könnten Plattformen jetzt dafür sorgen, die Risiken im digitalen Wahlkampf zu minimieren, etwa indem sie verifizierte Inhalte pushen, Desinformationen identifizieren und diese niedrig ranken und insgesamt transparenter agieren.

Torben: „Das Tolle an digitalen Plattformen ist doch, dass die Menschen sie für tausend verschiedene Dinge nutzen und sie sich ständig weiterentwickeln. Doch wenn es um den öffentlichen Diskurs geht, sollten wir nicht nur ihr kreatives Potenzial anerkennen – sondern auch ihre Verantwortung. Fernsehsender beispielsweise sind in Deutschland zur Sicherung der Meinungsvielfalt viel stärker reguliert als Plattformen.

Wie können die Plattformen demokratisch überprüft werden? Und was sind wichtige Bedingungen für einen demokratischen Diskurs im Netz?

Vérane: „Für eine echte Kontrolle müssen wir erst einmal wirklich verstehen, wie Plattformen überhaupt arbeiten und welche Auswirkungen sie haben. Aus diesem Grund fordern immer mehr Regulierer*innen und Forscher*innen echten Einblick in die Abläufe, Stichwort: Transparenz. Außerdem ist es unheimlich schwer, von einer zur anderen Plattform zu wechseln – und dabei nicht das komplette eigene Netzwerk, Nachrichten, Fotos und so weiter zu verlieren. Verpflichtende Interoperabilität kann dabei helfen, das bestehende Plattform-Oligopol aufzubrechen und Online für demokratischere Strukturen zu sorgen.“

Torben Klausa forscht und schreibt zu Fragen der Plattformregulierung.

Torben: „Wenn wir über Plattformen sprechen, denken wir meist Facebook, Twitter und YouTube. Aber ein großer Teil gefährlicher Desinformation findet inzwischen auf Messenger-Diensten wie Telegram und WhatsApp statt. Wir sollten uns Gedanken machen, wie wir die richtigen Dienste mit unserer Regulierung erfassen – und wie wir diese auch durchsetzen können. Es gibt noch viele weitere entsprechende Ideen. Eine ganze Reihe haben wir in unserem Papier zusammengefasst.“

Was sind aktuelle Regulierungsvorhaben auf nationaler und europäischer Ebene?

Vérane: „Auf europäischer Ebene ist aktuell der Digital Services Act das größte, fast revolutionäre Regulierungsvorhaben, in Deutschland gibt es seit einigen Jahren das NetzDG und seit Ende 2020 den Medienstaatsvertrag. Insgesamt sehen wir einen Trend dazu, die Plattformregulierung europäisch voranzutreiben – was angesichts des internationalen Charakters des Themas ja auch Sinn ergibt.“

Torben: „Gleichzeitig ist Deutschland in diesem Regulierungsbereich mit NetzDG und Medienstaatsvertrag durchaus Vorreiter. Viele Aspekte des DSA-Entwurfs ähneln stark den deutschen Regeln. Währenddessen machen die Behörden hier bereits praktische Erfahrung mit deren Umsetzung und der Gesetzgeber steuert entsprechend nach. So ist das NetzDG erst vier Jahre alt, hat aber bereits zwei Änderungsrunden hinter sich. Das heißt nicht, dass Deutschland ein leuchtendes Beispiel abgibt – manche würden gar das Gegenteil behaupten. Aber die Zeiten, in denen digitale Plattformenriesen als unregulierbar galten, sind jedenfalls vorbei.“

Trotzdem scheinen wir hinterherzuhinken hinter den selbst gesetzten Regeln der digitalen Plattformen. Wie können wir in Zukunft einen Schritt voraus sein?

Vérane: „Indem wir uns nicht auf den guten Willen der der großen Plattformanbieter verlassen, die Risiken zu minimieren. Stattdessen brauchen wir klare Regeln für mehr Transparenz und gegen Manipulationen im Netz. Auch die Kompatibilität verschiedener Kommunikationsdienste miteinander kann dazu beitragen, Nutzer*innen die Wahl zu überlassen und diese Manipulationen effektiv zu umgehen, und letztlich die Medienvielfalt zu stärken.“

Torben: „Wir müssen verstehen, dass die Qualität des Diskurses nicht nur davon abhängt, gefährliche Inhalte zu bekämpfen. Bei der Verantwortung digitaler Plattformen geht es nicht nur um Sperren und Löschen – sondern auch um die Kriterien, nach denen sie die sonstigen Inhalte präsentieren. Und nicht zuletzt liegt es auch an uns Nutzer*innen, eine gewisse digitale Gelassenheit und Skepsis zu entwickeln: Gelassenheit, nicht auf jeden Aufreger zu klicken, der uns angezeigt wird; Skepsis, um zwischen Fakt und Fake zu unterscheiden. Denn beides ist online in bunter Mischung unterwegs.“

Vielen Dank Vérane, vielen Dank Torben!

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