Greenwashing im Online-Modehandel: Angaben zur Nachhaltigkeit von Produkten oft ungeprüft und nicht ambitioniert genug

Der Green Consumption Assistant unterstützt Nutzer*innen von Ecosia bei der Suche nach nachhaltigen Produkten. Jedoch genügt nur ein geringer Anteil der im Onlinehandel als nachhaltig gekennzeichneten Produkte hohen Ansprüchen an Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit.

Autor*in Maike Gossen, 28.11.22

Übersetzung Maike Gossen:

Der Ausgangspunkt des Projekts „Green Consumption Assistant“ war ein doppeltes Dilemma. Erstens: Viele Menschen geben zwar an, dass sie nachhaltigere Kaufentscheidungen treffen wollen, aber sie handeln nicht danach. Zweitens: Es fehlen offen zugängliche und maschinenlesbare Daten über nachhaltige Produkte, um nachhaltige Konsumentscheidungen zu erleichtern und das Sucherlebnis zu verbessern.

Keine nachhaltigen Optionen beim Online-Kauf zu haben sollte nicht länger eine Entschuldigung sein

Daher hat sich das Forschungsteam des „Green Consumption Assistant“ zum Ziel gesetzt, Verbraucher*innen bei der Suche und dem Kauf nachhaltiger Produkte zu unterstützen und eine umfassende Datenbank mit nachhaltigkeitsbezogenen Produktdaten entwickelt. Die sogenannte GreenDB wird wöchentlich aktualisiert und enthält derzeit über 600.000 Elektronik- und Bekleidungsprodukte, die in den Produktkatalogen der größten Online-Händler aus mehreren europäischen Ländern als nachhaltig gekennzeichnet sind. Die Datenbank gibt Aufschluss darüber, wie verlässlich die Nachhaltigkeitsinformationen zu einem bestimmten Produkt sind, also ob es ein glaubwürdiges, von Dritten verifiziertes Nachhaltigkeitslabel trägt. Auf Basis der Datenbank werden in der Suchmaschine von Ecosia unter der Rubrik „Shopping“ nachhaltige Produkte hervorgehoben. Zudem können Such- und Empfehlungsalgorithmen im E-Commerce die GreenDB nutzen, um Nachhaltigkeitsaspekte bei ihren automatisierten Entscheidungen zu berücksichtigen.

Anfang des Jahres untersuchte das Forschungsteam anhand der Daten der GreenDB, wie vertrauenswürdig die verfügbaren Nachhaltigkeitsinformationen in Deutschlands größten Online-Shops sind. Dabei stellte sich heraus, dass nur 14 Prozent der als nachhaltig gekennzeichneten Produkte mit Nachhaltigkeitssiegeln zertifiziert sind, die vom Forschungsteam als glaubwürdig und in Hinsicht auf ökologische und soziale Nachhaltigkeitsattribute als ambitioniert eingeschätzt werden. Diese Bewertung basiert auf den Label-Bewertungen des staatlichen Informationsportals Siegelklarheit. Der geringe Anteil an Produkten, die strengen Nachhaltigkeitsanforderungen genügen, zeigt, wie schwierig es für Verbraucher*innen ist, tatsächlich nachhaltige Produkte zu erkennen. Die vielen Labels mit geringer Glaubwürdigkeit verhindern die Vergleichbarkeit und sorgen für Verwirrung und Unsicherheit. Die Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass viele Unternehmen zwar der steigenden Nachfrage nach Nachhaltigkeitsinformationen nachkommen, diese aber in erster Linie zu Marketingzwecken zu nutzen scheinen. Mit anderen Worten, diese Ergebnisse belegen das weit verbreitete und fast unkontrollierte Greenwashing im E-Commerce.

Dieses Problem wurde von der europäischen Gesetzgebung erkannt und wird durch die „Initiative on substantiating green claims“ angegangen. Der vorgeschlagene Rechtsrahmen soll sicherstellen, dass Unternehmen den ökologischen Fußabdruck ihrer Produkte anhand standardisierter Quantifizierungsmethoden nachweisen.

Initiativen, die Greenwashing aufdecken, dringend nötig

Die Umsetzung des europäischen Gesetzes in den Mitgliedsländern hat schon erste Früchte getragen: Zum Beispiel wurden H&M und Decathlon im Sommer diesen Jahres von der niederländischen Behörde für Verbrauchermärkte (ACM) wegen irreführender Werbeaussagen gerügt. Um Sanktionen zu vermeiden, versprachen die beiden Unternehmen, Verbraucher*innen besser zu informieren und spendeten mehrere Hunderttausend Dollar für Nachhaltigkeitsanliegen in der Modeindustrie. Darüber hinaus wurde angekündigt, dass ASOS von der Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde (CMA) wegen Greenwashing-Vorwürfen untersucht werden soll.
Zur gleichen Zeit konnte in der GreenDB ein deutlicher Rückgang der als nachhaltig gekennzeichneter Produkte im Onlineshop von ASOS festgestellt werden. Seit Mitte Juli sank die Zahl der nachhaltigen Produkte kontinuierlich. Die Daten zeigten ferner, dass H&M seit Mitte Juni die mit dem Higg-Index zertifizierten Produkte komplett aus dem Onlineshop entfernt hat.

Vieles deutet also darauf hin, dass der Begriff „nachhaltig“ im E-Commerce inflationär verwendet wird – oft ohne jeglichen Nachweis durch ein von Dritten zertifiziertes Label mit hohen Nachhaltigkeitsanforderungen. Untersuchungen von Behörden haben einen großen Einfluss darauf, wie Unternehmen mit Nachhaltigkeitsinformationen umgehen. Daher sind politische Initiativen dringend erforderlich, die die vielen unzureichenden Nachhaltigkeitsangaben auf mögliches Greenwashing untersuchen.

Der vollständige Artikel „Nudging Green Consumption: A Large-Scale Data Analysis of Sustainability Labels for Fashion in German Online Retail“ von Maike Gossen, Felix Bießmann und ihren Co-Autoren ist in Frontiers in Sustainability (open access) erschienen.

Die GreenDB ist in einem offenen Repository öffentlich zugänglich, so dass zukünftige Forschungen ein vollständigeres Bild des aktuellen Stands der Nachhaltigkeitsinformationen im Online-Handel zeichnen können.

Dies ist ein Gastbeitrag von Maike Gossen und Felix Biessmann. Maike Gossen ist Post-Doc im Fachgebiet Sozial-ökologische Transformation der TU Berlin und leitet das Forschungsprojekt “Green Consumption Assistant”, das gemeinsam mit Ecosia und der BHT Berlin umgesetzt wird.

©
Die Digitalisierung kann die nachhaltige Landwirtschaft voranbringen – unter bestimmten Voraussetzungen

In der Landwirtschaft ist die Digitalisierung längst angekommen. Wie aber zahlen diese Entwicklungen auf den Umwelt- und Klimaschutz ein? Wir stellen Lösungen vor.

Baus Taka
Baus Taka
Eine neue App bringt das Abfallmanagement in Mombasa voran

Die App Baus Taka bietet Nutzer*innen in Mombasa die Möglichkeit, Abfälle sammeln und recyceln zu lassen und damit Geld zu verdienen.

Essbare Elektronik: Mit verdaulichen Robotern und nahrhaften Drohnen Elektroschrott reduzieren

Schon mal von essbarer Elektronik gehört? Klingt nach einem Widerspruch, könnte aber - neben anderen Vorteilen - eine Lösung gegen Elektroschrott sein.

Dieses Logistik-Tool verbessert die humanitäre Hilfe und senkt die Kosten für das Internationale Rote Kreuz drastisch

Das Internationale Rote Kreuz versorgt Menschen in Not mit lebenswichtigen medizinischen Gütern. Ein Logistik-Tool verbessert ihre komplizierte Arbeit.

„Die Landwirtschaft kann so viel mehr als Lebensmittel produzieren.“ Interview mit Sonoko Bellingrath-Kimura (ZALF)

In der Landwirtschaft werden vor allem Lebensmittel produziert. Sie kann aber auch zum Schutz von Klima und Natur beitragen. Welche Rolle der Digitalisierung dabei zukommt, darüber haben wir mit Prof. Dr. Sonoko Dorothea Bellingrath-Kimura gesprochen.

Elektroschrott – „e-waste“

Der Durchschnittscomputer eines westlichen Nutzers hat eine Halbwertszeit von wenigen Monaten. Dann muss ein Neuer her: mehr Arbeitsspeicher, neue Grafik- und Soundkarten oder ein "cooleres" Design werden benötigt. Das gleiche Schicksal ereilt Smartphones und andere technische Geräte. Doch was passiert mit dem Elektroschrott?

Kinderarbeit – Warum arbeiten Kinder?

Laut UN-Kinderrechtskonventionen hat jedes Kind das Recht zu spielen, zur Schule zu gehen, eine Ausbildung zu machen und sich zu erholen. Für weltweit mehr als 168 Millionen Kinder zwischen 5 und 14 Jahren sieht die Realität nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) jedoch ganz anders aus.

Joseph Maina
Joseph Maina
Interview mit Joseph Maina, RESETs Stimme aus Kenia

Joseph Maina ist freiberuflicher Journalist und lebt in der kenianischen Stadt Naivasha – und er schreibt für RESET über Nachhaltigkeit und Digitalisierung in Kenia.