Die IT-Branche gehört zu den am schnellsten wachsenden Wirtschaftsfeldern der heutigen Zeit. Entsprechend vielversprechend sind die Berufs- und Gehaltsaussichten für Berufseinsteiger*innen aus Studienfächern sogenannter MINT-Fächer (Wikipedia: MINT-Fächer ist eine zusammenfassende Bezeichnung von Unterrichts- und Studienfächern beziehungsweise Berufen aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). Doch obwohl die Beliebtheit dieser Fächer in den letzten Jahrzehnten folgerichtig steil ansteigt, springt Studien zufolge nur ein Bruchteil der Frauen auf den fahrenden Zug auf.
Die Menschenrechtlerin und Sozialunternehmerin Iffat Gil ist die Gründerin der NGO „ChunriChoupaal“, deren ursprüngliches Ziel es ist, Frauen in Pakistan durch den Zugang zur Informatik einen Eintritt in die selbstbestimmte Berufswelt zu ermöglichen. Überrascht nahm sie zur Kenntnis, dass ihr Projekt auch in Europa auf großes Interesse stößt – denn auch hier ist der Anteil von Frauen in elektrotechnischen Ausbildungsgängen oder IT-relevanten Berufen bemerkenswert klein. Einschätzungen des Branchenverbands Bitkoms zufolge arbeiten gerade einmal 15 Prozent der deutschen Frauen in Berufen der Informatik. Und eine Änderung dieser Zahl in naher Zukunft ist nicht in Sicht: Laut laut Isabel Roessler, der Leiterin des Forschungsprojektes „Fruit: Frauen in IT“ am Centrum für Hochschulentwicklung, beträgt der Frauenanteil in Informatikstudiengängen nur magere 23 Prozent.
Die gläserne Decke der IT-Branche
Gute Bezahlung und viele Jobs – warum finden also so wenige Frauen ihren Weg in die IT-Welt? Roessler zufolge ist es zum einen das Fehlen von Vorbildern aus der Branche und eine falsche oder auf kryptische Zeichen limitierte Vorstellung der möglichen Berufe, die Frauen an der Wahl eines IT-Studienganges hindert. Kämen Frauen auf anderen Wegen jedoch in Kontakt mit Bereichen wie beispielsweise Programmierung, seien sie in aller Regel begeistert und vor allem sehr erfolgreich. Ein Image-Wandel und bessere Zugänglichkeit der Branche könnte demnach für mehr Interesse bei Frauen führen.
Den Erfahrungen Iffat Gils zufolge ist es zum anderen jedoch auch die gläserne Decke der Informatikbranche, die Frauen mit bester Qualifikation den Eintritt in erfolgreiche IT-Unternehmen verweigert. Denn Elektrotechnik und Informatik sind nach wie vor stark männlich konnotiert und der meist männliche Vorstand kann sich Informatikexpertinnen einfach noch nicht vorstellen. Ihren Erfahrungen zufolge führt diese Voreingenommenheit auch dazu, dass Frauen in der Branche sehr viel mehr Skepsis an ihrer Professionalität entgegenschlägt und sie sich wieder und wieder gegenüber den männlichen Kollegen beweisen müssen.
ChunriChoupaal als sicherer Raum für Female Empowerment
ChunriChoupaal sieht die Möglichkeiten der IT-Branche jedoch nicht nur als zukunftsträchtigen Arbeitsmarkt, sondern durch seine digitale Disposition auch als optimale Möglichkeit für Frauen in stark patriarchalen Ländern selbstständig zu arbeiten. In Familien- und Gesellschaftsstrukturen, in denen ein Großteil der Frauen nicht einmal zur Schule geschickt wird, um Kontakt mit fremden Männern zu vermeiden, bietet online-basiertes Lernen einen sicheren Raum, um auch von Zuhause den Zugang zu Bildung und weiter gedacht auch dem internationalen Arbeitsmarkt zu erlangen.
Die NGO bietet in Pakistan von Frauen geführte 5-monatige Trainingscamps an, welche von Anfang an von Partnern aus IT-Unternehmen begleitet werden, um Vorurteilen gegen die Qualifizierung der Frauen vorzubeugen. Neben Computerkenntnissen erlernen die Teilnehmerinnen aber ebenso, international nach Jobangeboten zu suchen, um auf diese Weise lokale Hemmnisse zu umgehen, und ihre Kenntnisse online zu vermarkten.
Während die NGO in Südostasien meist zuerst eine grundlegende Einführung in Computer und Technik vornehmen muss, vermitteln ihre Workshops in Europa direkt Programmierkenntnisse und bestärken das Selbstbewusstsein der Teilnehmerinnen, eine Zukunft in der IT-Branche anzustreben.
Selbstbewusstsein und eine größere Transparenz der Branche scheinen überhaupt die Schlüssel zu mehr weiblicher Präsenz in der IT-Branche zu sein. Programme wie das kürzlich in Berlin durchgeführte Accelerator-Programm F-Lane oder NGOs und Studien wie ChunriChoupal und Fruit können dabei helfen, Frauen aufzuzeigen, dass es eine Zukunft für sie in der IT gibt und ihnen den Einstieg erleichtern. Und auch wenn es bisher wenige Vorbilder für erfolgreiche Frauen in der IT-Branche gibt: Es bleibt zu hoffen, dass Galionsfiguren wie Yahoo-Managerin Marissa Ann Mayer oder Facebook-Mangerin Sheryl Sandberg dazu führen, dass Frauen und vor allem Männer sich an Frauen in Spitzenposition in technischen Unternehmen gewöhnen.