Einfach bauen – Wenn weniger mehr ist

Sebastian Schels
Auf den ersten Blick nahezu identisch, steckt der Unterschied in der Konstruktion: Beton, Holz, Mauerwerk (von links nach rechts).

Nach dem Einfach-Bauen-Ansatz gebaute Häuser setzen auf Hightech-Verfahren für Lowtech-Lösungen und die Intelligenz der Baukonstruktion - und erreichen so maximale Energieeffizienz.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 13.09.23

Übersetzung Christian Nathler:

„Bauen wird immer komplizierter“, sagt der Architekt Tilmann Jarmer. Außerdem würden die thermische Trägheit oder solare Einträge nicht genutzt oder falsch eingeschätzt. „Das Raumklima kann dadurch aus dem Gleichgewicht geraten. Der Versuch, dieses Ungleichgewicht durch Technik auszugleichen, ist dann mal mehr, mal weniger erfolgreich.“ Um diesen Entwicklungen ein neues Konzept entgegenzusetzen, hat Jarmer mit seinem Team im Forschungsprojekt „Einfach Bauen“ dazu geforscht, wie maximal einfache Häuser gebaut werden können, die minimal Energie und Ressourcen benötigen. Das Projekt ist an der TU München an den Lehrstühlen von Thomas Auer und Florian Nagler angesiedelt.

Mittlerweile ist aus den Forschungsergebnissen ein Modellprojekt entstanden, in dem das Einfach-Bauen-Prinzip konsequent umgesetzt wurde. In Bad Aibling stehen seit 2019 drei auf den ersten Blick sehr schlichte Mehrfamilienhäuser mit charakteristischen halbrunden Fensterbögen. Was nicht sofort offensichtlich ist: Jedes der drei Gebäude hat eine andere, besonders einfach konstruierte Außenwand. Eines der Häuser ist ein Holzbau aus Massivholz, bei dem, anders als üblich, vollständig auf meist durch Folien gewährleistete Dampfsperren sowie zusätzliche Dämmung verzichtet wurde. Die einzelnen Schichten sind zudem nur an den notwendigen Bereichen verleimt, um so weit wie möglich auf Kleber zu verzichten. Ein weiteres Haus besteht aus Hochlochziegeln, die wesentlich leichter recycelbar sind als die weiter verbreiteten Ziegel mit EPS-Füllung. Und das letzte ist ein Betonhaus mit dämmendem Infra-Leichtbeton, das ohne Bewehrung auskommt.

Auch das Innenleben der dreistöckigen Bauten setzt auf maximale Einfachheit: die Wand- und Deckenkonstruktionen bestehen aus nur einer Schicht und sind massiv, wodurch sie als Dämm- und Speichermasse funktionieren. Die Fensterflächen sind an den tatsächlichen Bedarf und das ideale Raumklima angepasst und es wurden keine Hilfsstoffe und materialfremde Sonderbauteile verbaut.

Sebastian Schels
Innenansicht des Holzhauses.

Die Intelligenz herkömmlicher Baukonstruktion

„Wir wollen es richtig machen: ressourcenschonend, regenerativ, Holzbau, Energie+. Die Technik dafür steht zur Verfügung. Gibt es eigentlich Grenzen? Ich habe sie gesehen“, kritisiert auch der beteiligte Architekt Florian Nagler die aktuell oft sehr komplizierten Bauweisen im Interview mit Bauwelt. Nagler hat die Gebäude in Bad Aibling mit seinem Büro Florian Nagler Architekten für die B&O Gruppe errichtetet. Und auch er fordert, dass wir die Mittel, die wir beim Bauen einsetzen, neu in den Blick nehmen müssen. „Weniger technische Apparate in den Bau, mehr (technische) Intelligenz in Planung, Simulation, Forschung – und Inspiration, wie sie von Baumschlager Eberles Gebäude ‚2226‘ ausgeht.“

Das Architekturbüro Eberle hat mit seinem Bürohaus 2226 einen Paradigmenwechsel in der Architektur vollzogen. Mit ihrem Gebäude haben die Architekt*innen den Ansatz, Energieeffizienz durch immer hochkomplexere Haustechnik zu erreichen, radikal zurückgenommen und auf die Intelligenz herkömmlicher Baukonstruktion gesetzt – also schon lange bewährte Mittel der Baukunst. Wie bei Jarmer und Nagler werden Raumtemperatur und Klima durch die Materialien, die Raumhöhe und die maßvolle Befensterung optimiert, für hohe Dämmwerte sorgt eine nach Lage und Höhe optimierte Konstruktion aus Ziegeln.

Die Vorteile der Einfach-Bauweise liegen auf der Hand: Durch die geringe Komplexität des Gebäudes bedarf es wenig Aufwand für Betrieb und Wartung. Und die Gebäude sind robuster gegen Veränderungen und langlebiger. Denn komplexe Haustechnik ist oft störanfällig und veraltet potenziell ähnlich schnell wie unsere Smartphones oder Tablets. Das wird dann zum Problem, wenn sie nicht mehr funktioniert und es Fachpersonal braucht, um sie zu reparieren. Oder keine Updates mehr bereitgestellt werden, zum Beispiel weil das Unternehmen pleite geht. Der Ansatz des Einfach Bauens will dagegen möglichst viele Fehlerquellen ausschließen. „So wenig Komplexität, Vernetzung, Automatismus wie möglich“, betont Nagler. Dazu gehört auch die konsequente Trennung von Gebäude und Techniksystemen.

Sebastian Schels
Innenansicht Ziegelbau

Nicht Technik-Verweigerung, sondern Angemessenheit

Die Reduktion von hochkomplexer Technik im Haus bedeutet allerdings nicht, diese komplett auszuschließen. Doch wie Nagler betont, muss diese letztlich auch für die Bewohner*innen übersichtlich, verständlich, handhabbar und reparierbar sein.

In Eberles Bürohaus 2226 regulieren über Sensoren gesteuerte Lüftungsflügel die Temperatur und den CO2-Anteil und sorgen so für ein immer angenehmes Klima. Und auch im Projekt „Einfach Bauen“ haben digitale Technologien eine zentrale Rolle gespielt.

Mit Hightech-Verfahren zu Lowtech-Lösungen

Nach einer ausführlichen Produkt- und Projektrecherche standen am Anfang des Forschungsprojekts die Optimierung der Konstruktionen und die Entwicklung von Raum- und Technikkonzepten. Dabei wurden auch Einzelräume entworfen und deren Energieverbrauch und das Raumklima in Abhängigkeit von der Tiefe, Breite, Höhe und dem Fensterzuschnitt mithilfe von Simulationen ermittelt. „Die Fähigkeiten, das Raumklima zu simulieren, ist inzwischen recht weit vorangeschritten. Dadurch kann ich eigentlich unendlich viele Varianten austesten und daraus lernen“, berichtet Tilmann Jarmer. Auch Himmelsrichtung und Wetterdaten wurden als Einflussgrößen mit einbezogen. Daraus sind Räume entstanden, die nicht nur effizient, sondern auch vielfältig nutzbar und damit wandlungsfähig sind – weitere wichtige Faktoren für die Nachhaltigkeit der Häuser.

Zudem wurden für alle Raumvarianten die Umweltauswirkung und die Kosten über den gesamten Lebenszyklus berechnet, also von der Rohstoffgewinnung bzw. Herstellung bis zur Entsorgung.

Nach der Bauphase wurde eine Dateninfrastruktur mit einem Netz aus über 300 Sensoren aufgebaut, mit denen dann in Langzeitmessungen die Außenwände, das Raumklima und das Nutzerverhalten gemessen wurden. Während viele hochtechnologische Bauteile in der Praxis oft ein Performance Gap aufweisen – die vom Hersteller unter Laborbedingungen entstandenen Kennzahlen unterscheiden sich mitunter drastisch von den tatsächlich erzielten Werten – gab es bei den Einfachbauten keine großen Überraschungen. Die Zahlen bestätigten größtenteils die Simulationen. Nur die Energieverbräuche für Heizung und Warmwasser waren etwas weniger als erwartet, berichtet Jarmer.

Gebäude sind ein CO2-Schwergewicht: Das Bauen, Wärmen, Kühlen und Entsorgen unserer Häuser hat einen Anteil von rund 40 Prozent an den CO2-Emissionen Deutschlands. Unsere Klimaziele erreichen wir nur, wenn diese Emissionen massiv gesenkt werden.

Wie aber gelingt die nachhaltige Transformation der Gebäude und welche Rolle spielen digitale Lösungen dabei? Das RESET-Greenbook gibt Antworten: Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren

Allerdings hat sich auch gezeigt, dass das Nutzerverhalten der Bewohner*innen einen großen Einfluss auf den Energiebedarf hat. Würde das wiederum nicht dafür sprechen, mit mehr Automation „fehlerhaftes“ Verhalten – im Sinne von den Energieverbrauch steigerndem Verhalten – auszuschließen? „Nehmen wir mal an, die Raumtemperatur, die Luftfeuchte und die Helligkeit in meinem Raum wird automatisch geregelt. Nehmen wir an, ich haben die notwendigen Werte für die Automation genau definiert, zum Beispiel über eine App. Jetzt braucht die Automation Zugriff auf Sensoren, die dort messen, wo ich mich aufhalte. Dann muss die Automation etwas steuern. Also zum Beispiel die Rollos, das Licht, die Lüftung, die Heizung. Diese Vorgänge müssen fehlerfrei funktionieren und müssen durch mich verwaltet werden: Jetzt möchte ich mehr Licht, jetzt möchte ich weniger Licht. ‚Nein, bitte nicht das Rolle hochfahren!‘. Automation ist eine komplexe Aufgabe“, sagt Jarmer. Daher erscheint es sinnvoll, Anstrengungen in die Aufklärung der Nutzenden zu investieren und gleichzeitig nur technische Systeme zu verwenden, die auch bei einem abweichenden Verhalten der Nutzenden noch ausreichend robust sind, um die angestrebten Ergebnisse zu erzielen.

Sebastian Schels
Innenansicht des Leichtbeton-Gebäudes.

Innovation durch Reduktion

Das Projekt “Einfach Bauen” ist ein gutes Beispiel dafür, wie mehr Nachhaltigkeit durch weniger Komplexität erreicht werden kann. Mit ihrem Ansatz haben die Forschungshäuser den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2022 gewonnen.

Stehenbleiben wird das Projekt hier nicht. „Unser Team startet im Oktober mit dem Forschungsprojekt ‚einfach (um)bauen‘. Dort wollen wir untersuchen, ob es finanziell und ökologisch sinnvoll sein könnte, die Bautätigkeit weniger auf Vollsanierungen sondern mehr auch robuste Teilsanierungen zu fokussieren“, berichtet Jarmer.

Außerdem sollen auf dem Campus der TU München in Garching drei Häuser für studentisches Wohnen gebaut werden, ebenfalls nach dem Einfach-Bauen-Prinzip.
Tilmann Jarmer hofft, dass auf des Wesentliche reduzierte Bauten mehr als nur ein Trend sind und setzt vor allem auf die Eigeninitiative der Bautreibenden. „Vielleicht kommen noch Impulse aus der Politik dazu. Die Einführung des Gebäudetyp E, der es erlaubt, in Alternativen zu den baurechtlich eingeführten Normen zu denken, wäre eine gute Möglichkeit, um schneller und mehr auszuprobieren.“

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Dieser Artikel gehört zum Dossier „Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

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