Allein im Jemen sind 24 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, wie aus der Emergency Watchlist 2020 des International Rescue Committee hervorgeht. Damit führt es die Top-Ten-Liste der Länder an, in denen insgesamt mehr als die Hälfte aller Menschen leben, die humanitäre Hilfe benötigen. Der Bericht ist Anfang diesen Jahres erschienen und berücksichtigt noch nicht die Auswirkungen der Corona-Pandemie – vielerorts könnte sich die Lage mittlerweile verschlimmert haben.
Eine ausgewogene Ernährung für so viele Menschen zu gewährleisten ist eine enorme Aufgabe. Unterstützung bei dieser Herausforderung kommt von Forschenden des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR): Im Projekt MEPA, das für „Mobil entfaltbare Pflanzenanbaueinheit“ steht, wurden mobile Gewächshäuser entwickelt, die nicht nur kurz-, sondern auch mittelfristig von Menschen in Notsituation für den Anbau frischer Lebensmittel genutzt werden können. „Noch nie zuvor hat es so ein Gewächshaus im Kontext der humanitären Hilfe geben“, erklärt der Teamleiter Dr. Daniel Schubert gegenüber RESET begeistert. „Es ist leicht zu transportieren, kann vor Ort selbstständig aufgebaut werden und geht sofort in die Produktion von Nahrung über.“
Aller guten Dinge sind drei
Für den Einsatz in Krisengebieten haben die Forschenden insgesamt drei Systeme entwickelt. Alle drei kommen ohne Erde aus, sind wiederverwendbar, leicht transportier- und nutzbar und liefern schon nach vier bis sechs Wochen erste Erträge.
Im Minimalsystem der MEPA-Pflanzenbaueinheiten wachsen pro Erntezyklus rund 85 Salatköpfe mit 40 Kilogramm Gesamtgewicht. Die Anzuchtfläche ist sieben Quadratmeter groß, solarbetrieben und basiert auf Hydrokulturen in offenen Wasserbecken. Auch das Hybridsystem arbeitet mit Solarenergie, zudem kann das halbgeschlossene System Wasser rückgewinnen. In diesem MEPA-System können auf etwa 20 Quadratmetern kleine Pflanzen gezüchtet werden. Es handelt sich um ein aufblasbares Gewächshaus von knapp einem Meter Höhe, in dem sich eine mit LED-Bänder beleuchtete Saatzuchtmatte befindet. Das größte der drei Gewächshäuser ist ein Closed-Loop-System. Hier wachsen größere Gemüsesorten wie Tomaten oder Gurken. Es ist begehbar, da es drei Meter breit und 17 Meter lang ist; 40 Quadratmeter dienen der Anzucht. Bewässerung, Belüftung, Temperaturkontrolle und Energieversorgung bilden ein geschlossenes Kreislaufsystem und werden durch Unterstützungsmodule gesteuert. In einen einfachen Frachtcontainer könnten bis zu 21 Einheiten passen, was insgesamt eine Anbaufläche von 350 Quadratmetern gleichkommt.
An der Entwicklung der mobilen Gewächshäuser waren Forschende des DLR-Instituts für Raumfahrtsysteme und des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin beteiligt. Vor allem die praktischen Erfahrungen aus dem Projekt EDEN, in dem sie diese Anzuchtmethode in der Antarktis testen, um so die Versorgung für Aufenthalte im Weltraum zu gewährleisten, sind in das Projekt eingeflossen. Damit die mobilen Gewächshäuser so gestaltet sind, dass sie auch den speziellen Anforderungen in der humanitären Hilfe gerecht werden, unterstützen das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, das Technischen Hilfswerk, Plan International und die nichtstaatliche humanitäre Hilfsorganisation ADRA mit ihren Erfahrungen aus humanitären Hilfseinsätzen.
In den kommenden zwei Jahren wird das DLR-Team die MEPA-Systeme spezifizieren, bauen und vor Ort testen. Ein Prototyp soll Ende 2021 in einem Lager für Geflüchtete erprobt werden. „Nur so können wir sehen, worauf es bei den MEPA-Systemen ankommt“, sagt Daniel Schubert. „Wir möchten sie verbessern und das geht nur unter Realbedingungen. Leider könnte Corona unsere Planung in die Länge ziehen.“
Slum, Rooftop oder Geflüchteten-Camp – die Gewächshäuser sind Allrounder
Langfristig sollen die mobilen Gewächshäuser in den verschiedensten Bereichen eingesetzt werden – nicht nur in der Nothilfe nach Naturkatastrophen wie Erdbeben, Flut oder Dürren, sondern auch in abgelegen Dörfern oder dicht besiedelten Gebieten können die faltbaren Gewächshäuser frische Nahrung produzieren. „Es ist egal, ob es ein innerstädtisches Slum oder ein Rooftop in NewYork ist, es gibt unzählige Anwendungsmöglichkeiten“, so Daniel Bauer. „Die Gewächshäuser können sogar Flüchtlinge unterstützen,“ so Daniel Bauer weiter, „denn viele gastgebende Ländern wie beispielsweise Jordanien untersagen ihnen Ackerbau, weil das den Eindruck erweckt, sie würden sich dort ansiedeln. Da die MEPA-Systeme keine Erde brauchen, dürfen sie in Lagern eingesetzt werden.“
Auf den Anbau von Lebensmitteln wie Gemüse, Früchten und Nüssen zu setzen macht Sinn; Forschende sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sich durch einen Ernährungsplan mit einem Schwerpunkt auf nicht-tierischen Produkten nachhaltig die gesamte Bevölkerung ausreichend ernähren ließe.