Incredible India: Reisen auf die gute Art

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Wer wünscht sich bei diesem Winterwetter nicht manchmal woanders hin? Zum Beispiel unter südlicher Sonne zu liegen, ein fremdes Land zu erkunden – und dabei auch noch Gutes zu tun? Gastautorin Dorit Behrens ist gerade in Indien unterwegs und recherchiert für ihr Buch gutereise die nachhaltigsten Urlaubsmöglichkeiten vor Ort. Für RESET hat sie die besten Tipps ihrer ersten Etappe zusammengetragen.

Autor*in RESET , 05.02.13

Kanyakumari, 01. Februar 2013. Ich stehe an der Südspitze Indiens – am Ende der Welt, so scheint es. Vor mir fließen drei Meere ineinander: das Arabische von rechts, das Bengalische von links und der gewaltige Indische Ozean drumherum. Der Ort hat etwas Surreales, faszinierend sind die Naturgewalten, die sich vor mir vereinen. Nicht zufällig erinnert genau an dieser Stelle ein Denkmal an Mahatma Gandhi. Der geistige Vater der Nation setzte sich einst für das friedliche und selbstbestimmte Zusammenleben der unterschiedlichen Kulturen und Religionen ein. „Be the change you want to see in the world“, sagte er mal. Wie wahr – denn wer will, dass sich etwas ändert, sollte bei sich selbst anfangen.

Genau deshalb bin ich hier. Vor einem Monat habe ich mich auf den Weg gemacht, um zu erfahren, wie man im Urlaub etwas zum Besseren verändern kann. Wie nicht nur wir Reisende, sondern auch die Bereisten von unserem Besuch profitieren, so dass wir Orte hinterlassen, die wir gern wieder besuchen und die für ihre Bevölkerung lebenswert sind. Denn eines steht leider fest: Während unserer schönsten Zeit des Jahres setzen wir der Umwelt mit unserem CO2-Ausstoß, dem Abfall und Wasserverbrauch ganz schön zu. Ganz zu schweigen von den teils grenzwertigen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen, die uns überhaupt erst unseren Urlaub ermöglichen. Wie also können wir das ändern – wie wird eine schöne Reise zu einer guten Reise?

Das Gepäck: Leicht und wiederverwendbar

Gute Reisen beginnen schon beim Packen. Mal ehrlich, meistens haben wir doch eh viel zu viel dabei. Dabei hat wenig Gepäck viele Vorteile: Wer am Gewicht spart, produziert bei der Anreise weniger CO2 – und kann unterwegs guten Gewissens shoppen. Das zeigt nämlich Interesse an der lokalen Gepflogenheiten und unterstützt die örtliche Wirtschaft. Maßanfertigungen sind hier übrigens gang und gäbe und kosten umgerechnet nur ein paar Euro. Warum also nicht einen wunderschönen Salwar Kameez – eine lange Tunika mit Hose – o. ä. schneidern lassen, der später zum schönen Erinnerungsstück wird?

Um nicht unnötig Müll zu hinterlassen, sollten für das übrige Gepäck Nutzen und Langlebigkeit an erster Stelle stehen. Also lieber Taschen statt Tüten mitnehmen, wiederbefüllbare Kosmetik- und Wasserflaschen (viele Unterkünfte bieten kostenlos Trinkwasser aus großen Kanistern, so muss man nicht pausenlos PET-Flaschen kaufen, die hier kaum recycelt werden) und evtl. eine Tupperdose. Die bewährt sich vor allem auf längeren Zugreisen, weil man so ein paar Snacks mitnehmen und auf Einwegverpackungen verzichten kann. Übrigens: Der Adapter kann getrost zu Hause bleiben, Haartrockner braucht hier kein Mensch und das Ladekabel der Kamera passt in jede Steckdose.

Die Anreise: Fliegen oder nicht fliegen?

Leider gilt immer noch: Ein Flug ist im Urlaub Klimakiller Nummer eins. Auf der Strecke Frankfurt-Goa setzt ein Passagier etwa so viele klimaschädliche Gase frei wie bei einem Jahr Autofahren. Wer nach Alternativen sucht, sollte sich folgende Fragen stellen:

1.    Welche anderen Transportmittel sind verfügbar? Bahn und Bus haben eine vergleichsweise gute Klimabilanz, Auto und Kreuzfahrtschiff lieber meiden.
2.    Wie sicher sind die Verbindungen? Für das nahe Tibet ändern sich die Reisebedingungen  fast täglich, vor Reisen durch Krisengebiete wie Afghanistan warnt das Auswärtige Amt.
3.    Was kann ich mir leisten? Indien ist auf dem Landweg erreichbar, momentan allerdings nur über den Umweg Russland, die Mongolei, China, (Tibet) und Nepal. Auf diese wunderbar langsame Art möchte ich nach Deutschland zurück reisen.

Doch ganz ehrlich: Der zeitliche, finanzielle und – dank diverser Visabestimmungen – auch nervliche Aufwand steht in keinem Verhältnis zu einem achtstündigen Flug. Verantwortungsvoll Reisen ist also immer auch eine Frage der Machbarkeit. Wer auf das Fliegen nicht verzichten kann oder will, sollte ein paar Faustregeln beachten: So ist ein Direktflug umweltfreundlicher als ein Stopover, manche Airlines haben außerdem ihre Flotten für weniger Kerosinverbrauch nachgerüstet. Der nachhaltige Reiseverband forum anders reisen rät zudem bei Strecken von mehr als 2.000 km zu einem Aufenthalt von mindestens 14 Tagen. So kommt man intensiver mit Land und Leuten in Kontakt und kann einen finanziellen Beitrag leisten. Klimaschutzorganisationen wie atmosfair oder myclimate bieten außerdem die Möglichkeit, die entstandenen Emissionen zu kompensieren. Der je nach Strecke errechnete Betrag fließt in Klimaschutzprojekte rund um den Globus – in Indien u.a. in Biogasanlagen.

Vor Ort: Leben wie ein Local

Indien ist ein Land voller Extreme. So trifft man an vielen Stränden keine Menschenseele, bei den unzähligen religiösen Festivals dafür gleich auf Millionen. Kühe sind hier bekanntermaßen heilig, müssen sich aber oft von herumliegendem Müll ernähren. Und der Straßenverkehr ist, gelinde gesagt, rasant. Wer hier herkommt, sollte sich auf das Abenteuer einlassen und sich am Besten einiges von den Bewohnern abschauen:

  • Einkäufe lassen sich gut auf den unzähligen Märkten erledigen, so bleibt das Geld in der Region und für den Warentransport entstehen keine unnötigen Treibhausgase. Handeln nicht vergessen, das gehört zum guten Ton und festigt faire Marktpreise!
  • Längere Strecken kann man bequem per Bahn zurücklegen, das ist im Vergleich zu Flug oder PKW nicht nur umweltschonender, sondern auch viel günstiger.
  • Der durchschnittliche Wasserverbrauch der Einheimischen ist um ein Vielfaches geringer als bei Urlaubern. Wenn wie in diesem Sommer wieder eine große Dürre droht, die schon in der Vergangenheit viele Bauern in den Ruin getrieben hat, vielleicht lieber auf ein Hotel mit Pool verzichten und Wasser insgesamt sparsam nutzen.
  • Nicht so genau nehmen es die Inder leider mit dem Thema Müll, denn oft fehlt es an der nötigen Infrastruktur. Auch wenn man immer wieder (brennenden) Abfall am Strand, neben Straßen und Gleisen sieht – es gibt viele private Initiativen, die ihn sammeln und weiter verwerten, z. B. zu Upcycling-Produkten. Also immer nach Mülleimern fragen, auch wenn man irritierte Blicke erntet. Nur so kann sich ein Bewusstsein für das Thema entwickeln. Und natürlich: möglichst wenig Müll produzieren!

Und hier noch einige inspirierende Orte, an denen man einen „guten“ Urlaub verbringen kann:

Goa: Om, Shanti und Natur

Das einstige Aussteigerparadies hat zweifellos schöne Strände, architektonische Highlights aus der portugiesischen Kolonialzeit und eine Artenvielfalt im Hinterland, die vor allem Vogelkundler begeistern dürfte. Leider wimmelt es auch von Touristen und hart arbeitenden Strandverkäufern, die  rund um die Uhr ihre Waren anpreisen. Wer dem Trubel entgehen und den Ort nachhaltiger unterstützen möchte, kann das in einem der zahlreichen Yoga-Retreats tun. Achtsam wird hier nämlich oft nicht nur mit dem eigenen Körper umgegangen, sondern auch mit Natur und Bevölkerung.

Anbieter wie Ashiyana und Yogamagic beispielsweise zeichnen sich durch faire Arbeitsbedingungen, wunderschöne Anlagen aus Naturmaterialien, einen sparsamen Verbrauch teils regenerativer Energien und, im Fall von Yogamagic, die Nutzung von Komposttoiletten aus. Das klingt erst mal gewöhnungsbedürftig, ist aber ganz einfach zu handhaben – und funktioniert: Das so geklärte Abwasser bewässert kurze Zeit später den Garten. Dies alles fügt sich zu einem unvergleichlich entspannenden Aufenthalt mit zwei Yogaklassen täglich, optionalen Ayurveda-Anwendungen und einer Unterbringung in luxuriösen Zelten oder Baumhäusern, die sich nahtlos in die Umgebung einfügen. Da passiert es schon mal, dass einem beim Morgentee ein wilder Pfau Gesellschaft leistet. Ein Traum!

Hampi mit dem Rad

Einst die Hauptstadt eines florierenden Hindu-Reiches, zeugen heute in Hampi noch zahlreiche majestätische Ruinen von seiner historischen Bedeutung. Wer die rund zehn Tempelanlagen und Bäder mit filigranen Steinmetzarbeiten per Fahrrad erkundet, bringt nicht nur träge Urlauberwaden in Schwung, er bewegt sich auch CO2-neutral und spart bares Geld: Pro Rad zahlt man nur ca. 60 Rupees am Tag und die Zubringerstraße zum Vittala-Tempel mit seinem legendären, steinernen Streitwagen ist per Drahtesel kostenlos passierbar. Außerdem lässt sich auf diese Weise vieles entdecken, was Taxi- oder Rickshareisenden verwehrt bleibt. Zum Beispiel die traditionellen Schalenboote, die flussaufwärts an einer Stelle auf Besucher warten, die nur per Rad oder Pedes erreichbar ist. Achtung: Unter dem Wort „bike“ verstehen die Locals meist Motorräder – also lieber nach „bicycle“ fragen!

Shaka! Die perfekte Welle

Leidenschaftliche Surfer und solche, die es werden wollen, brauchen um Indien keinen Bogen mehr zu machen. Denn obwohl die meisten Einwohner nicht schwimmen können, gibt es in einem verschlafenen Örtchen an der südlichen Westküste eine der ersten Surfschulen Indiens – The Shaka Surf Club. Ein junges Paar aus Mumbai hat den Club vor einem Jahr eröffnet und bringt nun einer Handvoll Enthusiasten das Surfen bei. Daneben engagieren sie sich für die Dorfgemeinschaft und führen Kinder und Jugendliche an den verantwortungsvollen und sicheren Umgang mit Wasser heran. Ganz nebenbei entwickeln die Schüler so ein entspanntes Sozialverhalten, es mischen sich Jungs und Mädchen ebenso wie Hindus und Muslime. Im Frühjahr 2013 soll zudem ein neues Surf Camp eröffnen – dann können Gäste von außerhalb direkt zwischen dem menschenleeren Strand und den Backwaters zelten und morgens gleich die erste Welle erwischen.

Kerala: Power to the People

Der wohl grünste Bundesstaat im Südwesten Indiens bietet dank seiner klimatischen und geografischen Lage eine unglaubliche Artenvielfalt. Nicht umsonst bedeutet das Wort Kerala „Land der Kokospalmen“. Man kann hier zweifellos Wochen verbringen, um die unzähligen Schattierungen von Grün und die vielen wilden Tiere zu beobachten. Das Paradies für Naturfreunde hat allerdings auch seine Schattenseiten, denn in den vergangenen Jahren sind die Marktpreise in der Landwirtschaft dramatisch eingebrochen. Die örtlichen Bauern, rund die Hälfte der Bevölkerung, standen vor dem Ruin. Dank der Initiative lokaler Organisationen wie Kabani kommen sie nun wieder auf die Beine. Im „Bamboo Village“ in der herrlich frischen Hügelregion Wayanad haben sich beispielsweise die Dorfbewohner zusammengeschlossen, um auf Basis des schnell wachsenden Rohstoffes Bambus zusätzliche Einnahmequellen zu generieren. Das Material wird zu hochwertigen Produkten wie Lampenschirmen, Rollos und Matten verarbeitet – und ernährt so mehrere hundert Familien in der Region. Als Besucher kann man das alles hautnah erleben: In einem der sechs Homestays schläft man nicht nur bei einer gastfreundlichen Familie, sondern lernt eine Menge über das Landleben, nascht vorzüglichen Gewürzkaffee und Reispfannkuchen beim örtlichen Milchbauern, exotische Früchte direkt vom Baum und kann durch die fabelhafte Natur trekken – und all das mit dem guten Gefühl, die Dorfgemeinschaft aktiv zu unterstützen.

gutereise ist ein interaktives Buchprojekt von Dorit Behrens. Die Autorin ist noch bis April 2013 in Indien unterwegs, um verantwortungsvolle Reisemöglichkeiten vor Ort zu erkunden. Alle, die ihre aktuelle Recherchereise online verfolgen und eigene Ideen und Erfahrungen beisteuern möchten, können dies unter www.gute-reise.in und www.facebook.com/gutereiseindien tun.

Urlaub und Reisen mit Sinn

Du planst deine nächste Reise und möchtest eine Alternative zum Strandurlaub? Es gibt immer mehr Freiwilligenprogramme, regionale Hilfsprojekte und umweltpolitische Projekte, die deiner Reise mehr Einsatzbereitschaft und Erfüllung versprechen. Hier findest du zentrale Anlaufstellen im Netz.

Tipps zum nachhaltigen Reisen

Die Deutschen sind Reiseweltmeister. Nicht einmal die US-Amerikaner geben annähernd so viel für Urlaub aus - obwohl sie mit 300 Millionen Einwohnern dreieinhalbmal mehr sind als die Bundesdeutschen. Damit unsere Reisewut zum Segen und nicht zum Fluch für den Globus wird, sollten wir uns ein paar Gedanken über die Nachhaltigkeit von Reisen machen.