Fast Fashion vs. Second Hand: Kann das Internet zu einer nachhaltigeren Modeindustrie beitragen?

Der Mode-Massenmarkt ist in den letzten Jahrzehnten exponentiell gewachsen – und ebenso sein riesiger ökologischer Fußabdruck. Können digitale Tools den Verkauf von Second-Hand-Kleidung so ankurbeln, dass die toxische Flut von Fast Fashion eingedämmt wird?

Autor RESET :

Übersetzung RESET , 21.01.20

Die Modeindustrie ist eine extreme Belastung für die Umwelt. Die Produktion unserer Kleidung ist verantwortlich für die Erschöpfung der weltweiten Wasservorräte, für einen großen Teil des weltweiten Pestizideinsatzes, für geschätzte 35 Prozent der Mikroplastikströme in unseren Ozeanen und für eine übergroße Belastung unserer Mülldeponien. Tatsächlich wird davon ausgegangen, dass drei Fünftel aller Kleidungsstücke bereits wenige Jahre nach ihrer Herstellung auf Mülldeponien landen oder verbrannt werden. Es ist augenscheinlich, dass die schnelllebige Modewelt nicht mit dem „business as usual“ weitermachen kann. Wenn sie es doch tut, wird die Modeindustrie bis 2050 ein Viertel des weltweiten Kohlenstoffbudgets verbrauchen. Wie sieht also die Zukunft des Modesektors in Bezug auf Nachhaltigkeit aus? Und inwieweit können Apps und das Internet dazu beitragen, dass wir von der nicht-nachhaltigen „Fast Fashion“, die einen Großteil des Marktes ausmacht, abrücken und zu etwas Nachhaltigerem überzugehen?

Digitale Technologien bewirken, wie in vielen anderen Sektoren auch, eine grundlegende Veränderung in der Modebranche. Ein Beispiel dafür ist die noch recht junge Verbreitung von Apps und Websites, die speziell dazu dienen, den Verkauf und Kauf von gebrauchter oder sogenannter „pre-owned“ Kleidung zu erleichtern. Diese Dienste werden längst nicht nur von Vintage-Liebhabern genutzt; tatsächlich hat sich der Wert des globalen Secondhand-Bekleidungsmarktes zwischen 2014 und 2018 verdoppelt und wird noch weiter wachsen, wobei der Großteil dieses Wachstums von den jüngeren Generationen, den so genannten Millennials und der Generation Z, getragen wird. Der Kauf von Second-Hand-Kleidung ist keine neue Idee, dafür aber der Komfort, sie über das Smartphone, das Tablet oder den Laptop finden, kaufen (und in einigen Fällen sogar verkaufen) zu können.

Second-Hand-Kleidung: Ein „alter Hut“ wird digital

Das Konzept richtet sich dabei nicht nur an bestimmte Personengruppen. Es gibt Second-Hand-Kleidung und Apps für sämtliche Zielgruppen: von denen, die Alltagskleidung suchen, bis zu denen, die sich ausschließlich auf High-End-Mode konzentrieren. Zu den beliebten Apps, bei denen man gebrauchte Kleidung durch einfaches Swipen und Klicken kaufen und verkaufen kann, gehören das Londoner Unternehmen Depop, Vinted/Kleiderkreisel auf dem westeuropäischen Festland und thredUP in San Francisco. Laut eines kürzlich erschienenen Marktberichts des Second-Hand-Riesen thredUP, dessen Automatisierungssystem über 100.000 einzelne Kleidungsstücke pro Tag verarbeitet, „wird erwartet, dass Secondhand bis 2028 auf fast das 1,5-fache der Größe von Fast Fashion anwachsen wird“.

Eine weitere digitale Alternative ist der Online-Modeverleih. Was als wirtschaftliche Möglichkeit begann, vor allem Ball- oder Brautkleidung für eine Nacht zu leihen, anstatt es gleich zu kaufen, ist heute eine Milliarden-Dollar-Industrie. Es gibt eine große Anzahl von Modeunternehmen, die sich der Sharing Economy anschließen, die alles von Luxuskleidern für besondere Anlässe bis hin zu Abonnementdiensten anbieten, die den Nutzenden gegen eine monatliche Gebühr eine bestimmte Anzahl von Kleidungsstücken liefern.

Alle dieser Services bieten die Möglichkeit für Abonnent*innen, neue Looks für eine bestimmte Zeit auszuprobieren, bevor die Kleidung zum Waschen zurückgesendet und jemand anderen verschickt wird – quasi ein Kaufrausch ohne Verpflichtung. Einige Unternehmen werben für sich ausdrücklich als eine nachhaltigere Option, doch es ist fraglich, ob dieses Modell sich für die Umwelt durchweg positiv auswirkt. Denn jedes Kleidungsstück wird am Ende mehrfach transportiert und gewaschen (oft chemisch gereinigt), unabhängig davon, ob es tatsächlich getragen wurde. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Kleidung minderer Qualität möglicherweise nicht einmal mehrfache Rotationen aushält. Kritisiert wurde außerdem, dass das Abo-Konzept ohne Kauf die Fast-Fashion-Mentalität sogar eher anheizt als sättigt – und die Verbraucher*innen dazu ermutigt werden, Kleidung als etwas Flüchtiges und Wegwerfbares zu betrachten.

Die Fast-Fashion-Giganten wollen auch ein Stück vom Kuchen

Der Aufstieg dieser beiden alternativen Modetrends hat sich auch auf die Mainstream-Akteure der Modebranche ausgewirkt. Riesige Online-Bekleidungsunternehmen wie Zalando mit seiner „Zalando Wardrobe“ und ASOS mit seinem „Marketplace“ bieten ebenfalls Second-Hand-Kleidung zum Verkauf an. Und in den USA richten eine Reihe etablierter Marken jetzt eigene Kleidungs-Verleihdienste ein. H&M, der Supergigant unter den Fast-Fashion-Unternehmen, eröffnet derzeit einen solchen Verleih-Shop in Schweden, einschließlich eines Bereichs für Kleidung, die geflickt und ausgebessert werden soll.

Es ist ein naheliegender Impuls, solche Bemühungen von Einzelhändlern, deren Praktiken sonst generell sehr wenig nachhaltig sind, als Greenwashing abzutun. Dennoch ist es interessant zu beobachten, dass sie auf den stärker werdenden Wunsch der Verbraucher nach nachhaltigeren Optionen reagieren. Laut einer Umfrage von McKinsey aus dem vergangenen Jahr ist „Sustainable Sourcing“ aktuell die Priorität der Modeindustrie, da dieses Thema für Verbraucher*innen und Politik immer wichtiger wird. Die Anzahl nachhaltiger Modeprodukte ist absolut gesehen zwar nach wie vor gering, hat sich jedoch in den letzten zwei Jahren verfünffacht. Unternehmen, die sich nicht an die an diese Veränderungen anpassen, werden wohl bald auf der Strecke bleiben.

Obwohl das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zugenommen hat, kaufen die allermeisten von uns noch immer viel minderwertige Kleidung und werfen sie weg, bevor sie auch nur annähernd das Ende ihrer Lebensdauer erreicht hat. Und Modeunternehmen ermutigen uns noch immer dazu, noch mehr zu konsumieren, auch, wenn wir es nicht brauchen. Das steht völlig im Widerspruch zum nachhaltigen Denken. Wirklich nachhaltige Mode bedeutet letztlich, dass wir weniger kaufen – aber dafür teurere, ethisch einwandfreie und qualitativ hochwertigere Kleidungsstücke, die wir über Jahre hinweg tragen werden. Die endgültige Abkehr von der „schnellen Mode“ wird wahrscheinlich ein langwieriger Prozess sein, der uns dazu bringt, bisherige Konzepte zu überdenken – aufzuhören, uns nach neuen Dingen zu sehnen, die wir nicht brauchen. Insofern ist es vermutlich eine gute Sache, einen einfachen Zugang zu Alternativen zu haben – ob es sich nun um gebrauchte oder geliehene Stücke handelt. Dass es solche digitalen und komfortablen Dienste gibt, könnte dazu beitragen, mehr Verbraucher*innen dazu zu bewegen, nachhaltiger einzukaufen oder zumindest die Auswirkungen unserer sonst nicht-nachhaltigen Konsumgewohnheiten zu bedenken. Vielleicht helfen sie uns sogar dabei zu erkennen, dass das nachhaltigste Kleidungsstück dasjenige ist (und immer war), das schon in unserem Schrank hängt.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Lydia Skrabania. Das Original erschien zuerst auf unserer englischen Website.

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