Der Ausgangspunkt des Projekts „Green Consumption Assistant“ war ein doppeltes Dilemma. Erstens: Viele Menschen geben zwar an, dass sie nachhaltigere Kaufentscheidungen treffen wollen, aber sie handeln nicht danach. Zweitens: Es fehlen offen zugängliche und maschinenlesbare Daten über nachhaltige Produkte, um nachhaltige Konsumentscheidungen zu erleichtern und das Sucherlebnis zu verbessern.
Keine nachhaltigen Optionen beim Online-Kauf zu haben sollte nicht länger eine Entschuldigung sein
Daher hat sich das Forschungsteam des „Green Consumption Assistant“ zum Ziel gesetzt, Verbraucher*innen bei der Suche und dem Kauf nachhaltiger Produkte zu unterstützen und eine umfassende Datenbank mit nachhaltigkeitsbezogenen Produktdaten entwickelt. Die sogenannte GreenDB wird wöchentlich aktualisiert und enthält derzeit über 600.000 Elektronik- und Bekleidungsprodukte, die in den Produktkatalogen der größten Online-Händler aus mehreren europäischen Ländern als nachhaltig gekennzeichnet sind. Die Datenbank gibt Aufschluss darüber, wie verlässlich die Nachhaltigkeitsinformationen zu einem bestimmten Produkt sind, also ob es ein glaubwürdiges, von Dritten verifiziertes Nachhaltigkeitslabel trägt. Auf Basis der Datenbank werden in der Suchmaschine von Ecosia unter der Rubrik „Shopping“ nachhaltige Produkte hervorgehoben. Zudem können Such- und Empfehlungsalgorithmen im E-Commerce die GreenDB nutzen, um Nachhaltigkeitsaspekte bei ihren automatisierten Entscheidungen zu berücksichtigen.
Anfang des Jahres untersuchte das Forschungsteam anhand der Daten der GreenDB, wie vertrauenswürdig die verfügbaren Nachhaltigkeitsinformationen in Deutschlands größten Online-Shops sind. Dabei stellte sich heraus, dass nur 14 Prozent der als nachhaltig gekennzeichneten Produkte mit Nachhaltigkeitssiegeln zertifiziert sind, die vom Forschungsteam als glaubwürdig und in Hinsicht auf ökologische und soziale Nachhaltigkeitsattribute als ambitioniert eingeschätzt werden. Diese Bewertung basiert auf den Label-Bewertungen des staatlichen Informationsportals Siegelklarheit. Der geringe Anteil an Produkten, die strengen Nachhaltigkeitsanforderungen genügen, zeigt, wie schwierig es für Verbraucher*innen ist, tatsächlich nachhaltige Produkte zu erkennen. Die vielen Labels mit geringer Glaubwürdigkeit verhindern die Vergleichbarkeit und sorgen für Verwirrung und Unsicherheit. Die Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass viele Unternehmen zwar der steigenden Nachfrage nach Nachhaltigkeitsinformationen nachkommen, diese aber in erster Linie zu Marketingzwecken zu nutzen scheinen. Mit anderen Worten, diese Ergebnisse belegen das weit verbreitete und fast unkontrollierte Greenwashing im E-Commerce.
Dieses Problem wurde von der europäischen Gesetzgebung erkannt und wird durch die „Initiative on substantiating green claims“ angegangen. Der vorgeschlagene Rechtsrahmen soll sicherstellen, dass Unternehmen den ökologischen Fußabdruck ihrer Produkte anhand standardisierter Quantifizierungsmethoden nachweisen.
Initiativen, die Greenwashing aufdecken, dringend nötig
Die Umsetzung des europäischen Gesetzes in den Mitgliedsländern hat schon erste Früchte getragen: Zum Beispiel wurden H&M und Decathlon im Sommer diesen Jahres von der niederländischen Behörde für Verbrauchermärkte (ACM) wegen irreführender Werbeaussagen gerügt. Um Sanktionen zu vermeiden, versprachen die beiden Unternehmen, Verbraucher*innen besser zu informieren und spendeten mehrere Hunderttausend Dollar für Nachhaltigkeitsanliegen in der Modeindustrie. Darüber hinaus wurde angekündigt, dass ASOS von der Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde (CMA) wegen Greenwashing-Vorwürfen untersucht werden soll.
Zur gleichen Zeit konnte in der GreenDB ein deutlicher Rückgang der als nachhaltig gekennzeichneter Produkte im Onlineshop von ASOS festgestellt werden. Seit Mitte Juli sank die Zahl der nachhaltigen Produkte kontinuierlich. Die Daten zeigten ferner, dass H&M seit Mitte Juni die mit dem Higg-Index zertifizierten Produkte komplett aus dem Onlineshop entfernt hat.
Vieles deutet also darauf hin, dass der Begriff „nachhaltig“ im E-Commerce inflationär verwendet wird – oft ohne jeglichen Nachweis durch ein von Dritten zertifiziertes Label mit hohen Nachhaltigkeitsanforderungen. Untersuchungen von Behörden haben einen großen Einfluss darauf, wie Unternehmen mit Nachhaltigkeitsinformationen umgehen. Daher sind politische Initiativen dringend erforderlich, die die vielen unzureichenden Nachhaltigkeitsangaben auf mögliches Greenwashing untersuchen.
Der vollständige Artikel „Nudging Green Consumption: A Large-Scale Data Analysis of Sustainability Labels for Fashion in German Online Retail“ von Maike Gossen, Felix Bießmann und ihren Co-Autoren ist in Frontiers in Sustainability (open access) erschienen.
Die GreenDB ist in einem offenen Repository öffentlich zugänglich, so dass zukünftige Forschungen ein vollständigeres Bild des aktuellen Stands der Nachhaltigkeitsinformationen im Online-Handel zeichnen können.
Dies ist ein Gastbeitrag von Maike Gossen und Felix Biessmann. Maike Gossen ist Post-Doc im Fachgebiet Sozial-ökologische Transformation der TU Berlin und leitet das Forschungsprojekt “Green Consumption Assistant”, das gemeinsam mit Ecosia und der BHT Berlin umgesetzt wird.