Fahrrad-Sharing in Paris: Ein Beitrag für den Umweltschutz?

Fahrrad-Verleih-Systeme werden als ein Baustein für eine umweltfreundliche Fortbewegung in Städten angesehen. Aber bringt das Teilen der Räder wirklich einen ökologischen Vorteil mit sich? Das Beispiel Paris gibt einige Antworten.

Autor Jan Wisniewski:

Übersetzung Jan Wisniewski, 24.10.19

Paris ist die Heimat einer der größten Flotten von Leihfahrrädern in Europa. Bereits 2007 ging das Vélib-System – Wortzusammensetzung aus vélo („Fahrrad“) und liberté („Freiheit“) – an den Start. Die Stadtverwaltung vergab die Konzession damals JCDecaux. Seine Einführung fiel zeitlich mit der von Bicing in Barcelona zusammen und löste einen Boom beim Fahrrad-Sharing in Städten weltweit aus. Schon bei ihrer Ankunft waren die ausleihbaren Räder ein großer Erfolg: 200.000 Menschen registrierten sich innerhalb des ersten Jahres als Nutzende. Die Zahlen blieben ein Jahrzehnt lang hoch – bis zum „Velib-Fiasko“ Ende 2017, bei dem das System auf einen anderen Betreiber umgestellt wurde. Das neue Management geriet in ein großes logistisches Durcheinander; plötzlich standen viel weniger Fahrräder zur Verfügung. Viele der „Dockstationen“ waren außer Betrieb, die Zahl der täglichen Fahrten fiel rapide ab. Vier „ortsungebundene“ (ohne feste Ausleih- und Rückgabestationen), asiatische Leihrad-Unternehmen tauchten in der ganzen Stadt auf und hofften, einen Marktanteil zu gewinnen. Doch Diebstahl und Vandalismus führten schnell dazu, dass sich die überwiegende Mehrheit wieder aus dem Fahrrad-Markt zurückzog (darunter Gobee, oBike und ofo) und der französischen Hauptstadt adieu sagten.

Mittleerweile scheinen sich nach Angaben der Website von Vélib die Dinge wieder gebessert zu haben, über 1.300 Stationen sind wieder geöffnet. Nachdem sie in den schlimmsten Zeiten auf bis zu 10.000 gefallen waren, werden die Räder jetzt wieder jeden Tag für rund 100.000 Fahrten in Bewegung gesetzt. Der Zwischenfall war jedoch ein Schlag gegen den ehrgeizigen Plan der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die verkehrsreiche Stadt Frankreichs zur weltweiten Fahrradhauptstadt zu machen. Der 2015 eingeführte „Plan vélo“ von Hidalgo zielt darauf ab, die Umweltverschmutzung zu verringern, indem Autos von der Straße genommen werden, die Zahl der Fahrradreisen verdreifacht wird und die Stadt bis 2020 zu 100 Prozent fahrradfreundlich wird.

Nachhaltig Radfahren in der Stadt des Lichts

Dem Fahrrad-Sharing wird eine ganze Reihe von Vorteilen zugeschrieben. Dazu gehörten mehr Flexibilität bei den Transportoptionen, die Reduzierung fahrzeugbezogener Emissionen, die Verbesserung der Luftqualität, die Verringerung von Staus und Kraftstoffverbrauch sowie ein Sparpotenzial bei den Nutzenden. Aber wie hat sich das berühmte Vélib-Programm bei der Unterstützung der Pariser Umweltziele bewährt? Auf der Website von Vélib heißt es: „Die Stadt Paris hat einen deutlichen Rückgang des Straßenverkehrs und der städtischen Verschmutzung zu verzeichnen“. Der Pariser Stadtrat hat sogar die Idee geäußert, den Fahrradverleih während der Zeiten mit der höchsten Schadstoffbelastung in der Stadt kostenlos anzubieten.

Leider hat das System laut einer Studie des Mobilitätsforschungsinstituts Forum Vies Mobiles aus dem vergangenen Jahr tatsächlich nur geringe Auswirkungen auf die Nutzung von Kraftfahrzeugen gehabt. Weniger als fünf Prozent der Nutzenden von Velib haben wirklich zwei gegen vier Räder getauscht. Stattdessen sind hauptsächlich jene auf die Fahrräder umgestiegen, die sonst den öffentlichen Nahverkehr nutzen und so den „Rush Hour Crush“ vermeiden. Dasselbe gilt für andere Städte. Mehrere Studien zeigen, dass die Leihräder zwar in einigen Großstädten zu einer leichten Verringerung der Autonutzung geführt haben, die Mehrheit der Nutzenden jedoch von anderen nachhaltigen Fortbewegungsarten – wie zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln – auf Fahrräder umsteigt. Dabei haben sich in den USA zum Beispiel Fahrradleihsysteme dann als besonders nutzbringend erwiesen, wenn sie an Knotenpunkten des öffentlichen Verkehrs stationiert sind. Hier ermöglichen sie  vor allem Menschen aus den Randgebieten großer, weitläufiger Städte einen besseren Zugang zu den Bahnhöfen.

Ausbreitung in die Vororte und elektrische Energieversorgung

Einer der Gründe für die Verzögerung des Betreiberwechsels von Vélib war die geplante Erweiterung in den Pariser Vororten. Hier aufgestellte Räder sollten sich positiv auf die Umwelt auswirken, indem sie den Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln verbessern. Eine britische Studie aus dem Jahr 2012 zeigte, dass „Bewohner von weniger wohlhabenden Stadtvierteln geteilte Fahrräder nutzen, wenn sie in ihren Gebieten verfügbar waren“. Dieser Schritt in die Pariser Banlieues könnte die Menschen daher ermutigen, ihre Autoschlüssel zu Hause zu lassen, auf ein Fahrrad zu steigen und den Zug zu nehmen.

© Jan Wisniewski

Ein weiterer Grund für die Verzögerung war der Plan von Velib, die Zahl der Elektrofahrräder auf 30 Prozent der Flotte zu erhöhen. Man hofft, mit den elektrischen Anschubser mehr Menschen zum Radfahren zu motivieren, insbesondere solche, die bisher die körperlichen Anforderungen gescheut haben, sowie solche, die lange Strecken zurücklegen müssen. Vélib erklärt auf seiner Website, dass die E-Bikes „längere Fahrten erleichtern sollen“, ohne ihre „ökologische Attraktivität“ zu verlieren, und dass die Reichweite und Höchstgeschwindigkeit der E-Bikes als „echte Alternative zum Einsatz eines umweltschädlichen Einzelfahrzeugs“ vermarktet werden. Die E-Bikes bringen aber auch eine zusätzliche Umweltbelastung mit sich, die herkömmliche Fahrräder nicht haben: nämlich den Strom selbst. Und da das Vélib-System den Pariser Energieversorger zum Aufladen seiner Lithium-Batterien nutzt und der größte Teil des französischen Stroms aus Kernenergie stammt, können die E-Bikes von Vélib nicht als 100 Prozent umweltfreundlich angesehen werden. Vélib selbst hält dem die Tatsache entgegen, dass „fast 80 Prozent der Wertschöpfung bei der Herstellung und Montage der Fahrräder in Frankreich“ umgesetzt werden. So werden beispielsweise die Pariser Fahrradrahmen in einer Gießerei unweit von Lyon hergestellt. Durch die naheliegende Produktion fällt der kohlenstoffintensive Transporte der fertigen Fahrräder weg.

Unterstützung von Radfahrenden bei der Rückgewinnung der Straßen

Auf der ganzen Welt sind viele Pläne entstanden – und auch wieder verworfen worden. Am bemerkenswertesten ist vielleicht China, wo riesige Berge von verlassenen und kaputten Fahrrädern in vielen Großstädten zu einem vertrauten Anblick geworden sind, nachdem einige Fahrradhandelsfirmen zu shnell zu groß wurden und schließlich untergegangen sind. Das Fahrrad-Sharing ist in China jedoch nach wie vor sehr beliebt und wird weiter wachsen.

Während viele der stationslosen Systeme abgestürzt sind, erholt sich Vélib – eines der am häufigsten zitierten Beispiele für ein erfolgreiches Projekt – nach ein paar turbulenten Jahren wieder gut. Die ökologischen Vorteile einer verstärkten Nutzung von Fahrrädern sind unbestreitbar. Selbst unter Berücksichtigung des CO2-Fußabdrucks ihrer Produktion sind Fahrräder im Vergleich zu Kraftfahrzeugen eine kohlenstoffarme Option der städtischen Mobilität.

Obwohl die Programme zur gemeinsamen Nutzung von Fahrrädern gemischte Ergebnisse bei der Reduzierung der tatsächlichen Anzahl an Autos auf unseren Straßen erzielt haben, fungieren sie zumindest als reale Mittel zur Förderung und Sensibilisierung einer nachhaltigen Fortbewegung. Eine Reihe von Studien deuten darauf hin, dass in Städten, die Fahrrad-Sharing-Programme eingeführt haben, die Fahrten mit dem Rad insgesamt zugenommen haben, weil sich dadurch die Fahrradinfrastruktur verbessert hat. Dies wiederum ermutigt weitere Menschen, auf den Drahtesel umzusteigen, insbesondere in Gebieten, in denen diese Fortbewegung bisher nicht üblich ist. Und eine zunehmende Zahl von Radler*innen auf der Straße normalisiert das Radfahren und sensibilisiert die anderen Verkehrsteilnehmenden. Das wiederum erhöht die Sicherheit.

Viele potenzielle Radfahrende schrecken Sicherheitsbedenken ab; die Tatsache, dass es in den großen chinesischen Städten genügend Platz zum sicheren Fahren gibt, wird als einer der Gründe angesehen, warum das Fahrrad-Sharing dort stark zugenommen hat. Die Straßen in den amerikanischen Städten hingegen, die auf Autos und nicht auf Fahrräder ausgerichtet sind, sind einer der Hauptgründe, warum viele Verkehrsteilnehmende das Radfahren dort nicht als „freudig, effizient, bequem oder sicher“ ansehen.

Für eine abschließende Bilanz sollten wir daher nicht nur die Auswirkungen von Fahrradleihsystemen auf die  Verringerung der CO2-Emissionen oder an der Anzahl der Autos, die sie ersetzen, messen. Stattdessen sollten wir sie als eine Intervention betrachten, die die Dynamik der Mobilität in den Städten verändert und das Fahrradfahren zugänglicher, sicherer und wünschenswerter macht. Die Sichtbarkeit von Fahrrad-Sharing ist ein Akt der Fürsprache für Stadtradfahrende, denn die öffentliche Zustimmung zu Fahrrad-Sharing stellt die Mentalität in Frage, dass Straßen nur für Autos gemacht sind. Paris ist zwar noch weit entfernt von einem Radfahrparadies, aber wir hoffen, dass die Wiederbelebung und Erweiterung des Vélib-Systems immer mehr Menschen dazu anregt, auf zwei Rädern über die Boulevards der Stadt zu rollen.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Sarah-Indra Jungblut. Das Original erschien zuerst auf unserer englischen Webseite.

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