Eine neue Nachhaltigkeit: Warum die Computerwelt mit Open-Hardware grüner wäre – Lucie Hartmann von MNT Research im Gespräch

© Benjamin Lucks / RESET

Stell dir vor, dein Laptop wäre ein Blumenbeet. Prozessor, Tastatur Bildschirm – alles wären Pflanzen, die du selbst züchten und beliebig austauschen könntest. So ähnlich funktioniert Open-Hardware. Wie MNT Research Notebooks konsequent nach offenen Prinzipien entwickelt, dazu Lucie Hartmann im Interview.

Autor*in Benjamin Lucks, 20.10.25

Übersetzung Lana O'Sullivan:

Zugegeben, die Blumenbeet-Metapher ist ein bisschen weit hergeholt. Aber sie passt dann ganz gut, wenn wir uns herkömmliche Notebooks und die Ökosysteme von Unternehmen als „Walled-Garden“ vorstellen. Blühende Gärten, die wir zwar bewundern können, aber aus denen wir nur schwer wieder herauskommen. Und wenn wir von draußen etwas hereinholen wollen, schaffen wir es mit den schweren Blumentöpfen nicht über die Mauern.

Wenn Computerhardware dagegen miteinander kompatibel ist, wir sie also einfach frei kombinieren können, hat aber sehr viele Vorteile. Aus ökologischer Sicht können wir alte Komponenten wiederverwenden und produzieren weniger Elektroschrott, den weltweit am schnellsten wachsenden Müllberg. Die Wiederverwendung reduziert zudem die Menge der benötigten Ressourcen, die umständlich um die ganze Welt verschifft werden.

Eine solche Interoperabilität können unter anderem Open-Hardware-Lizenzen gewährleisten – wir haben deshalb mit Lucie Hartmann vom Computerhersteller MNT Research gesprochen.

Was ist der MNT Reform Laptop?

Starten wir mit einem Beispiel: Der MNT Reform Laptop wirkt auf den ersten Blick ein wenig aus der Zeit gefallen. Er ist vergleichsweise dick, kommt statt mit Trackpad mit einem Trackball und mutet mit RGB-beleuchteter Tastatur auch ein wenig nerdy an. Aber er ist, so erklärt der Hersteller auf seiner Homepage, „von Beginn an so offen und transparent wie möglich“ entwickelt worden.

Das bedeutet, dass alle Komponenten, die Schaltpläne, die 3D-Modelle für das Gehäuse und vieles weitere frei im Netz verfügbar sind. Und nicht nur das; dank Open-Hardware können Interessierte sie auch verändern und für eigene Projekte weiterverwenden.

© Benjamin Lucks / RESET.org
Auf Wunsch wird der MNT Reform Laptop in Einzelteilen geliefert und kann dann selbst zusammengebaut werden.

„Mir geht es dabei vor allem darum, dass User:innen die Kontrolle über ein Gerät behalten, also einen Computer, der inzwischen einfach ein superwichtiges Instrument geworden ist zum Wissenszugang sowie in der Arbeit mit Wissen“ beschreibt Lucie Hartmann die Motivation dahinter.

Die meisten Computer und Geräte seien inzwischen nicht mehr „Bicycles for the Mind“, wie Steve Jobs sie einmal genannt habe. Viel mehr seien sie inzwischen „geheimnissvolle Geräte, wo nur noch die Hersteller genau wissen, wie man sie herstellt. Lucie Hartmann kritisiert, dass „Nutzer:innen heutzutage nicht mehr so einfach zu einem beliebigen Computerladen gehen können, um ihre Hardware zu reparieren. Bei Smartphones ist das recht deutlich: Ich habe mal versucht, mein iPhone selbst zu reparieren und konnte dafür auch Teile bekommen. Anschließend funktionierte aber der Fingerabdrucksensor nicht mehr, da dieser ‚by design‘ nur mit dem Originalteil kompatibel war. Reparaturläden müssen in diesem Fall vom Hersteller authorisierte Ersatzteile nutzen.“ Defekte oder Probleme müssten also entweder von zertifizierten Shops oder von den Herstellern selbst behoben werden oder Nutzende müssen ein neues Gerät kaufen. In jedem Fall behält der Hersteller die Kontrolle über die Produkte.

© MNT Research
Lucie Hartmann hat MNT Research gegründet und übernimmt auch die Entwicklung der Notebooks.

Bei Open-Hardware ist das anders. Zwar sind die Geräte nicht per se reparierbarer, sie werden aber vor allem reproduzierbar. Stellt ein Hersteller die Produktion eines Gerätes ein und liefert auch keine Ersatzteile mehr, können nach Open-Hardware designte Produkte jedoch weiter am Leben gehalten werden. Lucie Hartmann und das MNT-Team legen daher jedes Detail der selbst entwickelten und in einer Berliner Werkstatt zusammengebauten Notebooks offen. Nutzer:innen können dadurch Reparaturen selbst vornehmen und Komponenten beliebig austauschen. Schon das ist ein Alleinstellungsmerkmal in Zeiten, in denen die meisten Computerkomponenten verklebt oder festgelötet sind, wie auch die nachhaltige Hardware-Kooperative Commown im Gespräch mit uns berichtete.

Open-Hardware ist nicht gleich Open-Hardware

„Open-Hardware wird oft frei ausgelegt“, antwortet Lucie Hartmann auf unsere Frage, welche Standards es aktuell gebe. „Es gibt ein paar Institutionen, die versuchen das deutlicher abzugrenzen. Zum Beispiel die Open-Hardware-Allianz oder die Open-Source-Hardware-Association, kurz OSHWA.“ Auch gebe es einen DIN-SPEC-Standard, der aktuell aber noch geprüft werde.

Die Abgrenzung zu Computern mit geschlossener Hardware liege laut Lucie Hartmann vor allem in den Lizenzen. „Wie bei Open-Source gibt es Lizenzen, was für Rechte Nutzer:innen haben, wenn sie die Quellen bekommen. Wir verwenden zum Beispiel CERN-OHL, eine Lizenz des Forschungsinstituts in der Schweiz.“ Wie bei Open-Source-Software schreiben diese Lizenzen vor, welche Möglichkeiten und Pflichten sich für die Weiterverwendung und für die Abänderung der Quellen ergeben. Während die Quellen bei Programmen Codezeilen sind, sind es bei Hardware eben Schaltpläne, 3D-Modelle für CNC-Fräsen oder 3D-Drucker. Lucie Hartmann stellt für die MNT-Produkte sogar die Quelldateien des Elektronikprojekts offen.

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MNT Research schränkt ihre Lizenzen auch nicht für eine kommerzielle Nutzung ein. Theoretisch könnte also ein Unternehmen die Baupläne eines MNT Reform Laptops klonen und damit versuchen, Geld zu verdienen. „Das einzige, das wir schützen, ist unsere Marke. Also das MNT-Logo, das man natürlich nicht einfach frei verwenden darf“, erklärt Lucie.

Dieser offene Umgang mit Computerhardware soll vor allem Verbraucher:innen mehr Kontrolle und Möglichkeiten geben. Wie bei Open-Source-Software können Interessierte sogenannte Forks entwickeln, wenn sie beispielsweise eine Veränderung am Design oder an Unternehmensentscheidung von MNT Reform nicht mögen. Schauen wir einmal auf die Software-Welt, lässt sich dieser Vorteil ganz gut erklären:

Aufgrund des KI-Booms bauen Software-Hersteller verstärkt KI-Funktionen in ihre Programme ein. Diese produzieren aber nicht immer die Ergebnisse, die Nutzende sich wünschen und sind zudem äußerst ressourcenintensiv. Während Nutzende das bei geschlossener Software tolerieren müssen, können sie quelloffene Programme entsprechend verändern und die KI-Funktionen entfernen.

Die Entscheidungsmacht bleibt bei den Nutzenden – und das hat bei offener Hardware auch Vorteile für deren Nachhaltigkeit.

Eine neue Zirkularität dank Second-Life-Prinzip

Lucie Hartmann weist ausdrücklich darauf hin, dass der MNT Reform Laptop nicht speziell als nachhaltiger Laptop entwickelt wurde. Open-Hardware schaffe aber Möglichkeiten, die wir bei geschlossenen und nicht modularen Computer nicht haben.

So beschreibt Lucie Hartmann ein „Second-Life-Prinzip“, dem alle MNT-Produkte folgen: „Die Tastatur [ … des MNT Reform Laptops … ] ist ein hochwertiges, mechanisches Keyboard. Und dieses kann man rausnehmen und in ein Gehäuse tun und so als externe Tastatur verwenden. Nutzer:innen können auch das Motherboard herausnehmen und in einem Desktop-Gehäuse verwenden.“ Auch der Trackball, der im MNT Reform Laptop anstelle eines Trackpads zum Einsatz kommt, sei ein einfaches USB-Gerät. Er lässt sich also mit einem einfachen Kabel an einem anderen Gerät verwenden.

Konkret bedeutet das: Ist ein Laptop von MNT Reform defekt oder veraltet, lassen sich alle noch funktionierenden Komponenten weiterverwenden. Sowohl in anderen MNT-Laptops als auch in anderen Computern oder als externe Geräte. Genau das ist selbst bei vielen nachhaltig gelabelten Notebooks nicht möglich und führt dazu, dass sie komplett entsorgt werden, auch wenn nicht alle Komponenten kaputt sind.

Während Lucie Hartmann und das MNT-Team diese Interoperabilität gewährleisten können, gibt es im Bereich der Nachhaltigkeit andere Einschränkungen. „Wir können leider nicht nachvollziehen, wo die Materialien unserer Komponenten genau herkommen.“ Hierfür würde MNT Research Ressourcen einkaufen müssen, für die der Hersteller mit Stückzahlen von unter 1.000 Notebooks im Jahr zu klein ist. Dennoch vertraut MNT Research auf Gehäuse aus Aluminium, einem vergleichsware recycelbaren Metall. In den Modellen Reform Notebook und Reform Next verwendet der Hersteller außerdem Lithium-Eisen-Phosphat-Batterien ohne problematisches Kobalt.

Zudem gebe es dank Open-Hardware auch hier Möglichkeiten: Denn mit dem Open-Hardware-Ansatz könne „jede Person, jede Organisation oder auch Universitäten [ … ] unsere Pläne, 3D-Modelle und Schaltpläne nehmen und diese auf eine Art und Weise umsetzen, die ihren Nachhaltigkeitsanforderungen ebtspricht“.

Produkte möglichst lange am Leben halten

Einen Laptop selbst zusammenzubauen, ist den meisten Computernutzer:innen sicherlich zu kompliziert. Mit dem 80er-Jahre-Design und der vorinstallierten Debian-Linux-Distribution beschreibt Lucie Hartmann die Zielgruppe des MNT Reform Laptops auch eher als Enthusiast:innen oder Computerexpert:innen. Und selbst diese müssen bei Preisen von über 1.000 Euro womöglich auch überlegen, ob ihr Fokus zu 100 Prozent auf einer quelloffenen Hardware liegen kann.

Das Team von MNT Research hat den Reform Laptop aber auch nicht als massentaugliches Produkt entworfen. Vielmehr soll das Notebook zeigen, welche Vorteile ein möglichst transparenter und offener Computer haben kann. Wir wir gesehen haben, können Kund:innen damit die Kontrolle über digitale Werkzeuge behalten. Und auch ältere Produkte, die nicht mehr offiziell von Herstellern unterstützt werden, können so weiter im Betrieb bleiben.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der Berliner Verein Topio, der Smartphones über Google-freie Betriebssysteme länger nutzbar macht. Im Gespräch haben sie uns berichtet, dass das bei vielen Handys immer schwieriger wird. Open-Hardware wäre also auch bei anderer Technik eine Bereicherung.

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Dieser Artikel ist Teil des Dossiers „Digital und grün – Lösungen für eine nachhaltige Digitalisierung“, in dessen Rahmen wir Lösungen für eine ökologische und faire Digitalisierung vorstellen. Wir danken der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) für die Projektförderung!

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