Das Startup Humaniq möchte ein neues Crypto-Währungssystem etablieren und dabei eine besondere Zielgruppe bedienen: 2,5 Milliarden Menschen sind ohne oder nur mit unzureichenden Zugang zum Bankensystem – im Englischen werden sie die „Unbanked“ genannt. Das sind zum einen Personen, die in Regionen leben, in denen Banken kaum Privatkundengeschäfte tätigen; vor allem Süd- und Ostasien, Subsahara-Afrika und Südamerika. Es sind aber auch Menschen, die nicht über ausreichende Ausweispapiere verfügen, um ein Bankkonto zu eröffnen.
Die Einzelnen in der Gruppe der „Unbanked“ haben zwar wenig Kapital, können aber schon von kleinen Finanzdienstleistungen, wie z.B. Mikrokrediten, profitieren und haben in der Summe auch eine beachtliche Wirtschaftsleistung.
Ein günstiges Android-Phone und eine möglichst einfache App
An ein Währungssystem für diese Nutzergruppe ergeben sich u.a. folgende Anforderungen:
- Es braucht eine einfache und universale Identifizierungsmethode.
- Der Zugang zum System muss gewährleistet sein.
- Das System muss möglichst einfach zu nutzen sein, um Menschen jeglichen Bildungshintergrunds, Alters usw. zur Verfügung zu stehen.
- Die einzelnen Servicebestandteile wie Anmeldung, Transaktionen u.Ä. müssen möglichst kostenlos sein
Laut Humaniq benötigen die zukünftigen User für ihr System dazu nur ihr Gesicht, ein Handy und einen Internetzugang. Das Unternehmen geht davon aus, dass ein Android-basiertes Smartphone ab ca. 10-15 US-Dollar kostet. Ausgerüstet mit einer Frontkamera soll es via Gesichtserkennung, die verschiedene Mienen erfordert, die Identifikation ermöglichen. Die Humaniq-App wird durch die Verwendung von Tiersymbol-PINs und einem klaren Layout möglichst einfach gehalten und die Währung kennt nur ganzzahlige Beträge.
Zuerst die Basisfunktionen und dann auch Services von Drittanbietern
Das System wird zunächst Kontofunktionen und Währungstransaktionen zur Verfügung stellen. Danach sollen Peer-to-Peer-Kredite, Versicherungen und andere Finanzdienstleistungen und auch Lohnzahlungen möglich sein. Diese erweiterten Funktionen sollen von Drittanbietern, womöglich neuen Startups, entwickelt werden. Dieser offene Ansatz soll auch Innovationen ermöglichen, die von den Machern von Humaniq bislang nicht angedacht sind.
Ein neues Währungssystem starten und wachsen lassen
Zum Start der Währung müssen erst einmal Coins geschaffen werden und diese müssen für die User auch einen Wert haben. Dazu gab es bis 27. April 2017 ein Initial Coin Offer (ICO), bei dem Ether, Bitcoin und US-Dollar in die neue Währung getauscht werden konnten. Dabei wurden in fast 12.000 Transaktionen Coins für circa fünf Millionen US-Dollar geschaffen. Nun wird die Währung an verschiedenen Crypto-Währungsbörsen gehandelt.
Um das Netzwerk der Humaniq-User wachsen zu lassen, werden Neumitglieder mit einem kleinen Betrag an Humaniq-Coins (HMQ) belohnt. Weitere Boni kann es z.B. für Weiterempfehlungen geben. Jeder neue Nutzer schafft also neue Coins, allerdings ist die Menge, die ein einzelner User als Belohnung erhalten kann, begrenzt. Die absolute Menge der HMQ wächst jeweils um diese Beträge an, jedoch ist auch die Summe aller möglichen Coins definiert als Fünffaches der Coins, die beim ICO kreiert wurden. Danach werden keine neuen Coins im System emmitiert.
Versuch einer Bewertung
Zunächst einmal scheinen die Anforderungen an ein System für die Zielgruppe der „Bankenlosen“ gut erkannt. Eine der größten technischen Herausforderungen wird wohl die absolut sichere Identifikation. Der Prototyp der App – auch wenn noch weitestgehend funktionsfrei – sieht gut gestaltet aus. Spannend wird die Frage, wie leicht die anvisierten 2,5 Milliarden Menschen Anschluss an das Netzwerk finden. Die durch den ICO jetzt am Währungssystem Teilhabenden werden vermutlich schon über einen Zugang zu Bankdienstleistungen und etwas Kapital verfügen. Und wie werden die zwei Gruppen dann miteinander wirtschaften?
Ein Punkt lässt mich Humaniq jedoch nicht so einfach empfehlen: Ich habe mich bei meiner Recherche auch in „mein Dashboard“ eingeloggt, ein Tool über das der ICO abgewickelt wurde und das noch online zu erreichen ist. Auch wenn die Seite über HTTPS aufgerufen wird, wird das Formular zum Erstellen eines Accounts über ein nicht gesichertes Protokoll abgeschickt. Das heißt, man sendet sein Passwort für den Humaniq-Account im Klartext durch das Internet. In diesem Portal werden auch diverse Tracking-Skripts von z.B. roistat.com, yandex.ru und google-analytics.com geladen.
Nun ist Tracking nicht per se schlimm. In einem Bereich, der Finanztransaktionen zur Verfügung stellt, sollte man jedoch zurückhaltend damit sein und klar darstellen, was man dort tut. Das heißt nicht unbedingt, dass die ICO-Transaktionen unsicher waren. Aber es hinterlässt dennoch ein ungutes Gefühl, wenn ein bankenähnlich agierendes Unternehmen anscheinend nicht die geringsten Sicherheitsanforderungen erfüllt. Hoffentlich wird in der weiteren Entwicklung etwas mehr Augenmerk darauf gelegt.
In dem Tranksaktionsbereich gab es auch einen Online-Chat, der auch kurz zu allgemeinen Themen hilfreich war. Als ich jedoch auf meine Bedenken zur Sicherheit aufmerksam machte, war erst einmal fast 25 Minuten Funkstille. Auf erneute Nachfrage wurde nach meiner Email-Adresse gefragt – Lee, mein Chat-Partner, bräuchte noch etwas Zeit.