„Endboss“ Dekarbonisierung: Wie die Sustainable Games Alliance die Gaming-Industrie nachhaltiger machen will

Über drei Milliarden Menschen spielen regelmäßig Videospiele! Die Sustainable Gaming Alliance möchte die Spieleindustrie daher zu mehr Nachhaltigkeit bringen – Im Gespräch mit RESET betonen Maria und Jiri von der SGA dabei zudem die besondere Rolle der Videospiele in einer nachhaltigen Welt.

Autor*in Benjamin Lucks, 30.04.25

Übersetzung Kezia Rice:

Was schätzt du, wie viele Menschen auf der Welt Videospiele spielen? Eventuell überrascht es dich, dass es Schätzungen zufolge mehr als drei Milliarden sind. Fast die Hälfte der Menschheit konsumiert Spiele auf dem Smartphone, am PC oder per Videokonsole. Die Industrie, die diese Spiele entwickelt, ist dabei laut der Sustainable Games Alliance umsatzstärker als die Film- und Musikbranche zusammen. Es ist also längst nicht mehr angemessen, Videospiele nur als „Spielerei“ anzusehen.

Was umfasst der Begriff „Gaming-Industrie“ alles?

Häufige Frage im Rahmen unserer Recherche zu nachhaltigem Gaming: Was genau ist damit überhaupt gemeint?

Wenn wir in diesem Interview über „Gaming“ und „Gaming-Industrie“ bzw. „Spiele“ und „Spieleindustrie“ schreiben, meinen wir alle Formen des digitalen Gamings.

Wir schließen also Brettspiele, Gesellschaftsspiele oder sonstige analoge Spielformen aus, schließen aber sowohl Smartphones, Konsolen, PC-Spiele und Co. mit ein.

Gaming ist eine ernstzunehmende Industrie – und eine Kunstform, die grafische, interaktive und akustische Elemente verbindet. Für Maria Wagner und Jiri Kupiainen sind Videospiele zudem eine Chance für eine nachhaltige Digitalisierung. Die beiden sind Teil der Sustainable Games Alliance – im Folgenden SGA – und haben uns im Gespräch verraten, wie sie große Spielestudios bei einer nachhaltigen Transformation unterstützen möchten. Aber fangen wir bei Level 1 an – unserem Tutorial zu nachhaltigem Gaming.

Maria und Jiri, warum ist Gaming überhaupt „un-nachhaltig“?

„Mit einem jährlichen CO2-Fußabdruck zwischen 50 und 500 Millionen Tonnen an CO2 verursacht die Gaming-Industrie Schätzungen zufolge etwa so viele Emissionen wie die Länder Norwegen und Schweden.“ Diese große Spannweite zeige laut Maria Wagner bereits ein Hauptproblem der Branche: „Uns fehlt es an zuverlässigen Daten“.

Der jeweilige Stromverbrauch von Gaming-Computern, Konsolen und Smartphone schwanke dabei zudem recht stark, ergänzt Jiri Kupiainen: „Während ein Smartphone bei gelegentlichen Gaming-Sessions recht sparsam ist, verbrauchen ausgewachsene Gaming-Rechner mit Bildschirmen bis zu einem Kilowatt an Energie pro Stunde.“ Mehrstündiges Gaming jeden Abend wirkt sich ohne Ökostrom also schon stark negativ auf den individuellen digitalen CO2-Fußabdruck aus.

RESET / Benjamin Lucks
Maria und Jiri von der Sustainable Games Alliance.

Hinzu kommen allerdings auch CO2-Emissionen, die bereits bei der Produktion der benötigten Hardware entstehen. Das betrifft natürlich auch andere Branchen. Beim Gaming komme laut Jiri aber ein entscheidender Faktor dazu: „Es macht [… im Einzelnen …] keinen großen Unterschied – aber die halbe Menschheit spielt. Und daher ist es auch wichtig, den Energieverbrauch zu messen und zu schauen, ob und wie wir dabei effizienter werden können.“

Ein Grundproblem sei dabei laut den beiden Expert:innen, dass die Gaming-Industrie trotz ihrer Digitalität keine zuverlässigen Daten erhebe. Die Sustainable Games Alliance möchte Unternehmen daher erst einmal beim Reporting unterstützen, sodass sich allmählich eine gemeinsame Diskussionsgrundlage ergibt.

„Vorhandene Standards sind nicht spezifisch genug“

„Die Spieleentwickler erheben ihre eigenen Daten und so diskutiert man nicht auf derselben Ebene“, umreißt Maria Wagner das Grundproblem. „Ohne vergleichbare Daten ist es schwer, Benchmarking zu betreiben, um etwa den Code oder die Produkte effizienter zu gestalten.“

Unter anderem bewertet die SGA die Selbstangaben zu Scope-3-Emissionen verschiedener Spielehersteller und Hardware-Entwickler.

Die Sustainable Games Alliance passt daher vorhandene Industriestandards an die Bedürfnisse der Gaming-Branche an. Dr. Ben Abraham arbeitet als führender Researcher bei der SGA und nutzt unter anderem das Greenhouse Gas Protocol sowie die CSDR als Vorlagen für neue Standards. „Das Greenhouse Gas Protocol“, erklärt Maria Wagner, „ist nicht spezifisch genug, wenn es um Gaming geht. Wenn wir uns die Emissionen für die Hardware anschauen, stellen sich Fragen wie ‚Wer ist hier verantwortlich?‘, ‚Wie kommen wir überhaupt an die Daten‘. Wir benötigen einen weltweiten Ansatz, um die Gaming-Industrie zu transformieren.“

Kurz zusammengefasst ist der Ansatz also: „Wir helfen Unternehmen dabei, Daten zu sammeln und diese zu reporten – und daraus entwickeln wir effiziente Möglichkeiten, um die Effizienz zu steigern und den eigenen Energieverbrauch [sowie den der eigenen Produkte] zu senken.“

Nachhaltigere Spiele haben viele Vorteile für Gamer:innen

Für die Unternehmen entstehe dabei ein doppelter Vorteil. Werden Games effizienter, steige etwa die Akkulaufzeit der Geräte und Nutzer:innen können die darauf wiedergegebenen Spiele länger spielen. Darüber hinaus seien effizientere Spiele mit mehr Geräten kompatibel und so können Spieleentwickler ein größeres Publikum erreichen.

Unseren Erfahrungen nach gibt es dabei allerdings auch eine Gefahr: Spielen durch effizientere Spiele wiederum mehr Menschen, können Rebound-Effekte entstehen, die den digitalen CO2-Fußabdruck eines Videospiels potenziell wieder erhöhen. Das passiert vor allem dann, wenn Mobile Games durch Werbeeinblendungen und Tracker finanziert werden. Wie sehr das den digitalen CO2-Fußabdruck erhöhen kann, erläutert Jens Gröger vom Ökoinstitut im Interview.

Wie erfolgreiche Maßnahmen in der Praxis aussehen können, zeigen einige Unternehmen zusammen mit der SGA bereits in Fallstudien. „Am 27. April hatten wir ein Meet-Up, wo wir mit großen Gaming-Unternehmen sprachen. Dabei zeigten wir, wie Unternehmen den Energieverbrauch ihrer Spiele senken können, ohne die Gaming-Experience zu schmälern“, fasst Maria Wagner zusammen und fügt hinzu: „Microsoft und Ubisoft stellen dabei etwa Fallstudien vor, die positive Impacts zeigen. Ein effizienterer Code oder eine nachhaltigere Spiele-Engine verbessern etwa die Akkulaufzeiten portabler Geräte. Das Reporting hilft Unternehmen, bessere Spiele zu entwickeln und steigert die Zufriedenheit der Kund:innen.“

Vorteil: Die Gaming-Industrie ist bereits digital

Anders als etwa die Landwirtschaft, der Gebäudesektor oder die Mobilitätsbranche hat die Gaming-Industrie laut Maria und Jiri zudem einen großen Vorteil: „Wir sind eine der wenigen Branchen, die vollends dekarbonisieren kann, denn wir sind bereits komplett digital.“ Genau aus diesem Grund sehen sie bei ihrer Branche aber auch eine besondere Verantwortung, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht.

Wichtig zu erwähnen: Die Sustainable Games Alliance arbeitet aktuell verstärkt mit Spieleentwickler:innen zusammen. Konsolenhersteller wie Sony, Microsoft oder Nintendo sowie die Komponentenhersteller von Gaming-PCs müssten für eine nachhaltige Gaming-Branche aber ebenfalls nachhaltig agieren. Wie wir am Beispiel vermeintlich nachhaltiger PCs untersucht haben, bedeutet das Modularität und Interoperabilität von Komponenten. Konsolenhersteller müssen bei ihren Konsolen zudem weiterhin Gebrauchtkäufe ermöglichen, was aufgrund der zunehmenden Digitalkäufe nicht immer gegeben ist. Trotzdem resümiert Jiri Kupiainen:

„Wenn man Stahl produziert und einen Hochofen betreiben muss, hat man [in Bezug auf den Energieverbauch] eine gewisse Ausrede: Man muss schließlich einen Hochofen betreiben. Diese Ausrede haben wir nicht – wir können dekarbonisieren, wenn wir es nur wollen.“

Cloud-Gaming und AI – wie verändert das die Spieleindustrie?

Während sich die Gaming-Branche in den letzten Jahrzehnten in manchen Sektoren ganz natürlich in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt hat – physische Datenträger werden beispielsweise immer seltener genutzt – gab es dabei auch einen Gegentrend. Konsolen und PCs ohne Online-Funktionen gibt es kaum noch. Und immer mehr Hersteller und Entwicklerstudios erwarten von Gamer:innen, dass sie permanent online bleiben und dadurch auch permanent Daten an Rechenzentren übertragen.

Jiri kritisiert diesbezüglich: „Die erste Frage ist dabei: Warum benötigt ein Einzelspieler-Spiel auf dem Handy überhaupt eine Internetverbindung? Die Antwort ist in den meisten Fällen ‚Werbung“, in anderen ist sie ‚Faultheit‘ [der Entwickler]. Unseren Schätzungen zufolge fallen die Produktion der Hardware und der Stromverbrauch der Geräte aber noch immer stärker ins Gewicht. Danach sind es aber die Datenübertragung und die Server-Infrastruktur – und dieser Faktor wird zunehmend größer, da auch hier die Integration von KI-Funktionen ansteigt.“

Der KI-Boom der letzten Jahre könnte eine Dekarbonisierung der Gaming-Industrie verlangsamen. Maria Wagner sagt hierzu: „Wenn wir uns die Nachhaltigkeitsberichte der größten Cloud-Anbieter anschauen, sehen wir, dass deren Emissionen stark ansteigen. Verantwortlich dafür sind KI-Modelle, die den Energieverbrauch steigen lassen. Beim gesamten Unternehmen Microsoft ist es etwa das Dreifache.“

nachhaltige Digitalisierung

Wie sieht eine grüne digitale Zukunft aus?

Elektroschrott, CO2-Emissionen durch KI, Wasserverbrauch von Rechenzentren – aktuell scheint  die ungezügelte Digitalisierung nicht mit einem gesunden Planeten vereinbar. Doch es gibt viele Lösungen für eine ökologische und faire Digitalisierung – wir haben sie recherchiert:

Darüber hinaus deutet Maria Wagner diesbezüglich noch einmal auf den steigenden Wasserverbrauch von Datenzentren hin. Wasser wird in Datenzentren für die Kühlung der Server genutzt und stellt gerade in wasserarmen Regionen ein Problem dar. Zwar kann dieses Wasser theoretisch für die Beheizung naheliegender Wohngebiete genutzt werden, in der Regel geht die Wärme aber verloren.

Was können Gamer:innen selbst tun?

Die Sustainable Games Alliance will also vor allem über Standards und in Zusammenarbeit mit Spieleentwickler:innen eine Dekarbonisierung der Gaming-Industrie durchsetzen. Aktuell ist ihr dabei besonders wichtig, dass die Unternehmen selbst aktiv werden und über Reporting überhaupt herausfinden, welche Emissionen die verschiedenen Prozesse verursachen und wie viel Energie und Wasser sie verbrauchen.

Die SGA zeigt aber auch, wie eine nachhaltige Transformation in der Spieleindustrie aussehen kann. Konkret gelingt das über Verpackungen aus Papier statt aus Plastik, mit reduzierten Leistungsanforderungen von Videospielen und über einen vorsichtigen Umgang mit KI-Systemen.

Maria und Jiri betonen im Interview allerdings auch, dass die Gamer:innen selbst Hebel für nachhaltiges Gaming in der Hand haben:

  • Gebraucht- und Refurbished-Käufe statt Neukaufen der benötigten Hardware
  • Nutzung von Werbeblockern oder Verzicht auf Free-to-Play-Spiele mit übermäßiger Werbung und Werbetracking
  • Wechsel zu einem Anbieter mit Ökostrom
  • Nutzung von Spieledownloads und Leihangeboten für Videospiele in Bibliotheken oder im Netz
  • Vermeidung von Standby-Zeiten in Videospielen oder bei der Nutzung von Gaming-Hardware

Weitere Tipps für nachhaltiges Gaming finden sich zudem bei den Angeboten von Playing for the Planet, beim Umweltbundesamt sowie auf der Spielemesse Gamescom in Köln.

„Gaming lässt uns fühlen, wie sich Nachhaltigkeit oder die Klimakrise auswirken“

Neben nachhaltigen Praktiken, den Herausforderungen und den Potenzialen der Gaming-Industrie ging es in unserem Gespräch mit der SGA auch um das Potenzial des Mediums Videospiel. Denn Jiri Kupiainen sieht hier eine Chance, die uns keine andere Branche bietet:

„Zu Spielen ist eines der fundamentalsten Dinge, die wir Menschen tun. Als Kinder spielen wir miteinander zu kämpfen oder uns zu fangen. Es gibt uns die Möglichkeit, zu experimentieren und Dinge herauszufinden, ohne uns wirklichen Gefahren auszusetzen. So werden wir erwachsen – und im Prinzip geht es auch bei Videospielen genau darum.“

Als Kunstform geben uns Videospiele daher die Möglichkeit, Szenarien und ihre Folgen auszuprobieren: „Wir können nicht nur ausprobieren, wie eine grüne Transformation aussieht – wir können auch die Folgen des Klimawandels spürbar machen. Und uns dann fragen: ‚Was wäre wenn?“, spezifiziert Jiri und fügt hinzu: „Ein Spiel, in dem wir einen Planeten vollmüllen und zerstören, kann einerseits sehr viel Spaß bringen – es kann Spieler:innen aber auch zu mehr Nachhaltigkeit motivieren. Es zeigt Menschen, dass wir eine solche Welt verursachen oder abwenden können und dass unsere Handlungen Folgen haben.“

Wir bedanken uns bei Maria und Jiri für das Interview!

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Dieser Artikel ist Teil des Dossiers „Digital und grün – Lösungen für eine nachhaltige Digitalisierung“, in dessen Rahmen wir Lösungen für eine ökologische und faire Digitalisierung vorstellen. Wir danken der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) für die Projektförderung!

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