EU-Nachhaltigkeitspolitik: Wie weit sind wir heute?

Saubere Energie, emissionsarme Mobilität, nachhaltige Produktion: Die EU gilt in puncto Nachhaltigkeit als Vorbild. Entspricht dieses Image der Realität? RESET wirft einen Blick auf den Status quo einiger der wichtigsten Zielsetzungen.

Autor*in RESET , 17.07.19

Übersetzung RESET :

Im September 2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung. Diese Ziele oder SDGs (Sustainable Development Goals) sollen der „Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer, sowie ökologischer Ebene dienen“, wie es eine UN-Resolution formuliert. Hierfür wurde eine weitreichende Vision für die Agenda 2030 entworfen und die Mitgliedsstaaten erklärten, gemeinsam die Bewältigung unserer großen gesellschaftlichen Probleme angehen zu wollen.

Über den Ursprung und die Details der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung haben wir bei RESET bereits berichtet. Nachdem nun bald vier Jahre seit ihrer Verabschiedung vergangen sind, lohnt sich ein Blick auf den aktuellen Stand bei uns in Europa: Welche Maßnahmen hat die EU ergriffen, um die SDGs zu erreichen? Wo besteht noch Verbesserungsbedarf? Und wie können die Zielsetzungen schließlich erreicht werden?

Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung sind gleichwertig und jeweils miteinander verzahnt: Die Erreichung eines einzelnen Ziels hängt von der Erreichung der anderen Ziele ab. Insofern lassen sie sich nicht nach Wichtigkeit voneinander abstufen. Da unser Fokus bei RESET jedoch vor allem auf nachhaltigen Innovationen liegt, beleuchten wir drei der 17 Ziele, die hierbei besonders relevant sind: Saubere Energie (Ziel 7), Industrie, Innovation und Infrastruktur (Ziel 9) sowie Nachhaltige/r Konsum und Produktion (Ziel 12).

Die Zielsetzungen wurden in der EU auf verschiedene Arten institutionalisiert und in politischen Maßnahmen umgesetzt. Um den aktuellen Status bewerten zu können, werden die zentralen EU-Maßnahmen hier skizziert.

Die EU als Vorreiterin der Energiewende?

Das Globale Ziel 7 will bezahlbare und saubere Energie auf der ganzen Welt erreichen. Die EU ist bereits heute einer der kohlenstoffeffizientesten Wirtschaftsräume der Welt. Erneuerbare Energien sind ein zentraler Bestandteil des Energiemixes der EU: Mehr als die Hälfte des in der EU gelieferten Stroms wird klimaneutral erzeugt. Durch verschiedene Energieeffizienzmaßnahmen verbessert sich die EU kontinuierlich. Durch den Zusammenschluss zur Energieunion im Jahr 2015 wurde einer der umfassendsten Rechtsrahmen der Welt für die Energiewende und die Modernisierung der Wirtschaft etabliert. In diesem Zuge wurden die Politikbereiche Klima, Energie und Forschung zusammengeführt. Die Ziele der EU sind ein Anteil an erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch von mindestens 32 Prozent bis 2030. Im Klimaschutzübereinkommen von Paris wurde außerdem das Ziel formuliert, die Treibhausgasemissionen um mindestens 40 Prozent gegenüber den Werten von 1990 zu reduzieren. Die EU gilt außerdem als Vorreiterin bei Meeresenergie- und Offshore-Windenergie-Technologien. 

Dennoch: Es gibt großen Verbesserungsbedarf. Die EU verbraucht etwa ein Fünftel der Energie weltweit und ist damit zu mehr als 50 Prozent auf Energiezulieferungen angewiesen. Die Produktion erneuerbarer Energie reicht nicht aus und es gibt einen Mangel an Investitionen: Der Investitionsrückstand beläuft sich auf rund 180 Milliarden Euro pro Jahr. 

Problematisch in der dicht besiedelten Union sind vor allem die Gebäude, die für rund 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sind, wie dem Reflexionspapier der Europäischen Kommission zu entnehmen ist. Zwar wurde 2018 die sogenannte Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden verabschiedet, deren Ziel es ist, den Gebäudestand bis 2050 zu dekarbonisieren. Dort geht es jedoch vor allem um Neubauten. Angesetzt werden müsste allerdings unbedingt bei den Altbauten: Etwa 35 Prozent der Gebäude innerhalb der EU sind mindestens 50 Jahre alt und etwa 75 Prozent aller Gebäude sind Energie-ineffizient. Renovierungen könnten zwar den Energieverbrauch der EU um 5 bis 6 Prozent reduzieren und CO2-Emissionen von etwa 5 Prozent einsparen, jährlich werden aber nur 0,4 bis 1,2 Prozent des Gebäudestands renoviert. 

Nachhaltige Infrastruktur und Innovation fördern 

Das globale Ziel 9 beinhaltet, eine belastbare Infrastruktur aufzubauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung zu fördern und Innovationen zu unterstützen. Zentraler Bestandteil unserer Infrastruktur ist der Sektor der Mobilität. Der Verkehr verursacht fast ein Viertel der Treibhausgasemissionen in Europa und ist die Hauptursache für die Luftverschmutzung in den Städten. Mit dem Aktionsplan für emissionsarme Mobilität 2016 und insgesamt drei Mobilitätspaketen zu „Europa in Bewegung“ in den Jahren 2017 und 2018 hat die EU zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung unseres Verkehrssystems veranlasst. Eine breite Palette von Initiativen soll beispielsweise den Verkehr sicherer machen, intelligente Straßenbenutzungsgebühren fördern oder Emissionen, Luftverschmutzung und Verkehrsüberlastungen verringern. Übergeordnetes Ziel am Ende dieser Maßnahmen ist die Emissionsfreiheit der EU. 

Das jüngste Paket zu „Europa in Bewegung“ zielt darauf ab, es allen Menschen in Europa zu ermöglichen, Nutzen aus sichererem Verkehr, umweltfreundlicheren Fahrzeugen und fortschrittlicheren technischen Lösungen zu ziehen. Europa soll damit zu einem Vorreiter für vollautomatisierte und vernetzte Mobilitätssysteme werden.

Doch auch das Thema Infrastruktur und Mobilität lässt sich längst nicht einseitig positiv beurteilen, auch hier gibt es noch viel Luft nach oben. E-Mobilität und andere alternative Antriebe sollten noch stärker gefördert werden, da hier die Zukunft des Straßenverkehrs liegt. Essenziell ist dabei auch, dass E-Fahrzeuge mit Strom aus erneuerbaren Energien fahren und nicht mit dem üblichen Strommix betrieben werden. Der europäische Schienenverkehr wird zum Beispiel noch immer zu großen Teilen mit Strom aus Kohle- und Atomenergie betrieben. Nicht zuletzt werden nach wie vor umweltschädliche Mobilitätskonzepte wie der Flugverkehr subventioniert. Die Energiesteuerbefreiung von Kerosin und die Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge verzerren den Wettbewerb zu Lasten der Bahn und anderer umweltfreundlicher Verkehrsmittel.

Die EU ist das offenste Forschungs- und Innovationsgebiet der Welt, so das Reflexionspapier für ein nachhaltiges Europa der Kommission. Europa hat einen Anteil von 20 Prozent der weltweiten FuE-Investitionen (Forschung und Entwicklung) und stellt ein Drittel aller qualitativ hochwertigen wissenschaftlichen Publikationen her. Dennoch sind auch hier Verbesserungen nötig: Die Investitionen der Unternehmen in Forschung und Innovation müssten steigen, da sie derzeit mit 1,3 Prozent des BIP hinter China, den USA und Japan liegen. Seit der Wirtschaftskrise stagniert außerdem die Zahl der Patentanmeldungen. Auch der digitale Wandel muss weiter gefördert werden, da er eine Grundlage für den Übergang zu einer CO2-armen Kreislaufwirtschaft und Gesellschaft darstellt.

Wie nachhaltig produzieren und konsumieren wir?

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten schneiden bezüglich des zwölften Ziels besonders schlecht ab: Nachhaltige/r Konsum und Produktion. Europaweit herrschen traditionelle und konservative Verbrauchs- bzw. Produktionsmuster vor. Es gibt nur langsame Veränderungen des Regelungsumfelds und oft Widerstand von nicht-nachhaltigen Sektoren und Regionen, die Angst davor haben, ihre traditionelle Einnahmequelle aufzugeben bzw. sich neu zu orientieren. Eng verbunden ist dies mit einem generellen Mangel an finanziellen Anreizen zur Umorientierung. Besonders wichtig für die Erreichung des 12. Ziels ist die Förderung der Kreislaufwirtschaft. Im Jahr 2015 wurde ein Aktionsplan zu einer europaweiten Kreislaufwirtschaft vorgelegt, der das Potenzial hat, hier Veränderungen voranzutreiben. Bereits bewirkt hat der Plan, dass der Übergang von linearer zu Kreislaufwirtschaft schneller vorankommt, zusätzlich konnten neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Doch auch hier gibt es Kritik: Es besteht weiterhin großer Handlungsbedarf, damit der Kreislauf vollständig geschlossen wird und die Wettbewerbsvorteile genutzt werden können, die die Kreislaufwirtschaft den Unternehmen in der EU potenziell bietet. Aktuell sind wir noch sehr weit von den formulierten Zielen entfernt. Eine europaweite Kreislaufwirtschaft ist noch lange nicht in Sicht.

Im Januar 2018 verabschiedete die Europäische Kommission außerdem eine Strategie für Kunststoffe, die „die Umwelt vor Verschmutzung durch Kunststoffe schützen und gleichzeitig Wachstum und Innovation fördern wird“, so die Pressemitteilung. Die Strategie markiert das erste EU-weite politische Rahmenkonzept, bei dem der materialspezifische Lebenszyklus im Mittelpunkt steht. Ziel ist eine kreislauforientierte Produktgestaltung sowie die Integration von Recycling in die Kunststoffwertschöpfungsketten. Bis 2030 sollen alle Kunststoffverpackungen, die in der EU auf den Markt gelangen, wiederverwendbar oder recyclingfähig sein. Mikroplastik und einige der schädlichsten Einwegkunststoffartikel, für die es Alternativen gibt, sollen verboten werden. Für Innovationen und Investitionen stellt die EU zwischen 2016 und 2020 insgesamt öffentliche Mittel von mehr als zehn Milliarden Euro bereit. Von 2016 bis 2019 wurde außerdem das Ökodesign-Arbeitsprogramm abgehalten, welches Produkte mit kreislauforientiertem Design fördert.

Die beschriebenen Maßnahmen klingen gut und sind sicherlich sinnvoll. Dennoch: Um SDG 12 zu erreichen, bedarf es noch viel größerer Anstrengungen. Aktuell werden weniger als 12 Prozent der in der EU verwendeten Materialien in einer kreislaufwirtschaftlichen Weise genutzt. Diese Zahl ist viel zu niedrig, um die selbst gesteckten Ziele bis 2030 erreichen zu können. Außerdem recycelt die EU weniger als 40 Prozent ihres Plastikmülls. Nötig wären effizientere Maßnahmen, nicht nur ein guter Wille. 

Ein weiterer entscheidender Bereich von Konsum und Produktion ist die Lebensmittelindustrie. Die EU-weite Tendenz ist vielversprechend: Seit 1990 sind die Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft um 20 Prozent und der Nitratgehalt der Flüsse um 18 Prozent gesunken. Außerdem ist die ökologische Landwirtschaft in den EU-Mitgliedsstaaten seit 2005 stetig gewachsen. Doch die großen Herausforderungen sind noch nicht bewältigt: Die gemeinsame Agrarpolitik der EU-Staaten hat keine hohen umweltpolitischen Ambitionen und wird die Situation wohl kaum relevant verbessern. Export-orientierte Landwirtschaft und exzessiver Konsum tierischer Erzeugnisse verstärken die umweltpolitischen Probleme. Lebensmittelproduktion und -konsum müssen sich also grundlegend ändern. Effektive Anreize werden hier (bislang) nicht gesetzt. 

Status: Es geht voran, doch es gibt viel Luft nach oben

Die EU hat in in vielen Bereichen bereits sinnvolle Maßnahmen hin zur Erreichung der angestrebten Ziele und einer nachhaltigen Lebensweise ergriffen. Nichtsdestotrotz besteht noch deutlicher Verbesserungsbedarf. Generell ist zu kritisieren, dass zwar regelmäßig ambitionierte Pläne geschmiedet werden, es aber dann an der konsequenten Umsetzung und an den Anreizen bzw. den Sanktionen hapert. Diese wirkungslosen Selbstverpflichtungen werden zu Recht kritisiert. Um wirklich voran zu kommen, müssen alle an einem Strang ziehen: Die Politik sollte in enger Zusammenarbeit mit der Wissenschaft die Rahmenbedingungen schaffen, die dann von Unternehmen und letztendlich auch den Verbrauchern selbst umgesetzt werden. 

Hier lohnt ein Blick auf Projekte in einzelnen Ländern oder Regionen, die, von der EU gefördert, konkrete Lösungswege aufzeigen und im Kleinen beweisen, was im Großen erreicht werden kann. In diesem Artikel stellen wir einige dieser zukunftsweisenden Projekte genauer vor: Gelungene Nachhaltigkeitspolitik in der EU: So kommen wir weiter!

Autor: Keno Röller-Siedenburg, RESET-Redaktion (Juli 2019)

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