Nach wie vor beziehen wir unseren Strom vor allem aus großen, zentralen Erzeugeranlagen wie Kohle- und Atomkraftwerken. Und auch wenn die erneuerbaren Energien im Kommen sind und mehr und mehr Solaranlagen und Windparks installiert werden, sind auch sie weitestgehend Teil der zentralen Versorgungsstruktur.
Doch schon jetzt befinden sich auf vielen Dächern von Eigenheimbesitzern Solaranlagen mit den dazugehörigen Batteriespeichern. Diese versorgen meistens nur diesen einen Haushalt – entsteht ein Überschuss an Energie, bleibt dieser ungenutzt oder wird quasi anonym eingespeist. Bei Sonnenflauten wird dann doch der Strom aus den Stadtwerken bezogen. Dass hierin aber ein enormes Potenzial steckt, haben nun einige Startups erkannt und verschiedene Ansätze entwickelt, wie diese Anlagen intelligent und kostengünstig in die Stromnetze integriert werden können.
Solaranlagenbesitzer + Digitalisierung = eine Strom-Community
Eines dieser Unternehmen ist gridX. Das im Mai 2016 von David Balensiefen und Andreas Booke gegründete Startup mischt die traditionelle Energieversorgung mit einer vollintegrierten und herstellerunabhängigen Lösung auf, die kleine Erzeuger und Verbraucher auf einer Plattform zusammenbringt – der gridX-Plattform. Das erklärte Ziel: „Wir möchten klassische Energieversorger überflüssig machen.“
Über die Plattform können Erzeugungsanlagen intelligent gesteuert, alle Energieflüsse im Haushalt dargestellt und bestehende Smart-Home-Lösungen auf einer Plattform integriert werden. Die zugrundeliegende Hardware der digitalen Plattform ist die gridBox. Diese kommuniziert mit den Wechselrichtern der PV-Anlagen und Batteriespeicher und bindet stromerzeugende Haushalte in die Plattform ein. Damit können stromerzeugende Haushalte ihre Autarkie erhöhen und Stromkosten einsparen als auch Reststrom von der gridX-Plattform beziehen und sich somit unabhängig von konventionellen Kraftwerken versorgen. Wer seinen Strom gerade nicht braucht oder speichert, schiebt ihn in einen virtuellen Energiepool. Mitglieder, die momentan Strom benötigen, weil ihre Anlagen gerade keinen Strom produzieren oder sie als reine Verbraucher bei gridX teilnehmen, können diesen Strom beziehen.
Mit dieser Lösung werden Menschen mit einer Solaranlage und einem Energiespeicher zu Stromlieferanten für alle. Und weiter gedacht könnten sich damit demnächst Gemeinden und Städte zu unabhängigen, selbstversorgenden Energiegemeinschaften zusammenschließen.
Neu ist die Idee nicht. Der Leipziger Energieversorger Senec setzt schon seit 2014 auf eine Cloud-Lösung für Solarstrom, der Batteriehersteller Sonnen verfolgt mit seiner Sonnen-Community ein ähnliches Prinzip wie gridX. Allerdings lassen sich über Sonnen nur die Batterien aus dem eigenen Hause vernetzten, gridX-Kunden jedoch sollen Speicher eines beliebigen Herstellers einbinden können.
Eine New Yorker Straße läutet die Zukunft der dezentralen, nachbarschaftlichen Energieversorgung ein
Eine andere Lösung wird gerade im New Yorker Stadtteil Gowanus erprobt. Hier versorgen Bürger der einen Straßenseite der President Street ihre Nachbarn auf der anderen Seite mit selbsterzeugtem Strom aus Solarpanels.
Wirklich revolutionär macht das Experiment das Blockchain-Verfahren, mit dem die Nutzer Abrechnung und Bezahlung direkt untereinander, ohne einen dazwischen geschalteten Versorger, abwickeln können. Dabei werden, vereinfacht gesagt, alle zwischen Anbieter und Kunden ausgetauschten Daten verschlüsselt, gespeichert und abgesegnet. Jeder Befugte hat jederzeit Zugriff darauf, niemand kann behaupten, er hätte weniger Strom bezogen oder weniger Geld bekommen als abgemacht.
Natürlich werfen diese neue Mini-Grid-Modelle auch eine Reihe von Fragen auf: Wollen viele Verbraucher überhaupt auf einen zentralen Ansprechpartner verzichten? Lassen sich dezentrale Versorgermodelle langfristig mit wirtschaftlichen Ansätzen verbinden? Wie geht es weiter mit Ökostrom-Umlage, Netzentgelten und Stromsteuer?
Bei den großen Stromversorgern werden wohl alle Alarmglocken klingeln. Denn wenn Erzeuger und Verbraucher sich am digitalisierten Strommarkt dezentral und selbstständig mit Strom versorgen, könnten die Dienste der Stromgiganten mehr und mehr verzichtbar sein. Für die Energiewende tun sich in all diesen Ansätzen jedoch endlich schlaue Lösung auf, die wirklich die Möglichkeiten von erneuerbaren Energien gepaart mit der Digitalisierung sinnvoll ausschöpfen. Eine spannende Entwicklung, die wir im Auge behalten sollten!