Wälder nehmen Kohlenstoff auf, unterstützen die Artenvielfalt und wirken sich auch auf unsere psychische Gesundheit positiv aus. Daher scheint jede Initiative, die abgeholzte Gebiete wieder mit Bäumen bevölkert oder städtische Gebiete begrünt, ein großer Gewinn für Mensch und Tier zu sein. In der Praxis erfordert die Schaffung neuer Wälder jedoch mehr, als nur einen Samen in den Boden zu stecken. Während das Pflanzen von Bäumen eine Sache ist, ist es eine ganz andere, dass aus den Samen und Stecklingen stattliche Bäume heranwachsen. In der „freien Natur“ werden Bäume von riesigen unterirdischen Netzwerken aus Pilzen, Bakterien und Pflanzenwurzeln unterstützt, die manchmal als „Wood Wide Web“ bezeichnet werden. Dieses Netzwerk bietet wichtige Strukturen, über die Bäume nicht nur Nährstoffe aus dem Boden, sondern auch lebenswichtige Informationen über ihre ökologische Umgebung austauschen können.
Fehlen diese unterirdischen Systeme, die sich über Jahrhunderte der Koexistenz und Symbiose entwickelt haben, wird es für junge Bäume schwieriger, zu überleben. In Städten ist genau das der Fall. Zusätzlichen Druck auf Bäume üben in städtischen Umgebungen Verkehrsemissionen, Müll und ein Platzmangel für ihre Wurzeln aus. Ein Baum mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von über 130 Jahren wird in einer städtischen Umgebung oft nur wenige Jahre alt. Daher brauchen Bäume Hilfe, um auch hier gut wachsen zu können. Während Städte immer mehr digitale Innovationen in ihr Abfallmanagement, ihre Mobilität und sogar in ihre Beleuchtungssysteme integrieren, hat sich die städtische Forstwirtschaft lange Zeit auf einfache, meist zeitintensive und oft ineffiziente Lösungen auf Basis ungenauer Daten verlassen.
An dieser Stelle kommt Green City Watch ins Spiel. Seit 2018 nutzt die in Amsterdam ansässige Open-Source-Initiative eine aufstrebende wissenschaftliche Disziplin namens „geospatiale künstliche Intelligenz“ (oder GeoAI), die ökologisches Engineering, maschinelle Lerntechniken und Fernerkundungsmethoden kombiniert, um Einblicke in die Gesundheit und das Wohlbefinden des städtischen Grüns zu geben und zu ermitteln, wo beim Bau neuer Grünflächen die größte Wirkung erzielt werden kann.
„Diese Stadtbäume sind sehr lebendig!“ bemerkt Mitbegründerin Nadina Galle. „Aber ihre natürlichen Kommunikationsnetzwerke sind gestört: Sie sind in Silos gepflanzt und nicht Teil eines verbundenen Ökosystems. Also nutzen wir Technologie, um zu verstehen und dort einzugreifen, wo städtische Umgebungen diese Störungen verursachen.“
Ein digitaler Gesundheitscheck für Stadtbäume – von oben
TreeTect , eine Open-Source-Software von Green City Watch, sammelt mit Hilfe von Satellitenbildern und maschinellem Lernen Informationen über die Anzahl und den Gesundheitszustand von Stadtbäumen und ermöglicht es den Nutzer*innen, ein KI-gestütztes digitales Bauminventar zu erstellen. Durch die Verwendung von hochauflösenden (VHR) Satellitenbildern ist TreeTect in der Lage, große Bereiche städtischer Terrains zu scannen, um sowohl die Quantität als auch die Qualität der Grünflächen in Städten zu überprüfen. Bisher konnte diese Technologie nur Datensätze bis zu einer Auflösung von 10 Quadratmetern messen – was zwar hilfreich ist, wenn man grüne Flecken in einer grauen Stadt lokalisieren will, aber nicht ausreicht um zu klären, was diese grünen Flächen bedeuten. Jetzt kann diese Technologie bis auf einen Quadratmeter hinunter messen. Der Baumerkennungsalgorithmus kann damit nicht nur herausfinden, wo sich die Parks der Stadt befinden, sondern auch, ob es sich um einen grünen Baum, Sträucher, Büsche oder ein grünes Gartenhäuschen handelt. Das bedeutet, dass er in der Lage ist, den Standort, die Größe, die Form – und sogar den Gesundheitszustand – von einzelnen Bäumen nahezu in Echtzeit zu bestimmen.
Jeder Baum hat eine einzigartige „spektrale Signatur“ und die Betrachtung hyperspektraler Schnappschüsse von ihnen kann wichtige Erkenntnisse über ihren Gesundheitszustand liefern. Diese Bilder werden in der Regel von Satelliten oder manchmal auch von Drohnen aufgenommen und messen die reflektierte Energie innerhalb mehrerer bestimmter Abschnitte (auch Bänder genannt) des elektromagnetischen Spektrums. Sie können zeigen, wie viel sichtbares Licht (von 0,4 bis 0,7 µm) von den Pflanzenblättern absorbiert und wie viel reflektiert wird. Die Gesundheit der Vegetation, wie die von Bäumen, kann durch die Messung des Unterschieds zwischen der Reflexion von Nahinfrarot (das gesunde Vegetation stark reflektiert) und rotem Licht (das gesunde Vegetation und insbesondere das Chlorophyll in ihr stark absorbiert) geschätzt werden. Dies ist nur ein wichtiger Marker für das Verhalten gesunder Bäume. Anhand dieser Informationen können Stadtförster*innen besser verstehen, welche Bäume die dringendste Pflege vor Ort benötigen, und ihre Erhaltungsbemühungen effizienter und kostengünstiger ausrichten.
Der Detailgrad, den moderne Satellitenbilder bieten, kann viel über den Zustand der Grünflächen verraten – zum Beispiel, wo es Abflusshindernisse gibt, die zu Überschwemmungen führen könnten; oder ob das Grün/Grau-Verhältnis in Städten im Gleichgewicht ist. Kombiniert mit Informationen über die Anzahl von Spielplätzen und Grünflächen zum Spazierengehen und Sitzen kann so auch Auskunft über die soziale Bedeutung eines Gebietes gegeben werden. Diese Erkenntnisse sind für eine Vielzahl von Anwender*innen von Bedeutung, nicht nur für Förster*innen und Baumpfleger*innen: Datenwissenschaftler*innen, Anwohner*innen und politische Entscheidungsträger*innen können diese Daten nutzen, um städtische Umgebungen umfassender zu verstehen, ihre Grünflächen zu verwalten und den Erfolg von Stadtbegrünungsprojekten besser zu messen.
Tatsächlich wachsen bis zu 50-70 Prozent der Stadtbäume auf Privatgrundstücken, was bedeutet, dass diese Bäume nicht von den Kommunen gepflegt werden (wie viele glauben). Die Gemeinden haben hier nur begrenzte Befugnisse, bestehende Bäume zu pflegen oder neue zu pflanzen. Außerdem sind alte Bäume den Launen privater Landbesitzer unterworfen – und obwohl technisch gesehen eine Genehmigung erforderlich ist, um Bäume zu fällen, ist dies mitunter schwer zu regeln. „Wenn man von Abholzung hört, denkt man eher an den Amazonas oder an Borneo, aber eigentlich passiert sie hier direkt vor den Augen der Menschen“, weist Galle hin. „Wir müssen den Sinn für den Wert von Bäumen wiederherstellen und erkennen, dass sie wichtige Teile unserer Stadtlandschaften sind, die nicht einfach ersetzt werden können.“
Technologie im Dienste der Natur
Green City Watch bezieht visuelle Erkenntnisse aus einer Reihe verschiedener Quellen ein – darunter Daten der Sentinel-Satelliten, kommerzielle Bilder von Maxar Technologies und Planet Labs sowie Bilder von Drohnen. Und um die Bedeutung hinter den Daten aufzudecken, kombinieren sie ihre ökologischen Ingenieur- und Fernerkundungsmethoden mit Techniken des maschinellen Lernens. Die Anwendung von KI-Algorithmen zur Nutzung und Verarbeitung von GIS-Daten (geografische Informationssysteme) ermöglicht die Analyse und Visualisierung von Räumen in großem Maßstab durch Automatisierung sowie die konsequente Überwachung von Veränderungen in Grünflächen über längere Zeiträume. KI kann auch Muster aus großen Datenmengen extrahieren, die ansonsten von menschlichen Analysten übersehen würden oder deren Analyse einfach zu lange dauern würde.
Bislang hat Green City Watch mit über 30 Städten auf der ganzen Welt zusammengearbeitet, von Amsterdam bis Jakarta. Das Team hat mit den City Planning Labs (CPL) der Weltbank zusammengearbeitet, um in 26 der bevölkerungsreichsten Städte Indonesiens durch die Kartierung der dortigen Grün- und Bauräume Interventions-Hotspots und -möglichkeiten zu identifizieren. In Tiflis, Georgien, hat Green City Watch den lokalen Behörden, die den Bau neuer Parks erwägen, Informationen über die Bodenqualität zur Verfügung gestellt; und in ihrer Heimatstadt Amsterdam nutzten sie Fernerkundungstechniken, um stehendes Wasser in der Stadt zu kartieren, was ihnen half, das Hochwasserrisiko zu berechnen.
Was aber sind Galles Gedanken über die Beziehung zwischen Natur und Digitalisierung aus einer eher philosophischen Perspektive? Für einige mag die Anwendung neuer Technologien zum Schutz der Natur kontraintuitiv erscheinen. Wie können wir, um eine der Maximen des Projekts zu verwenden, „die Art und Weise, wie wir die Natur schätzen, revolutionieren“, ohne die traditionelleren oder taktilen Wege, sie zu schätzen, auszulöschen? „Ich denke, die Leute interpretieren das oft falsch, als ob wir versuchen würden, alles zu digitalisieren, um alles zu digitalisieren“, sagt Galle. „Aber es geht nicht wirklich um die Technologie – die Technologie ist nur ein Mittel, und wir sind sehr kritisch, was funktioniert und was nicht.“ Sie betont, wie wichtig es ist, sich in das Problem zu verlieben, anstatt „so sehr an einer Lösung zu hängen, dass man anfängt, das Gefühl dafür zu verlieren, warum man überhaupt in dieses Feld eingetreten ist“. Um im Dienste der Natur und nicht im Dienste der Technologie zu handeln, würde es helfen, eine kreative, anpassungsfähige Denkweise zu bewahren, sagt Galle.
Die Gemeinde begrünen
An der Wurzel von Green City Watch liegt der Wunsch, gesunde Beziehungen zwischen menschlichen Gemeinschaften und der lokalen Forstwirtschaft zu pflegen. Galle betont die Idee der „Baumverantwortung“, bei der die Einheimischen ein aktives Interesse an den Bäumen haben, die sie jeden Tag sehen. Dies ist während der Coronavirus-Pandemie in den Vordergrund gerückt: Mit einem neu entdeckten Sinn dafür, nach draußen zu gehen und frische Luft zu schnappen, nutzen viele Menschen lokale Baumkarten-Apps, um verschiedene Baumarten in ihrer Nachbarschaft zu lokalisieren und zu identifizieren, und in Städten in Deutschland haben sich sogar Nachbar*innen organisiert, um Bäume gemeinsam zu bewässern. „Das ist ein fantastischer Weg, um die Gemeinschaft für die Baumpflege zu gewinnen“, erklärt Galle, „und bringt die Leute auch dazu, auf ihre lokale Forstwirtschaft zu achten.“ Indem man die Anwohner*innen dazu ermutigt, die Bäume in ihrer Umgebung im Auge zu behalten, investieren sie mehr in deren Langlebigkeit.
Für Galle hat die Anwendung digitaler Technologien auf die Natur das Potenzial, die Kluft zwischen Mensch und Natur zu verringern. „Jeder Mensch hat das Recht, die Natur vor seiner Haustür zu haben. Wir müssen von dieser ‚wir gegen die Wildnis‘-Mentalität wegkommen.“ Es reicht nicht aus, Samen zu pflanzen und zu hoffen, dass die Natur sich um den Rest kümmert: Wir müssen aufmerksamer sein, besser verstehen lernen, wie Bäume mit städtischen Landschaften interagieren, und ihnen helfen zu gedeihen. Das wird es nicht nur die Arbeit der Stadtverwaltungen erleichtern, sondern auch den Bäumen, den Klimawandel und die neuen Umgebungen des Anthropozäns zu überleben.
Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Sarah-Indra Jungblut. Das Original erschien zuerst auf unserer englsichsprachigen Seite.
Dieser Artikel ist Teil des Dosssiers „Satelliten und Drohnen – Wertvolle Helfer für eine nachhaltige Entwicklung“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier Satelliten und Drohnen
Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers über zwei Jahre zum Thema „Chancen und Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung“ erstellen.
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