Arzneimittel – Für Arme unbezahlbar
In Deutschland machten Generika 2008 über 60 Prozent aller verordneten Arzneimittel aus. Dadurch konnten in der deutschen Gesetzlichen Krankenversicherung Einsparungen in Höhe von 11 Mrd. Euro erreicht werden. Der Anteil Generika in Entwicklungsländern ist nicht genau zu beziffern. Dass lebenswichtige Originalpräparate jedoch Mangelware in vielen Entwicklungsländern sind, ist eine Tatsache. Original-Medikamente sind vor allem für viele arme Menschen in Entwicklungsländern unerreichbar, da sie in der Regel aus der eigenen Tasche bezahlt werden müssten.
Nach Schätzungen von Health Action International und Oxfam International haben mehr als fünf Millionen Menschen in Ländern geringen oder mittleren Einkommens noch immer keinen Zugang zu antiretroviralen Arzneien, die für die Behandlung von HIV und AIDS benötigt werden. Generika sind preisgünstige Alternativen zu teuren Original-Präparaten. Während von den weltweit 33 Mio. HIV-infizierten Menschen 22,5 Mio. in Afrika leben, bleiben für die meisten dieser Menschen die Ergebnisse der neuesten Forschungen unerreichbar. Die jüngsten Preissenkungen für AIDS-Medikamente sind vor allem Angeboten von Generika-Herstellern zu verdanken.
Stop stock-outs
Medikamente sind in vielen ärmeren Ländern Mangelware. Der Preis der Medikamete ist eine der Ursachen, warum Medikamente in vielen Ländern oder Regionen nicht verfügbar sind. Das Projekt „Stop stock-outs“ dokumentiert den Stock-Out -also das Fehlen- von grundlegenden Basismedikamenten (hier Afrika). Mehr Projektinformationen unter: http://stockouts.org/
Eine bessere Gesundheitsversorgung durch Generika?
NRO wie Medico International und Health Action International sehen in der Produktion von Generika derzeit die einzige Möglichkeit, einkommensschwachen Menschen den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten zu ermöglichen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im Jahr 2008 einen globalen Aktionsplan erarbeitet, der die Arzneimittelversorgung in den Entwicklungsländern verbessern soll. Eines seiner Ziele ist die Produktion von Generika in den Entwicklungsländern selbst. Der Aktionsplan „Global strategy and plan of action on public health, innovation and intellectual property“ zum Download.
Ein beispielhaftes Pilotprojekt auf dem Gebiet der Generika-Produktion in Entwicklungsländern stellt die Firma „Pharmakina“ dar. Seit 2005 produziert das Unternehmen in Bukavu/DR Kongo das HIV-Medikament „AfriVir“, wobei ein Großteil der 1.500 Angestellten selbst HIV-positiv ist. Die Kosten für eine AIDS-Therapie belaufen sich dank des Generikums auf nur 150 Euro statt 10.000 Euro pro Jahr und Patient. Doch die meisten Kongoleser können noch nicht einmal diesen Betrag aufbringen. Deswegen fördert das deutsche Entwicklungsministerium und das Medikamentenhilfswerk „action medeor“ diese und andere Projekte.
In Indien ist die Produktion von Generika mittlerweile nicht nur ein milliardenschwerer Industriezweig. Indien gilt auch als Apotheke der Armen. Über die Hälfte aller in Schwellen- und Entwicklungsländern verwendeten HIV-Medikamente stammen nach Angaben der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ aus Indien.
Wie kann nun die Qualität der in den Schwellenländern hergestellten Generika sichergestellt werden? Dazu hat die Weltgesundheitsorganisation ein Programm zur Qualitätssicherung erarbeitet. Viele internationale Gesundheitsprogramme akzeptieren nur Generika, welche der sog. WHO-Präqualifizierung Stand halten.
Generika für alle?
Warum also nicht alle Entwicklungsländer mit Generika versorgen? Das Hauptproblem für den Markteintritt neuer Generika liegt im Patentschutz. Da die Entwicklung eines Medikaments von der Grundlagenforschung bis zur Marktreife zwischen 150 Mio. und 250 Mio. Euro kostet, wird zur Amortisierung dieser Kosten eine Zeitspanne angesetzt, in der das betreffende Medikament nicht kopiert werden darf. In der Regel handelt es sich um 10 bis 15 Jahre. Dies ist verständlich mit Blick auf das Gesundheitswesen der Industrienationen, nicht jedoch hinsichtlich der katastrophalen Zustände in den Entwicklungsländern. Dem Recht auf Schutz des geistigen Eigentums steht das Überleben von Millionen von Menschen gegenüber.
Die gegenwärtigen rechtlichen Rahmenbedingungen sehen vor, dass armen Ländern ohne ausreichende Produktionskapazitäten für Medikamente grenzüberschreitend Zwangslizenzen nutzen dürfen. Damit dürfen diese Länder nicht nur Generika von patentgeschützten Medikamenten herstellen, sondern auch preiswerte Medikamente importieren, die unter Zwangslizenzen hergestellt wurden. Für viele NRO stellt dies aber nur eine unzureichende Lösung dar, da viele Ländern nicht über ausreichende Pharma-Produktionskapazitäten verfügen, das Antragsverfahren hoch kompliziert ist und notwendige Arzneimittel nicht einfach importieren werden können, sofern diese im Exportland patentgeschützt sind.
Mehr Informationen zu dieser Problematik: http://www.med4all.org/index.php?id=10
Wie können nun aber Menschen in armen Ländern von den Forschungsergebnissen der Industrieländer profitieren und lebensnotwendige Medikamente erschwinglich gemacht werden?
Equitable Licenses – Ein Ausweg?
Aufgrund der oben genannten Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Zwangslizenzen setzen sich Initiativen wie die BUKO Pharma-Kampagne und Organisationen wie der Gesundheit und Dritte Welt e.V. dafür ein, neue Lizenzmodelle zu entwickeln, um die Ergebnisse modernster Pharma-Forschung so schnell und effizient wie möglich Millionen von Patienten in den Schwellen- und Entwicklungsländern zugänglich zu machen.
Sog. Equitable Licenses sind besondere Lizenmodelle, welche die Möglichkeit bieten, die soziale Verantwortung der Wissenschaft wieder stärker hervorzuheben. Ziel ist es, dass Produkte und Technologien für möglichst viele Menschen zugänglich werden.
Bei Equitable Licenses wird jede Lizenz individuell ausgehandelt. Die wesentlichen Rahmenbedingungen betreffen zunächst die Zuweisung der Rechte. So sollen Industriepartnern möglichst kein Eigentum am Patentrecht zugestanden und keine exklusiven Lizenzen vereinbart werden. Der öffentliche Forschungsträger behält sich zudem vor, die Lizenz zu kündigen, wenn das Patent nicht zum gesellschaftlichen Nutzen verwendet wird.
Schließlich muss die Verfügbarkeit der Medikamente zu einem fairen Preis in den Entwicklungsländern sicher gestellt, in ärmeren Ländern außerdem der Wettbewerb ermöglicht werden – z.B. durch offene Lizenzen für die Produktion in diesen oder für diese Länder. Dies entspricht einer Marktaufteilung: exklusive Lizenzen für Industrieländer, nichtexklusive Lizenzen für Entwicklungsländer.
Hintergrund zu den Equitable Licenses
Der Prototyp einer Equitable Access License wurde an der Yale University als Reaktion auf die Auseinandersetzung um das HIV-Medikament d4t entwickelt. Das ursprüngliche Krebsmedikament wurde in den 1980ern hinsichtlich seines Potenzials als HIV-Medikament an der Yale University getestet und 1986 zum Patent angemeldet. Für die weitere Produktentwicklung erhielt das Pharmaunternehmen Bristol-Myers Squibb (BMS) eine Exklusivlizenz und brachte das Medikament 1994 als Zerit ® auf den Markt. Die Yale University erhielt als Patentinhaber eine Gewinnbeteiligung.
2001 fragten Ärzte ohne Grenzen an, ob man bereit sei, eine freiwillige Lizenz auf d4t zu vergeben, um Herstellung und Import günstiger Generika nach Südafrika zu ermöglichen. Die Universitätsleitung lehnte zunächst ab. Massive Protestaktionen von Studenten und Wissenschaftlern führten schließlich dazu, dass der Lizenznehmer BMS einlenkte und einen Verzicht auf seine exklusiven Rechte in Afrika unterschrieb.
Gesundheit ist ein Menschenrecht
Gesundheit ist ein Menschenrecht und eine Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung (Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948).
Auf der Weltgesundheitsversammlung 2009 wurden eine globale Strategie und ein Aktionsplan zur Bekämpfung von Krankheiten in armen Ländern verabschiedet. Auch der Bundestag hat in einem Beschluss vom 29. Mai 2008 die globale Verantwortung Deutschlands für die Bekämpfung vernachlässigter Krankheiten betont. Neue Lizenzmodelle könnten ein leicht umsetzbarer Beitrag Deutschlands sein.
Quellen und Links
Autorinnen: Gabriele Mante & Rima Hanano (2008)