FishFace – Gesichtserkennung gegen Überfischung

Kann KI-gestützte Gesichtserkennung bei der Erfassung von Fischpopulationen helfen?

Wie kann Fischerei durch künstliche Intelligenz nachhaltiger werden? Das Projekt FishFace arbeitet an einer Lösung, die im großen Stil zum Schutz der weltweiten Fischbestände beitragen könnte.

Autor*in Lena Strauß, 13.12.18

Übersetzung Lena Strauß:

Seit September 2018 dürfen Heringe, die in der westlichen Ostsee gefangen werden, das MSC-Siegel nicht mehr tragen. Der aktuelle Heringsbestand fällt dort unter den Referenzwert für nachhaltige Fischerei, welcher noch im Frühsommer aufgrund mangelnder Nachwuchsproduktion durch den Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) nach oben korrigiert wurde. Während wir hierzulande zumindest teilweise über eine gute Datengrundlage verfügen, um entsprechende Management-Entscheidungen treffen zu können, gibt es in vielen anderen Teilen der Welt große Datenlücken beim Fischfang. So gelten laut FAO rund 30 Prozent der globalen Fischbestände als überfischt, während ein amerikanisch-deutsches Forscherteam von einem fast doppelt so hohen Wert ausgeht.

Ohne genaue Daten lässt sich das Problem der Überfischung – es werden mehr Fische entnommen als durch natürliche Vermehrung hinzukommen  allerdings nur schwer lösen. Für etwa 17 Prozent der Weltbevölkerung stellen Fisch und Meeresfrüchte die primäre tierische Eiweißquelle dar und fast 60 Millionen Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt mit Fischerei oder Aquakultur. Im Vergleich zu den 1960er Jahren hat sich der Fischkonsum auf unserer Erde mehr als verdoppeltSollte dieser Trend anhalten, was wegen des immer weiter steigenden Bevölkerungswachstums zu erwarten ist, dürfte es in den Untiefen der Weltmeere bald noch etwas düsterer aussehen. Höchste Zeit, bessere Wege für eine schnelle und hochwertige Datenerfassung zu finden!

Gesichtserkennung für eine nachhaltigere Fischerei

FishFace will den Prozess der Datensammlung vereinfachen: Das Projekt der Naturschutzorganisation The Nature Conservancy Australia arbeitet an einer Technologie, die per Foto Art und Körperlänge und dazu den geografischen Standort eines jeden gefangenen Fisches erfassen soll. FishFace soll so zu einer neuen Stellschraube in Hinblick auf die Überfischungsproblematik werden und durch den Schutz von Fischpopulationen auch einen Beitrag zur Ernährungs- und Existenzsicherung auf unserem Planeten leisten.

Hierfür wird seit mehreren Monaten eine Bilddatenbank aufgebaut. Auf diese soll künftig eine mit Künstlicher Intelligenz (KI) ausgestattete Software zurückgreifen, um Fische anhand von Fotos selbstständig einer bestimmten Art zuordnen zu können. Maschinelles Sehen und Deep Learning machen es möglich  ähnlich wie bei Computerprogrammen, die menschliche Gesichter erkennen. Nur dass es hier weniger um individuelle Gesichter geht, sondern vielmehr um die Klassifizierung von Fischgesichtern nach Arten. Entwickelt werden die dazugehörigen Algorithmen vom schwedischen Unternehmen Refind Technologies.

Dazu werden eine Kamera und ein Computer mit KI-Software benötigt, so Johanna Reimers, CEO und Co-Founder von Refind Technologies, gegenüber RESET. Die Kamera befindet sich in einer speziellen Lichtbox, die gleiche Lichtverhältnisse und gleiche Abstände zwischen Kamera und Objekt garantiert  wie ein Fotoautomat für Fische! Zur Erstellung der Datenbank werden die gefangenen Fische in dieser Lichtbox fotografiert und die Fotos manuell mit Artnamen versehen. Im Anschluss werden die Bilder der Software millionenfach gezeigt bis diese lernt, welche visuellen Merkmale zu welcher Fischart gehören. Mit diesem Wissen kann die Software in Zukunft Fische selbst klassifizieren.

Je mehr Fotos in der Datenbank vorhanden sind, auch aus anderen Jahreszeiten, desto zuverlässiger wird die Software arbeiten. Momentan ist das noch recht viel Aufwand. Ob die Erfassung der Fische in naher Zukunft auch ohne die Lichtbox oder gar ohne menschliche Einwirkung funktionieren könnte? Laut Johanna Reimers wäre das grundsätzlich möglich, allerdings bräuchte man dafür noch deutlich mehr Bildmaterial. Das Unternehmen hält deshalb an seinem gegenwärtigen Ansatz fest: Unter den gegebenen Umständen sei dies der beste Weg, um das Projekt zu starten.

Langfristig sollen mithilfe der Technologie Informationen über den Anteil verschiedener Fischarten am Fischfang gesammelt werden. Dies soll unter Berücksichtigung von Altersklassen geschehen, die sich aus der Körperlänge ableiten lassen. Anhand der gewonnenen Informationen können schließlich maßgeschneiderte Befischungsregelungen konzipiert werden. Geplant ist ein automatisierter Einsatz der Technologie auf Schiffen und in Verarbeitungsbetrieben weltweit. The Nature Conservancy könnte damit seine Fischbestandserhebungen viel effizienter gestalten, denn für gewöhnlich analysieren Fischexperten sehr große Mengen an Bildmaterial.

FishFace im Praxistest

© Refind Technologies Die Fotobox für Fische von Refind Technologies wurde erstmals auf einem indonesischen Fischerboot installiert.

Bei der Entwicklung von FishFace sind noch einige Hürden zu überwinden. Schließlich gibt es eine beträchtliche Bandbreite an Fischarten, die zunächst in die Datenbank eingespeist werden müssen. Während einer Testfahrt auf einem Schiff wurden zuletzt tausende an Bildern unter realen Bedingungen aufgenommen – bei schwankender Strom- und Internetversorgung. Die Technologie selbst arbeitet daher mit einer Online-/Offline-Lösung, sodass sich Daten auch ohne Internetverbindung sammeln lassen. Diese werden in ein Cloud-basiertes Speichersystem übertragen, sobald wieder Internetzugang gegeben ist.

Als eine der größten Umweltorganisationen der Welt bringt The Nature Conservancy zwei wichtige Voraussetzungen für den Erfolg von FishFace mit: Sie verfügt über das nötige Wissen zur Tiergruppe und über Kontakte zu den Fischereibetrieben. Refind Technologies ist Experte, was maschinelles Sehen und Lernen anbelangt. 2016 bewarben sich die Partner mit dem gemeinsamen Projekt FishFace bei der australischen Google Impact Challenge und räumten eine Finanzierung von 750.000 Dollar ab. Somit stand dem Start des Projekts nichts im Wege. Doch wo steht FishFace heute?

Die Pilotphase des Projekts ist nach Angaben von Johanna Reimers fast abgeschlossen. Die Tests in Zusammenarbeit mit Fischern in Indonesien liefen weitestgehend nach Plan und die Klassifizierung der Fische schien gut zu funktionieren  alles Weitere wird in der daran anknüpfenden Evaluation diskutiert. Dann entscheidet sich auch, ob das Projekt eine Anschlussfinanzierung und damit die Möglichkeit erhält, weitere zehn Testeinheiten auf Schiffen zu installieren und seine Datenbank zu vergrößern.

Könnte eine Datenerfassung, wie sie FishFace anstrebt, für Fischer sogar irgendwann verpflichtend werden? „Im Moment sind wir davon sehr weit entfernt“, sagt Johanna Reimers. Und bisher fehlen noch die nötigen Anreize, damit Fischereibetriebe die Technologie aus eigener Motivation nutzen würden. Wir sind jedoch gespannt, was die Zukunft bringen mag. Auf dem Blog von Refind Technologies kannst du die Entwicklung von FishFace weiterverfolgen.

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