Eine Open-Source-Plattform unterstützt nachhaltige Landwirt*innen

Auch in der Landwirtschaft dominieren große Konzerne das Angebot digitaler Services. Die kostenlose Open-Source-Plattform LiteFarm setzt dagegen auf Kooperation in der Entwicklung - und hat eine nachhaltige Landwirtschaft zum Ziel.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 25.03.24

Übersetzung Lana O'Sullivan:

In kaum einem Sektor geht etwas ohne Plattformen. Unternehmen vertreiben auf E-Commerce-Marktplätzen ihre Waren und ein Großteil der Zusammenarbeit innerhalb und zwischen Unternehmen wird über Cloud-Dienste und andere digitale Schnittstellen organisiert. Nicht anders ist es in der heutigen Landwirtschaft. Auf mehr und mehr Höfen übernehmen digitale Plattformen die Organisation des Betriebs und den Vertrieb der Produkte. Weit vorne liegen – wie in vielen anderen Bereichen auch – die Services der großen Konzerne. Die Landwirt*innen bezahlen dafür mit ihren Daten. Dass es auch anderes geht, zeigen Beispiele wie LiteFarm. Die Open-Source-Plattform wurde von Grund auf kooperativ entwickelt und ist speziell auf die Bedürfnisse nachhaltiger Landwirt*innen zugeschnitten.

Plattformen in der Landwirtschaft

Plattformen übernehmen viele Aufgaben in landwirtschaftlichen Betrieben. Cloud-Plattformen zum Beispiel ermöglichen die Kommunikation zwischen den Maschinen, die auf Feldern und in Ställen eingesetzt werden. Zudem stellen sie eine wichtige Infrastruktur für die weitere Verarbeitung und -Verwertung der gesammelten Daten. Eine andere Art von Plattformen sind digitale Marktplätze und E-Commerce-Plattformen. Über sie können landwirtschaftliche Erzeugnisse und Betriebsmittel zwischen Erzeugungs- und Weiterverarbeitungsbetrieben sowie Händler*innen vertrieben werden.

Gleichzeitig kommen digitale Marktplätze auch beim Vertrieb der landwirtschaftlichen Produkte an Endkonsument*innen zum Einsatz. Besonders hoch ist der Anteil von online vertriebenen Lebensmitteln allerdings bisher nicht. Im Jahr 2022 lag er bei lediglich 2,7 Prozent.

Etabliert sind dagegen Sharing- und Mietplattformen für Maschinen im Bereich der Produktion. Die seit den 1960ern bestehenden genossenschaftlichen Maschinenringe sind damit schon längst in der digitalen Welt angekommen.

In der Landwirtschaft finden sich auch Plattformen, die den Zugang zu Daten verwalten. Die rheinland-pfälzische GeoBox ist dabei eine Alternative in öffentlicher Hand. Über sie können Betriebe Daten dezentral speichern und mit anderen Betrieben teilen.

Auf nationaler Ebene baut das BMEL eine Agrar-Masterplattform auf und das Bundeswirtschaftsministerium entwickelt die öffentliche Dateninfrastruktur Agri-Gaia.

Eine weitere Art von Plattform sind die sogenannten Farm-Management-Informations-Systeme (FMIS). In einer Studie der Universität Göttingen aus dem Jahr 2019 gaben 55 Prozent der befragten Landwirt*innen an, FMIS bereits zu nutzen. Eine Umfrage der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) im selben Jahr kam dagegen zu dem Ergebnis, dass etwa ein Drittel der Landwirt*innen FMIS einsetzt. Der Unterschied könnte dadurch zustande gekommen sein, dass die erstgenannte Studie eine Online-Umfrage war und damit wahrscheinlich eher technik-affine Landwirt*innen erreicht hat. Nichtsdestotrotz ist davon auszugehen, dass die Verbreitung von FMIS heute schon deutlich höher ist.

Mit FMIS den Betrieb digital verwalten

Landwirtschaftliche Betriebe sind komplexe Systeme, in denen sämtliche Prozesse gut aufeinander abgestimmt werden müssen.

Landwirtschaftliche Betriebe sind nicht nur mit einer Vielzahl an Informationen und Regelungen konfrontiert, sondern auch die Datenmengen wachsen. Jeder Sensor, jede neue Maschine oder Software, die auf den Äckern und in Ställen zum Einsatz kommt, liefert weitere Daten. All das gilt es zu verwalten. Die digitalen Management-Tools sollen den Landwirt*innen Arbeit abnehmen und vereinfachen.

FMIS können sämtliche Aufgaben der Landwirt*innen abdecken und an einem Ort zusammenführen – von der Kartierung der Felder und der betrieblichen Planung und Dokumentation der Produktion über das Monitoring und die Bewertung der Feldarbeiten bis hin zur Nutzung von Ressourcen, der Pflanzenentwicklung und der Wetter- und Anbaubedingungen. Um einen reichhaltigen Datenkontext zu schaffen, lassen sich in viele der FMIS auch Sensoren und andere IoT-basierte Technologien integrieren.

Doch nicht nur die Produktionsprozesse können über FMIS leichter organisiert werden, sondern auch die Verwaltung des Betriebs. Buchhaltung, Personalverwaltung und die Einhaltung von Qualitätsstandards und regulatorischen Richtlinien lassen sich in ihnen integrieren. Und auch Lieferant*innen, Verarbeitungsbetriebe, Großhändler*innen sowie Beratungs-, Versicherungs- oder Finanzdienstleister*innen sind mitunter an die Plattformen angeschlossen. Die Plattform 365FarmNet bietet zum Beispiel Beratungsleistungen durch externe Expert*innen an.

Decision Support Systems (DSS)

Eine Weiterentwicklung von FMIS sind Decision Support Systems (DSS), die zusätzlich Simulationen und Algorithmen nutzen, zum Beispiel zur Modellierung von Wassernutzungseffizienz der Pflanzen oder der Nährstoffverfügbarkeit. Allerdings sind diese bisher (noch) wenig verbreitet.

FMIS sollen so den Landwirt*innen viel Arbeit abnehmen bzw. die Abläufe erleichtern. Außerdem steckt in der Zusammenführung der Daten auch das Potenzial, dass die Prozesse bedarfsgerecht geplant und im besten Fall effizienter gestaltet werden können.

Big Business für Big Player

Die Plattformen werden überwiegend von Startups, multinationalen Tech-Unternehmen und Lebensmittel- und Agrarkonzernen bereitgestellt. Uneigennützig handeln die Unternehmen dabei keineswegs. Laut einer Studie des IÖW koppeln viele Agrarunternehmen die Nutzung ihrer Produkte wie Pestizide, Saatgut oder Düngemittel an die Nutzung digitaler Managementplattformen. Was sie dafür bekommen, sind Daten. Diese sollen den Unternehmen dabei helfen, ihre Produkte weiterzuentwickeln. Aber es geht noch um etwas anderes, nämlich die bessere Vermarktung weiterer Produkte. Die Nutzer*innen werden über die digitalen Services an ein bestimmtes Anbieter-Ökosystem gebunden. Einmal hier angekommen, wird ihnen der Kauf anderer landwirtschaftlicher Produkte des Anbieters nahegelegt, wie Kevin Cussen von LiteFarm berichtet.

„Dabei können jedoch auch Lock-in-Effekte für Kund*innen entstehen, zum Beispiel wenn die Nutzung von Produkten nicht ohne die Nutzung der zugehörigen Plattform möglich ist oder wenn Farmmanagementplattformen nur auf bestimmte Anbausysteme oder Sorten zugeschnitten sind und damit starke Anreize für die Nutzung der Produkte des jeweiligen Agrarunternehmens setzen“, stellen auch die Autor*innen der Studie fest.

Auf Nachhaltigkeit zahlen nur wenige FMIS ein – auch wenn die Chance da wäre. Wenn etwa weniger Düngemittel oder Wasser verbraucht werden, kann das nicht nur Geld sparen, sondern nachhaltige „Nebeneffekte“ haben. Doch es gibt Alternativen. LiteFarm beispielsweise ist eine kostenlose Open-Source-Plattform, die nicht nur auf Datensouveränität setzt, sondern auch eine nachhaltige Landwirtschaft zum Ziel hat.

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LiteFarm: Softwareentwicklung von Landwirt*innen für Landwirt*innen

Die Plattform LiteFarm wurde aus einer Zusammenarbeit von Landwirt*innen, Forscher*innen, Designer*innen, Softwareexpert*innen und Open-Source-Enthusiast*innen entwickelt und ist unabhängig und kostenlos. Das erklärte Ziel ist es, Landwirt*innen dort abzuholen, wo sie stehen, und sie mit den Werkzeugen auszustatten, die sie benötigen, um informierte und verantwortungsvolle Entscheidungen für die Gesundheit ihres Betriebs, ihres Lebensunterhalts, ihrer Gemeinschaft und des Planeten zu treffen.

Wie auch bei kommerziellen FMIS können Landwirt*innen über die App von LiteFarm sämtliche Aufgaben direkt eingeben, zuweisen und erledigen. Außerdem lassen sich detaillierte Flächenkarten erstellen und der Status der Anbauflächen wird dargestellt. Allerdings sind die Funktionen speziell auf die Bedürfnisse ökologischer Landwirt*innen zugeschnitten.

Eine der wichtigsten Säulen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit ist die Diversifizierung, so Kevin Cussen. „Das bedeutet, dass wir bei der Entwicklung einer neuen Funktion darüber nachdenken, wie ein Nutzer auf einem diversifizierten Betrieb diese Funktion erleben würde. Ihr Betrieb könnte Gewächshäuser, Felder, Weiden, Pufferzonen und Waldgebiete auf mehreren Parzellen haben. Auf einigen dieser Flächen könnten Dutzende von Kulturpflanzen angebaut werden, und sie könnten als Weideflächen für zahlreiche verschiedene Tierarten dienen. Bereiche, in denen keine Pflanzen und Tiere gezüchtet werden, bieten immer noch andere Formen von Nutz- oder Umweltleistungen, die sich auf den Betrieb auswirken.“ LiteFarm ist bemüht, mit seinem Managementsystem sowohl die Komplexität nachhaltiger Betriebe abzubilden als auch die Interaktion mit der Plattform so intuitiv wie möglich zu gestalten.

Zudem verfügt LiteFarm über einen großen Katalog an Pflanzen. Aktuell sind darin 375 Kulturen angelegt. Zusätzlich können die Nutzenden den Pflanzenkatalog selbstständig erweitern und bei der Erstellung angeben, ob sie die Kultur mit der breiteren LiteFarm-Community teilen möchten. „Seit Ende 2023, als diese ‚Nominierungs‘-Funktion eingeführt wurde, haben Nutzer mehr als 385 Pflanzen für unseren Community-Katalog beigesteuert“, berichtet Cussen. „Unser Ziel ist es, mit regionalen Verbündeten zusammenzuarbeiten, die diese Nominierungen prüfen und grünes Licht für die Aufnahme in den allgemeinen Datensatz für die Nutzer in dieser Region geben.“

© LiteFarm
Screenshot der App LiteFarm.

Mit Open Source zu einer App für alle

Ein Instrument zu entwickeln, das für Nutzer*innen in der ganzen Welt attraktiv und gleichzeitig auf die Regionen mit ihren spezifischen Anforderungen zugeschnitten ist, ist allerdings nicht einfach. „Die Wahrheit ist, dass es fast unmöglich ist, ein Gleichgewicht zu finden, wenn ein Instrument in mehr als 150 Ländern verwendet wird“, so Cussen. „Aber wir glauben auch, dass sich dieses Problem gut für Open Source eignet. Unser Entwicklungsprozess umfasst eine breite Gruppe von Landwirten aus vier Kontinenten, um sicherzustellen, dass wir regelmäßig Feedback zu unseren Entwicklungen erhalten. Außerdem entwickeln wir, wann immer möglich, Funktionen mit offenem Ende, damit die Nutzer LiteFarm an ihre Bedürfnisse anpassen und wir von ihren Anpassungen lernen können.“

Aktuell arbeitet LiteFarm daran, die Aufzucht von Tieren in die Anwendung zu integrieren. Um eine bestmögliche Unterstützung anbieten zu können, werden alle Aufgaben ausgewertet, die von den Landwirt*innen im Laufe der Jahre erstellt wurden. Der erste Prototyp ist bereits gebaut, jetzt ist die Community gefragt, ihr Feedback zur Optimierung abzugeben. Außerdem können Nutzer*innen ihre Prioritäten für weitere Entwicklungen angeben.

Die Daten der Nutzenden werden ausschließlich für nicht-kommerzielle Forschungsprojekte zu nachhaltiger Landwirtschaft in anonymisierter Form verwendet. Im Rahmen eines dieser Forschungsprojekte soll eine einheitliche Methode entwickelt werden, um die Auswirkungen ökologischer Anbausysteme messen zu können. Dazu sammeln die teilnehmenden Betriebe die Daten mithilfe der LiteFarm-App.

Support bei Zertifizierung

LiteFarm unterstützt zudem bei der Zertifizierung. Um zu belegen, dass ihre Pflanzen nach ökologischen Grundsätzen angebaut werden, müssen Landwirt*innen umfangreiche Aufzeichnungen und Dokumentationen nachweisen. Damit ist der Prozess bis zur Bio-Zertifizierung sehr arbeitsintensiv. Insbesondere für Kleinbäuer*innen kann das ein erhebliches Hindernis darstellen. Um den Prozess zu erleichtern, erstellt LiteFarm Bio-Zertifizierungsdokumente auf der Grundlage der Informationen, die die Erzeuger*innen auf der Plattform generieren. Diese können die Landwirt*innen dann mit den Zertifizierungsstellen teilen.

Nach eigenen Angaben kommt LiteFarm bereits auf mehr als 4.700 Farmen in über 155 Ländern zum Einsatz. „Die Funktionen werden von einem Kernteam entwickelt, das von Zuschüssen und Spenden bezahlt wird, in Zusammenarbeit mit einer Gemeinschaft von Freiwilligen, die einen Beitrag leisten“, so Kevin Cussen.

LiteFarm ist ein Projekt der University of British Columbia. Außerdem ist das Projekt Mitglied des OpenTEAM-Konsortiums, das sich für die Verbesserung der Bodengesundheit einsetzt und die Entwicklung von Lösungen für den Klimawandel fördert.

FMIS den richtigen Rahmen geben

Endlose, mit Monokulturen bepflanzte Felder sind nicht der Weg in eine zukunftsfähige, nachhaltige Landwirtschaft, darin sind sich viele wissenschaftliche Studien einig. Vielmehr gilt es, eine kleinteiligere, vielfältigere Landwirtschaft zu fördern. Artenreiche Äcker sind robuster gegen Schädlinge und halten den mit dem Klimawandel zunehmenden Wetterextremen besser stand. Doch dafür müssen die Entwicklung und der Einsatz von Feldrobotern, Sensoren und eben auch FMIS auf diverse Kulturen hin ausgerichtet werden. LiteFarm ist auf jeden Fall schon ein großes Stück dieses Weges gegangen.

Damit auch andere Anbieter*innen nachziehen, müssen auf politischer Ebene entsprechende Anreize gesetzt werden. Dazu gehört, Ressourcensparsamkeit, Bodengesundheit und Artenschutz als Ziele der Landwirtschaft zu definieren. So werden Hersteller angeregt, diese Aspekte in ihre Technologien zu integrieren.

Außerdem gilt es, klare rechtliche Vorgaben zu schaffen, die den Landwirt*innen das Eigentum an Daten sowie Datensouveränität zusichern. Dies sorgt für Transparenz, Sicherheit und Fairness zwischen Landwirt*innen und Technologiebereitsteller*innen. Gleichzeitig sollten Geo-, Wetter-, Satelliten- und andere für die Landwirtschaft relevante Daten öffentlich zugänglich sein. Einige Bundesländer wie Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben bereits Konzepte zur Bereitstellung öffentlicher Geodaten exemplarisch umgesetzt, zum Beispiel mit dem Geoportal „MapRLP“. In Verbindung mit entsprechenden Förderungen kann dies weitere Open-Source-Anwendungen erleichtern.

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Dieser Artikel gehört zum Dossier „Agrarwende – Die nachhaltige Landwirtschaft von morgen“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

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