Weltweit leben etwa 56 Prozent der Menschen in Städten. In Deutschland sind es sogar rund 76 Prozent, Tendenz steigend. Städte bieten jedoch nicht nur vielen Menschen ein Zuhause, sie sind auch große Ressourcenfresser. Das Leben in der Stadt ist durch die Abhängigkeit von fossilen Energien wie Kohle, Gas oder Erdöl und der Allgegenwärtigkeit von Plastik, Asphalt und Autos geprägt.
Das zur Zukunftsstadt gekürte Dresden will den negativen Effekten, die das urbane Leben auf die Umwelt hat, etwas entgegensetzen und mithilfe von Bürger*innenbeteiligung in vielen kleinen Projekten die Stellschrauben hin zu einer ressourcenschonenderen Stadt drehen. Mit der Open-Source-Software Future City Projects soll die Entwicklung von Projekten bis hin zu den nötigen Förderanträgen nun digitalisiert und damit auch für andere Städte und Kommunen zugänglich gemacht werden.
Angefangen hat alles mit dem Zukunftsstadt-Wettbewerb für nachhaltige Entwicklung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), für den sich Dresden 2015 als größte von etwa 50 Städten beworben hatte. Als eine von insgesamt acht Städten wurde Dresden dann ausgewählt und anschließend drei Jahre lang gefördert. Auf der Website des BMBF heißt es, dass mit dem Wettbewerb „die partizipative Entwicklung von Zukunftsvisionen, die Erstellung umsetzungsreifer Planungskonzepte und schließlich die beispielhafte und experimentelle Umsetzung vielversprechender Konzepte in urbanen Reallaboren“ gefördert werden soll. Die Verwaltung der Stadt, das dortige Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung und die TU Dresden begleiten das Projekt und die dazugehörigen Teilprojekte wissenschaftlich und untersuchen den Projektentwicklungsprozess, mögliche Hürden und Erkenntnisse.
Von der Vision über den Förderantrag bis zur Umsetzung
Norbert Rost übernahm 2015 die Projektleitung der Zukunftsstadt. Er sagt, Nachhaltigkeit in Bezug auf Städte hänge insbesondere von folgenden drei Faktoren ab: erstens der Verringerung des ökologischen Fußabdrucks, also beispielsweise durch Platz für mehr Grünflächen in einer Stadt, einem nachhaltigen Flächen- und Ressourcenverbrauch und regionalen Materialkreisläufen. Zweitens gehe es um den sozialen Aspekt: Je eher ein Projekt Kooperationen anstelle von Konkurrenz fördere und einen Bildungseffekt habe, desto besser. Dafür sei als dritter faktor auch eine nachhaltige und umweltschonende Wirtschaft wichtig.
In der ersten Phase des Projektes „Zukunftsstadt“ fanden sich etwa 300 ehrenamtliche Bürger*innen zusammen, die gemeinsam an Visionen einer nachhaltigeren Stadtentwicklung gearbeitet haben. In der zweiten Phase ging es um Wege, die entwickelten Visionen umzusetzen. Hierfür nahmen die Bürger*innen an Workshops teil, in denen Projektpläne erstellt wurden. Seit 2019 befinden sich in Dresden nun insgesamt acht Projekte in der Umsetzungsphase. In den einzelnen Projekten geht es unter anderem um die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung, autofreie Stadtteile, die Begrünung von Spielplätzen oder einen „Tag der Zukunft“, an dem ausgewählte Unternehmen in puncto Nachhaltigkeit in einem Wettbewerb gegeneinander „antreten“.
Eins der umgesetzten Projekte ist das der „Materialvermittlung“. Bei diesem werden ungenutzte Materialien, die beispielsweise nach dem Ende einer Ausstellung übrigbleiben und sonst im Müll landen würden, an Künstler*innen, Privatpersonen oder öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten vermittelt. Die Materialien können dann mit einer Spende (nach Spendenempfehlung) im kleinen Pop-up-Store des Projektes abgeholt werden.
„Eins unserer Leitprinzipien ist: Das Material macht die Idee“, so Anna Betsch, eine der vier Projektmitarbeiterinnen der Materialvermittlung gegenüber RESET. Aktuell steht im Lager des Projekts eine große Spendenbox mit Baumwollstoffen. Diese wurden dem Projekt nach der Atelier-Auflösung einer Schneiderin und der Haushaltsauflösung einer Seniorin vermacht. Nun werden sie an Engagierte weitergeben, um Mundschutzmasken für das Gesundheitspersonal zu nähen. Rost sieht einen großen Gewinn in der direkten Bürger*innenbeteiligung: „Wenn man nicht nur auf den Klimawandel als globales Phänomen guckt, sondern schaut, was man in der eigenen Stadt oder Straße machen kann, dann steckt da auch eine Art Ermächtigung drin. Denn dort können wir direkt etwas bewegen.“
Open-Source-Software soll Projektentwicklung erleichtern
Warum nun an der Entwicklung einer digitalen Plattform gearbeitet wird, die den Entwicklungsprozess aus den Workshop-Räumen ins Internet holt, erklärt Rost so: „Während des Prozesses haben wir gemerkt, dass man diesen nur bis zu einem bestimmten Grad analog durchführen kann.“ In den einzelnen Workshops hätten die rund 300 Bürger*innen vor allem mit Arbeitsblättern gearbeitet. „Um diese für alle einsehbar zu machen, haben wir nach einer Plattform gesucht, auf der alle Projektideen gesammelt werden können und sich Interessierte über diese zusammenschließen können“, so Rost.
So entstand die Idee einer Open-Source-Software, die über eine Online-Plattform öffentlich zugänglich ist. Auf dieser sollen Bürger*innen, die ein Projekt planen, durch eine Art Workflow geführt werden, bei dem die Plattform am Ende im besten Fall automatisch einen Förderantrag abschickt. Sowohl für Stadtverwaltungen, die auf das Engagement von Bürger*innen angewiesen sind, um Probleme zu bewältigen, als auch für die Bürger*innen selbst, die sich gern engagieren würden, aber nicht wissen wie oder wo, könne die Plattform sehr wertvoll sein, erklärt Rost.
Finanziert wurde die Entwicklung der Software „Future City Projects“ vom Prototype Fund, einem gemeinsamen Förderprogramm der Open Knowledge Fundation und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Der Prototyp der Software ist jetzt einsatzbereit und kann von Interessierten getestet werden. Aktuell sucht Rost nach engagierten Menschen, die an der Weiterentwicklung der Software mitarbeiten könnten.
Hierfür kämen beispielsweise Programmierer*innen, Grafikdesigner*innen oder auch Personen aus der Stadtverwaltung in Frage. Letztere könnten beispielsweise dabei helfen, dass der Weg vom Projekt hin zu einem Förderantrag bei der Stadt möglichst unkompliziert abläuft und durch Funktionen der Software unterstützt wird. Für Stadt- und Gemeindeverwaltungen wäre dies auch eine Chance ihre bestehenden Kapazitäten auf den Prüfstand zu stellen. Denn, so Rost, „von nachhaltigen Smart Citys sind wir aktuell noch weit entfernt“.