Fluchtorte als Stolperstein oder Sprungbrett: KI-Modell GeoMatch soll Geflüchtete besser zuordnen

Geflüchtete stehen in europäischen Ländern vor zu vielen Herausforderungen. Kann das neue KI-Modell "GeoMatch" dieses Problem lösen?

Autor*in Kezia Rice:

Übersetzung Benjamin Lucks, 08.01.25

Für Geflüchtete und Asylbewerber:innen spielt der erste Ort nach ihrer Flucht oder Ausreise eine entscheidende Rolle. Beschäftigungsmöglichkeiten, verfügbare Schulplätze und die Infrastruktur sind allesamt entscheidende Faktoren für die Chancen am neuen Wohnort. Für Geflüchtete aus Umsiedlungsprogrammen werden laut UN 114 300 im Jahr 2022 die Heimatländer von Sachbearbeiter:innen bestimmt. Diese sind darin geschult, die individuellen Umstände einer Person zu berücksichtigen. So sollen sie noch vor der Zuordnung herausfinden, wo sie die besten Aussichten auf ein erfolgreiches Leben haben könnten.

Michael Hotard beschreibt den ersten Ort, an dem sich Geflüchtete niederlassen, als „Stolperstein oder Sprungbrett auf dem Weg in ein neues Leben“. Hotard ist der Direktor von GeoMatch, einer Software, die von Forscher:innen des Immigration Policy Lab (IPL) entwickelt wird. Das IPL selbst ist eine Kooperation zwischen der Stanford Universität und der ETH Zürich. GeoMatch soll Regierungen und gemeinnützigen Organisationen zur Verfügung gestellt werden, um sie bei der Suche nach dem am besten geeigneten Ort für die Neuansiedlung von Geflüchteten zu unterstützen. Das Tool soll Organisationen die zahllose Stunden der manuellen Überprüfung von Daten ersparen und vertraut stattdessen auf Machine Learning. Auf Grundlage früherer Erfahrungen von Geflüchteten am jeweiligen Ort gibt das Tool Empfehlungen. Tests des GeoMatch-Algorithmus mit historischen Daten haben nach eigenen Angaben ergeben: Die Wahrscheinlichkeit, dass Geflüchtete mithilfe des Tools einen Arbeitsplatz finden, ist etwa doppelt so hoch wie bei der manuellen Zuordnung zu einem neuen Wohnort.

GeoMatch nutzt prädiktives Machine Learning, um seinen vierstufigen Prozess zu verbessern

Hotard erklärte gegenüber RESET, wie er und sein Team den Algorithmus von GeoMatch trainieren. „Der erste Schritt besteht im Erstellen von Modellen für das maschinelle Lernen anhand historischer Daten von Geflüchteten und Asylbewerber:innen, die im Land angekommen sind. Diese Daten enthalten sowohl demografische Informationen als auch Angaben zur wirtschaftlichen Situation einer Person. Das heißt, ob jemand in der Familie Arbeit finden konnte oder nicht. Resettlement-Organisationen wenden die Modelle dann auf neue geflüchtete Personen oder Familien an. GeoMatch macht dann eine Vorhersage für alle verfügbaren Standorte, an denen die Person oder die Familie auf Grundlage früherer Ergebnisse am ehesten Erfolg haben wird.“ Der Algorithmus prüft schließlich die Kapazität der Orte, bevor er den Entscheidungsträger:innen eine Liste mit Empfehlungen vorlegt.

Liegt das Schicksal der Geflüchteten also in den Händen einer Maschine? Nicht ganz. „Wir haben GeoMatch als Empfehlungs-Tool konzipiert“, erklärt Hotard. „Es gibt immer menschliche Entscheidungsträger:innen, die die Empfehlungen prüfen und die endgültige Entscheidung treffen.“

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Kann man einer KI diese Daten wirklich anvertrauen?

„Wir nehmen den Datenschutz sehr ernst“, betont Hotard im Gespräch. „Alle Daten sind anonymisiert, das Tool erhält also niemals Namen, Kontaktinformationen oder Adressen. Es erhält lediglich die Informationen, die es benötigt.“

Wie KI-Systeme mit diesen Daten umgehen, ist aber keineswegs unproblematisch. Es ist weit bekannt, dass künstliche Intelligenz dazu neigt, rassistische Vorurteile zu reproduzieren. Datensätze, mit denen KI-Modelle trainiert werden, weisen zudem geschlechterspezifische Datenlücken auf. Die Datensätze sind insofern verzerrt, als dass sie Frauen und nicht-binäre Personen unterrepräsentieren. Wie stellt GeoMacht also sicher, dass sein Algorithmus nicht mit Voreingenommenheit behaftet ist? „Wir testen die vorhergesagten Auswirkungen von GeoMacht immer auf verschiedene Gruppen“, sagt Hotard diesbezüglich. Dazu gehöre, dass die Standortempfehlungen von GeoMatch Vorteile für verschiedene Geschlechter und Nationalitäten berücksichtigen. Sie achten zudem auch darauf, welche Sprachen eine Person spricht und welchen Bildungsstand sie hat.

GeoMatch unterstützt Menschen darin, fundierte Entscheidungen zu treffen

GeoMatch hat bislang positives Feedback von gemeinnützigen Organisationen erhalten, die mit der Nutzung des Tools begonnen haben. Denn im besten Fall ermöglicht die durch GeoMatch eingesparte Zeit den Sachbearbeiter:innen, sich auf Geflüchtete und Asylbewerber:innen zu konzentrieren, die sie betreuen. Allerdings ersetzt GeoMatch diese Arbeit keineswegs, indem das Tool Geflüchtete blindlings an neue Orte schickt. Wie Hotard es zusammenfasst, ist GeoMatch „ein Werkzeug, das Menschen in die Lage versetzt, fundiertere Entscheidungen zu treffen“.

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