Eine windige Zukunft: Kann die Windkraft die Transformation unseres Energiesystems anführen?

Bob Dylan hat einmal gesungen: "The answer is blowin' in the wind". Gilt das auch für unsere wachsende Energie- und Umweltkrise?

Autor Mark Newton:

Übersetzung Lara Sophie Sander, 18.05.22

Es gibt nur wenige Energiequellen, die älter sind als die Windkraft. Bereits 5.000 v. Chr. nutzten die Menschen den Wind, um mit Segelschiffen und -booten den Nil zu befahren. Jahrhunderte später wurden mithilfe von Windkraft Getreide gemahlen und Holz geschlagen und bereits im frühen 20. Jahrhundert waren Windpumpen und -generatoren in ländlichen Regionen der USA, fernab der großen Metropolen, ein vertrauter Anblick.

Mit der zunehmenden Industrialisierung, Verstädterung und Elektrifizierung wurde die Windkraft jedoch bald verdrängt. Fossile Brennstoffe wurden verbrannt, um die riesigen Mengen an Strom zu erzeugen, die die wachsenden Städte und Verkehrsnetze benötigten. Die alten Stromgeneratoren aus den 1920er und 30er Jahren wurden zu verlorenen, verrosteten Antiquitäten.

Aber es dauerte nicht lange, bis der Wind zurückkehrte. Die Ölknappheit in den 1970er Jahren, die durch die instabilen politischen Verhältnisse in vielen ölproduzierenden Staaten begünstigt wurde, verlieh der Windkraft einen neuen Wert. Und in den 1990er Jahren gaben Umweltbedenken und staatliche Subventionen den Anstoß für eine neue Generation von Windrädern, die sich auf den Hügeln ausbreiteten oder vor der Küste aufgestellt wurden.

Das 1,5-Grad-Ziel ist ohne eine echte Transformation unseres Energiesystems unerreichbar. Aber wie kann sie gelingen? Was sind die Energiequellen der Zukunft? Welche digitalen Lösungen stehen bereit und wo sind Innovationen gefragt? Und wie kann die Transformation vorangetrieben werden?

Das RESET-Greenbook „Energiewende- Die Zukunft ist vernetzt“ stellt digitale, innovative Lösungen vor und beleuchtet die Hintergründe.

Windenergie in den 2020ern

Im Jahr 2022 ist die Windenergie einer der Eckpfeiler der erneuerbaren Energieerzeugung. Weltweit ist sie die zweitwichtigste Energiequelle nach der Wasserkraft – wobei in vielen Staaten, in denen weniger Wasserkraft zur Verfügung steht, sie weiter die Hauptquelle für erneuerbare Energie bleibt.

Windkraft ist auch eine der am schnellsten wachsenden Quellen für Energie. Im Jahr 2000 wurden weltweit nur 31 Terawattstunden (TWh) Strom erzeugt. Im Jahr 2020 waren es 1.591 TWh und damit fast doppelt so viel wie die Solarenergie. Einige der großen Schadstoffproduzenten haben sich ebenfalls in großem Stil der Windenergie zugewandt. Im Jahr 2020 steigerte China seine Winderzeugung um 68,8 Gigawatt, verglichen mit einem Anstieg von nur 23,8 Gigawatt im Jahr 2019. Damit war der Zuwachs des Landes im Jahr 2020 größer als im Rest der Welt zusammen.

Auch die USA mischen bei der Windenergie mit, insbesondere bei der Offshore-Windkraft. Im Oktober 2021 kündigte Präsident Joe Biden Pläne zur Entwicklung neuer Offshore-Windparks entlang der gesamten US-Küste an. Die USA rechnen damit, dass sie bis 2040 38 Gigawatt Strom aus Offshore-Windkraft erzeugen können.

Natürlich ist dieser Ausbau der Windenergie eine gute Nachricht. Nicht zuletzt im jüngsten Bericht des UN-Weltklimarates (United Nations Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)) vom April 2022 wird eine lange Liste von Technologien und ihren potenziellen Auswirkungen auf die Reduzierung der Emissionen im nächsten Jahrzehnt aufgeführt. Ganz oben auf der Liste stehen erneuerbare Energien wie Solar- und Windenergie. Sie haben nicht nur das Potenzial, jeweils rund 4 Gigatonnen Kohlenstoff pro Jahr aus der Atmosphäre zu entfernen, sondern sie sind auch die kosteneffizientesten Technologien auf der Liste.

Aber auch diese Informationen müssen in den richtigen Kontext gesetzt werden. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) liegt die Windenergie noch weit unter dem, was für ein Netto-Null-Szenario bis 2030 erforderlich ist. Laut ihrer Berechnungen müsste die Windenergie bis zum Ende dieses Jahrzehnts rund 8.008 TWh liefern; eine Zahl, die weit über der derzeitigen Steigerungsrate liegt.

Obwohl die Windenergie eine bewährte Energiequelle ist, ist sie auch mit schon lange bestehenden Herausforderungen verbunden. Diese gilt es zu überwinden, wenn die Windenergie die hochgesteckten Erwartungen des IPCC erfüllen soll.

Die Herausforderungen für die Windkraft

Die erste und wichtigste Herausforderung für die Windenergie ist ihre Unbeständigkeit – ein Problem, das viele erneuerbare Energiequellen schon lange plagt. Einfach gesagt, der Wind weht nicht immer. Er hat zwar gegenüber der Solarenergie den Vorteil, dass er auch nachts genutzt werden kann, aber auch den Nachteil, dass manchmal auch tagelang kein starker Wind wehen kann.

Eine Lösung für dieses Problem ist die Errichtung von Windturbinen an Orten, an denen der Wind am beständigsten und stärksten weht, zum Beispiel über den Meeren und Ozeanen. Offshore-Windparks gibt es erst seit Anfang der 1990er Jahre und aktuell sind sie nur für etwa sieben Prozent der gesamten Windenergie verantwortlich. Doch wie das zuvor erwähnte Projekt des US-Präsidenten zeigt, sehen Investoren und Staaten die Zukunft der Windenergie zunehmend im Offshore-Bereich. So hat Deutschland 2019 zum ersten Mal mehr in Offshore- als in Onshore-Windkraft investiert.

Diese Verschiebung ist weitgehend eine Reaktion auf die Einschränkungen der Onshore-Windenergie. Sie sind nicht nur von den unregelmäßigen Windverhältnissen betroffen, sondern Windparks sind auch schwer zu skalieren. Der Bau großer Turbinen an Land erfordert Platz und je größer ein Windpark wird, desto weniger effizient produziert er Energie. Dies ist auf den „Park-“ oder „Nachlaufeffekt“ zurückzuführen, der bewirkt, dass Windturbinen die Luftströmung über einem Gebiet stören und so weiter hinten stehende Turbinen weniger Wind erhalten und damit auch weniger Strom erzeugen.

Im Allgemeinen sind Offshore-Windparks effizienter als Onshore-Windparks, denn die Winde auf dem Meer sind in der Regel stärker und gleichmäßiger, sowohl in der Geschwindigkeit als auch der Richtung der Windströme. Während eine Onshore-Turbine etwa 2,5 bis 3 Megawatt Leistung erzeugt, liegt die durchschnittliche Leistung einer Offshore-Turbine bei 3,6 Megawatt. Offshore-Anlagen sind auch räumlich weniger eingeschränkt, was den Nachlaufeffekt verringert.

Der größte Nachteil sind jedoch die Kosten. Der Bau einer Offshore-Turbine ist viel teurer als der einer Onshore-Anlage, ebenso wie die Wartung und die Infrastruktur. Die stärkeren Winde auf See können manchmal auch so stark sein, dass die Turbinen abgeschaltet werden müssen, um Schäden zu vermeiden. Außerdem muss die Energie in Form von Gleichstrom zurück an Land übertragen werden, der dann aber zur Nutzung erst weiter zu Wechselstrom umgewandelt werden muss. Dies erfordert eine zusätzliche Infrastruktur und natürlich auch zusätzliche Kosten. Und in einigen Fällen produzierten die deutschen Offshore-Windparks zu viel Energie, als dass das Netz an Land diese hätte verarbeiten können.

Es werden jedoch neue Technologien entwickelt, um die Offshore-Windkraft rentabler, effizienter und kostengünstiger zu machen. So hat das Startup Seawind Technologies einen innovativen Zweiblattrotor entwickelt, der nach eigenen Angaben selbst den rauesten Winden auf dem Meer standhält. Dank eines neuartigen Scharniermechanismus kann das Modell Seawind 6 Wirbelstürmen von bis zu 325 Kilometern pro Stunde standhalten und unter idealen Bedingungen durchschnittlich 6,2 Megawatt erzeugen. Sein größerer Bruder, die Seawind 12, erreicht die doppelte Leistung.

Ein anderer Entwurf des norwegischen Unternehmens Wind Catching Systems geht das Problem mit einem anderen Ansatz an. Anstatt einzelne große Turbinen zu bauen, schlägt es vor, über 100 kleinere Turbinen zu einer einzigen massiven Struktur zu vernetzen. Das Startup geht davon aus, dass sich dadurch die erzeugte Energie verdoppeln und die Wartungs- und Baukosten senken lassen.

Bei beiden Entwürfen wird eine schwimmende Technologie eingesetzt, die den Bauaufwand erheblich verringert und ermöglicht, die Turbinen in sehr tiefen Gewässern zu installieren, wo der Wind am stärksten ist und mehr Platz zur Verfügung steht. Es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten, die Windkraft auf See zu nutzen. Im Rahmen eines Projekts wurde vorgeschlagen, künstliche Inseln zur Unterstützung von Windparks zu errichten, so dass die Umspann- und Wartungsinfrastruktur näher an den Turbinen liegen kann. Allerdings dürfte dies kurzfristig kaum zu Kostensenkungen führen. Außerdem wurden auch Fortschritte bei der Entwicklung neuer innovativer Energiespeicherlösungen für Offshore-Windparks erzielt, wie zum Beispiel hydroelektrische Unterwasser-‚Batterien‘.

Die Windenergie auf See ist auch nicht auf statische Turbinen beschränkt und einige Forschende und Unternehmen schließen eine Rückkehr zum „Zeitalter der Segel“ nicht aus. Mehrere Unternehmen arbeiten an der Entwicklung von Windgeneratoren für große Frachtschiffe, um deren CO2-Emissionen und Kraftstoffkosten zu senken. Zu den Entwürfen gehören zylindrische Turbinen oder Drachengeneratoren, die am Bug des Schiffes befestigt werden. In der Tat werden solche Drachengeneratoren von einigen Expert*innen bereits als die Zukunft der Windenergie angepriesen.

Die Zukunft der Windenergie

All dies bedeutet natürlich nicht, dass die Zukunft der Windenergie ausschließlich im Offshore-Bereich liegt. Onshore-Windparks sind aufgrund ihrer geringeren Kosten und ihrer größeren Vertrautheit nach wie vor das Fundament des Sektors. Trotz Deutschlands jüngster Liebelei mit der Offshore-Windkraft erhält die Onshore-Windkraft nach wie vor besondere Aufmerksamkeit und die neue Regierungskoalition hat kürzlich versprochen, dass 2 Prozent der Bundesflächen für die Windenergie genutzt werden sollen.

Darüber hinaus hat die jüngste explosionsartige Zunahme von Offshore-Projekten in den USA und China im Jahr 2020 weniger mit einem langfristigen Engagement zu tun, als mit staatlicher Bürokratie. In China beeilten sich viele Entwickler*innen, ihre Projekte bis zum Jahr 2020 fertigzustellen, was zu einem enormen statistischen Anstieg in diesem Jahr führte, während der Ausbau in den USA eng mit dem bevorstehenden Auslaufen der staatlichen Zuschüsse zusammenhing. Obwohl das Jahr 2020 also beeindruckend war, sind die Investitionen in den Jahren 2021 und 2022 zurückgegangen. Auch in Deutschland wurde im Jahr 2021 keine einzige Offshore-Windkraftanlage installiert.

Die Onshore-Windenergie hat gegenüber der Offshore-Windenergie einen entscheidenden Vorteil. Sie ist für Einzelpersonen und Energiekollektive leichter zugänglich. Gemeinden könnten mit der Nutzung von Windturbinen beginnen, um Basisinitiativen zur gemeinsamen Nutzung von Energie zu gründen, die durch zivile Technologie und einen neuen Ansatz zur Stromerzeugung unterstützt werden. Die Solarenergie wurde in dieser Hinsicht bereits genutzt, aber mit der Entwicklung kleiner Turbinen könnte die Windenergie auch zu einer attraktiven alternativen Energiequelle für diejenigen werden, die in zuverlässigen „Windgebieten“ leben.

Leider ist die Windenergie jedoch viel umstrittener als die Solarenergie, was zu einer gewissen öffentlichen Abneigung gegen die errichtung von Windrädern führt. Selbst in „windfreundlichen“ Ländern wie Deutschland schränken staatliche Vorschriften und bürokratische Auflagen – die unter anderem auch aufgrund von Bedenken aus der Öffentlichkeit entstanden sind – das Potenzial der Windenergie stark einschränken. Die (größtenteils unbegründeten) Bedenken hinsichtlich der Ästhetik, des Lärms und der Auswirkungen auf Vögel bedeuten, dass die Entwicklung neuer Windparks mit zahlreichen Einschränkungen verbunden ist. In Bayern zum Beispiel darf eine Windturbine nicht näher als das Zehnfache ihrer Höhe an ein Wohngebiet heranrücken, was ihren Nutzen für kommunale Projekte erheblich schmälert. Kleine Versuchsturbinen sind zwar nicht von dieser Vorschrift betroffen, doch müssen sie sich an Leistungsbeschränkungen halten, was ihre Rentabilität noch einmal reduziert. Einige deutsche Turbinenhersteller haben bereits gewarnt, dass sie das Land zugunsten weniger bürokratischer Staaten verlassen könnten.

Damit die Windenergie also die hohen Erwartungen erfüllen und zu einem der wichtigsten Pfeiler eines klimaneutralen Energiesystems werden kann, sind nicht nur neue Technologien gefragt. Denn dass bereits sehr effektiv Strom aus Wind gewonnenen werden kann, zeigt der schon heute hohe – aber nicht ausreichende – Anteil am globalen Strommix. Und auch wenn die breite Öffentlichkeit eine neue Akzeptanz für eine der ältesten Energiequellen der Menschheit entwickeln muss: Es liegt es vor allem in den Händen der Regierungen weltweit, durch entsprechende Vorgaben und Förderungen die für eine Eindämmung des Klimawandels so wichtige Transformation unseres Energiesystems voranzutreiben.

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Das Dossier „Energiewende – Die Zukunft ist vernetzt“ ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

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