Handy spenden und Leben retten: „Wir packen’s an“ sammelt alte Smartphones für Flüchtende

Statt in der Schublade zu liegen, könnte euer altes Handy Menschen auf Fluchtrouten helfen. Der Verein “Wir packen’s an” verrät, wie’s funktioniert.

Autor*in Benjamin Lucks, 29.05.24

Übersetzung Kezia Rice:

Mobilfunkverträge, in denen Kund:innen alle zwei Jahre ein neues Gerät bekommen, neue Funktionen und zu kurze Update-Garantien – obwohl die meisten Handys länger nutzbar wären, landen sie nach wenigen Jahren in der Kiste mit Altelektronik. Doch was unsere Ansprüche an moderne Technik nicht mehr erfüllt, ist für andere Menschen lebenswichtig. Der Verein “Wir packen’s an” verteilt ausrangierte Handys daher an Menschen, die sich auf der Flucht befinden.

Funktionierende Smartphones sind für Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, essenziell. Sie sind eine wichtige Orientierungsmöglichkeit und ermöglichen die Kommunikation mit Familienmitgliedern in der Heimat oder Menschen auf anderen Fluchtrouten. Mit ihren Kameras und Mikrofonen erfüllen sie zudem eine wichtige Schutzfunktion – und werden genau deshalb auf Fluchtrouten oft mutwillig zerstört.

„Normale Taktik, an den Grenzen Handys zu zerstören“

Menschen, die aus der eigenen Heimat flüchten, treten eine unbestimmte und gefährliche Reise an. Denn Schleuser:innen, die ihnen die Flucht aus dem Land ermöglichen, begleiten sie in der Regel nur für eine kurze Zeit. Anschließend müssen sie sich selbst orientieren, um Länder zu erreichen, die ihnen Sicherheit und Asyl gewähren. Ein funktionierendes Smartphone ist dabei ein wichtiger Begleiter.

Lesetipp: „Mit dem Smartphone auf der Flucht“

Die Nutzung von Smartphones entlang von Fluchtrouten ist zwar essenziell, aber nicht immer ungefährlich. Ein spannendes Dossier von „Brot für die Welt“ zeigt, wie staatliche Akteure die Personendaten von Menschen auf der Flucht ausspionieren, um etwa Pushbacks zu organisieren oder fluchtstützende Strukturen zu unterbinden.

Zum Dossier

Mit dem smarten Begleiter können Menschen auf der Flucht ihren aktuellen Standort erkennen, mit Verwandten und Freunden kommunizieren und im schlimmsten Fall auch Verbrechen und Straftaten festhalten. Denn häufig kommt es an Grenzstellen vor, dass Beamt:innen Körperverletzungen begehen oder flüchtende Menschen über illegale Pushbacks zurückdrängen. Über ein Smartphone können Flüchtende dabei zumindest Beweismaterial aufzeichnen, um Grenzbeamt:innen zu einem späteren Zeitpunkt anzuzeigen. Daniel Looser von „Wir packen‘s an“ beschreibt es allerdings als „komplett normale Taktik“, dass Handys bei Grenzkontrollen zusammen mit anderen Gegenständen abgenommen werden. Auch komme es regelmäßig vor, dass Ladebuchsen zerstört würden, womit die Handys kurze Zeit später unbrauchbar werden.

Dadurch solle verhindert werden, dass den Menschen die Flucht gelinge oder Menschenrechtsverletzungen dokumentiert würden. In der Verteilung der gespendeten Geräte legt „Wir packen’s an“ daher einen Fokus auf Menschen, die sich noch auf der direkten Fluchtroute befinden, so Looser. In Einsatzgebieten an EU-Außengrenzen orientiere sich die Organisation zudem an Rückmeldungen ihrer Partnerorganisationen. So erfahren sie, wo die Geräte aktuell am dringendsten benötigt werden.

Damit die Geräte auch tatsächlich nutzbar sind, spendet der Verein unter dem Motto #HangUpOnHate zudem 100 Euro monatlich für SIM-Karten und Ladegeräte. Spenden kann jede:r, der oder die ein altes Smartphone zu Hause liegen hat.

Wie kann ich mein altes Handy spenden?

Interessierte können ausrangierte Handys entweder postalisch oder händisch an Sammelstellen abgeben. Die Abgabe erfolgt dabei anonym und ohne Angaben zu Spender:innen oder Gerätespezifikationen. Als Mindestvoraussetzung gilt allerdings, dass die Geräte mit Facebook, WhatsApp und der quelloffenen Karten-App „Organic Maps“ kompatibel sind. Im Mai 2024 schränkt das die Betriebssystemversionen auf Android 4 und iOS 12.0 ein. Welche Betriebssystem-Version ein Smartphone verwendet, können Spender:innen in den Einstellungen überprüfen.

Mit kostenlosen Checklisten und Informationsbroschüren können Interessierte auf die Aktion aufmerksam machen.

Was Spender:innen vor der Abgabe zusätzlich erledigen müssen, ist das Zurücksetzen des Gerätes inklusive der Löschung vorhandener Nutzungsdaten. Besonders wichtig ist es laut Informationsmaterial von „Wir packen’s an“, Apple-Geräte von der iCloud abzumelden, da diese sich andernfalls nicht neu einrichten lassen. Wie genau das funktioniert, erklärt Apple selbst in einer offiziellen Anleitung.

Die Gruppe „resist.berlin“ übernimmt nach der Abgabe dann die weitere technische Überprüfung der Geräte. Zusätzlich führen sie eine weitere Datenlöschung durch, um die Anonymität und den Datenschutz der Spender:innen sicherzustellen. Eine Ansprechperson von „resist.berlin“ teilte gegenüber RESET mit, dass defekte Geräte zur Entsorgung an die Annahmestelle in MediaMarkt-Saturn-Märkten gegeben würden. Diese geben sie dann zusammen mit anderem Elektroschrott zum Recycling.

Initiative setzt auf Mitmachen

Auch wenn sich nicht alle abgegeben Smartphones zur Weiternutzung eignen, benötigt „Wir packen’s an“ auch weiterhin Unterstützung. Auf der Homepage der Initiative gibt es daher kostenfreie Plakate zum Herunterladen sowie vorgefertigte Social-Media-Inhalte zum Teilen auf Instagram. Aktuell versucht „Wir packen’s an“ zudem, eine Sammelstelle in Westberlin einzurichten. Wer sich in Eigeninitiative oder mit Informationen an der Aktion beteiligen möchte, findet alle weiteren Informationen auf der Homepage von „Wir packen’s an“.

Alter Elektronik durch Spenden ein neues Leben zu geben, verfolgt auch die Initiative „Hey, Alter“. Hier können Menschen alte Computer abgeben, die anschließend zu Lehrzwecken an Kinder und Jugendliche verteilt werden.

Wer weitere Möglichkeiten erfahren möchte, was sich mit alten Smartphones anstellen lässt, der findet über den Link einen ausführlichen Übersichtsartikel hier auf RESET.

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