Bei Erdbeben, Überschwemmungen und anderen Katastrophen sind möglichst genaue Informationen gefragt, um schnell reagieren und Menschenleben retten zu können. Doch in vielen Ländern des globalen Südens fehlen aktuelle und detailreiche Informationen über die Boden- und Umweltbedingungen sowie die vorhandene Infrastruktur.
Das Humanitarian OpenStreetMap-Team (HOT) arbeitet seit 2009 daran, humanitären Helfer*innen in Notzeiten kostenlose Open Source-Karten bereitzustellen. Hinter HOT stehen Tausende Freiwillige, die sowohl vor Ort als auch online dabei helfen, unzureichend kartierte Regionen der Welt gründlich zu erfassen.
Seit Beginn des Projekts sind die ehrenamtlichen Kartograph*innen an der Bewältigung Dutzender ökologischer und politischer Krisen beteiligt, darunter die Kämpfe im Gazastreifen, die Ebola-Bekämpfung in Westafrika und kürzlich in Haiti, das im August 2021 von einem Erdbeben erschüttert wurde. Die globale Freiwilligen-Community liefert dabei Informationen wie den genauen Verlauf von Straßen, die Lage kleinerer Dörfer oder sogar das Innere von großen Gebäuden. Diese Informationen basieren nicht nur auf Ortskenntnissen, sondern auch auf vielen anderen Quellen, zum Beispiel aus Satellitenbildern, Fotos oder Social Media-Posts.
Das Humanitarian OpenStreetMap Team nutzt, wie der Name schon sagt, die 2004 veröffentlichte OpenStreetMap-Plattform, für die Freiwillige aus vielen Ländern Geodaten sammeln und bewerten. OpenStreetMaps ähnelt damit zwar Google Maps oder anderen Kartenplattformen, ist aber in vielen Bereichen aufgrund seines Wiki-Charakters viel detaillierter. OpenStreetMap kann beispielsweise die Lage von Fußgängerüberwegen, Bäumen, die genaue Form von Bürgersteigen oder Straßen- und Bauarbeiten – auch von kleineren – enthalten. Diese Informationen sind nicht nur für Einheimische praktisch, sondern auch für Nichtregierungsorganisationen von entscheidender Bedeutung, wenn sie schweres Gerät durch schlecht kartierte Regionen transportieren oder die Durchführbarkeit bestimmter Routen prüfen müssen.
Aktuelle laufen über 1.000 HOT-Projekte, die sich nach Suchbegriffen filtern lassen. Auch der Schwierigkeitsgrad der jeweiligen Kartierung wird angezeigt; an den allermeisten Projekten können aber schon Anfänger*innen mitarbeiten. In besonders kritischen Situationen können bestimmte Projekte über die Plattform priorisiert werden, um zusätzliche Unterstützung von anderen NGOs zu erhalten. Sämtliche Ergänzungen werden von erfahrenen Mitgliedern der Gemeinschaft auf ihre Richtigkeit überprüft.
Zu den zahlreichen aktiven Projekten von HOT gehört die Unterstützung von Organisationen im Südsudan bei der Verteilung von COVID-Impfstoffen in Dörfern der „letzten Meile“, d. h. in Siedlungen, die oft am Ende etablierter Liefer- und Logistikrouten liegen. In Mogadischu erstellt HOT interne Pläne wichtiger Gebäude für UN-Friedenseinsätze und in Kolumbien verfolgen die Kartograph*innen die sich ausbreitende Flüchtlingskrise, um zu sehen, wohin sich Gruppen bewegen und wo sie möglicherweise Schutz suchen.
Das HOT-Projekt ist ein weiteres Beispiel dafür, wie mithilfe von Civic Tech und freiwilligen Bürger*innen in relativ kurzer Zeit große Mengen an Ressourcen mobilisiert werden können, und das meist zu vergleichsweise niedrigen Kosten. Ähnliche Ansätze finden sich zunehmend auch im Bereich der wissenschaftlichen Forschung, zum Beispiel über die Plattform Zooniverse, die eine große Zahl von Mitwirkenden zu einer Vielzahl von Themen mobilisiert. Derartige Bemühungen führen nicht nur zu greifbaren Ergebnissen vor Ort, sondern ermöglichen Bürger*innen, aktiv an Lösungen mitzuwirken. Dies gewinnt besonders im Bereich der humanitären und ökologischen Verantwortung an Bedeutung.
Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Sarah-Indra Jungblut und erschien im Original zuerst auf unserer englischsprachigen Seite.
Der Artikel ist Teil des Dosssiers „Civic Tech – Wege aus der Klimakrise mit digitalem bürgerschaftlichen Engagement“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier Civic Tech
Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers über zwei Jahre zum Thema „Chancen und Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung“ erstellen. Mehr Informationen hier.