Die Direktvermarktung von Lebensmitteln ist eine lohnenswerte, aber zeitaufwändige Sache. Gerade in kleinen Bio-Betrieben bleibt dafür keine Zeit, denn einen Großteil des Tages verbringen die Landwirt*innen auf dem Feld oder im Stall. Dennoch sind die Gewinnspannen hier am höchsten, da Teile der konventionellen Handelskette entfallen und die Preise damit fairer sind. Außerdem weiß der Kunde oder die Kundin bei der Direktvermarktung genau, woher die Produkte stammen. Im kleinen Stil kennen wir diese Verkaufsform vom Wochenmarkt oder Hofladen. Ein erfolgreiches Konzept basiert aber auch auf einem möglichst breiten Sortiment, welches für Höfe in dieser Größenordnung meist schwer zu erreichen ist. Gerade der Online-Handel bietet dabei allerdings neue Möglichkeiten. Während dieser in anderen Ländern wie UK oder den USA schon weiter vorangeschritten ist, stößt E-Commerce im Lebensmittelbereich in Deutschland aber immer noch auf Skepsis. Wie also kann man hierzulande Konsument*innen davon überzeugen, ihre Lebensmittel online zu bestellen?
„Power to the Bauer – Bauer to the People“
Juliane Willing und Eva Neugebauer haben mit Frischepost eine Online-Direktvermarktungsplattform für landwirtschaftliche Bio-Erzeugnisse gegründet: Frei nach dem Motto „Power to the Bauer – Bauer to the People“ will das junge, nachhaltige Unternehmen nicht nur Lebensmittel aus der Region vertreiben, sondern auch hundertprozentige Transparenz gegenüber den Verbraucher*innen gewährleisten. Im Prinzip ist Frischepost eine Art digitaler Hofladen, der sich vom zentralisierten Lebensmitteleinzelhandel jedoch stark unterscheidet. Tagesfrische regionale und saisonale Ware steht hier auf dem Programm, die man in dieser Qualität sonst nur auf Wochenmärkten oder in einer solidarischen Landwirtschaft bekommt.
Neben kurzen Transportwegen setzt das Startup auf Pestizidverzicht und artgerechte Tierhaltung. Frischepost hat sein Netzwerk an Produzenten über Jahre hinweg aufgebaut. Man kennt die Bäuer*innen persönlich, diskutiert auch die Einkaufspreise mit ihnen. Das schafft Vertrauen auf Seiten der Kund*innen.
Stichwort: ganzheitlich nachhaltige Lieferkette
Online-Bestellungen werden durch die Website gebündelt und anschließend automatisiert an die Landwirte geschickt. Diese liefern die Artikel bereits am nächsten Tag an Frischepost, wo sie gemäß der Kundenbestellungen zusammengepackt werden. Schließlich erreichen die frischen Erzeugnisse die Kund*innen an der Haustür oder Abholstation per Elektroauto. Obwohl das Unternehmen eine Produktpalette ähnlich der normaler Supermärkte hat, läuft der Vertrieb doch erheblich anders ab. Willing erklärt: „Besonders dabei ist, dass Frischepost nicht wie der klassische Supermarkt Lebensmittel einkauft und dann abverkauft, sondern dass die Lebensmittel erst auf Bestellung geerntet und produziert werden.“ So entsteht kein Warenüberschuss und es wird nichts weggeworfen. Das macht ein Lager im allgemeinen Sinne überflüssig. Durch kurzfristige Ernteausfälle kann es jedoch vorkommen, dass ein bestimmtes Lebensmittel wider Erwarten nicht lieferbar ist. Hier setzt ein computerisierter Prozess ein, der sich um Ersatz bemüht. Auch krummes Gemüse findet in den Boxen von Frischepost seinen Platz. Zu bedenken ist außerdem: Was frisch ist, hält sich lange. Ressourcenschonend ist zudem die Verpackung der Artikel. Eigens entwickelt hat Frischepost hierfür Mehrwegverpackungen mit Pfandsystemen, was im E-Commerce-Bereich bisher unüblich ist.

Juliane und Eva sind selbst mit land- bzw. forstwirtschaftlichen Strukturen groß geworden. Wie man direkte Beziehungen mit den Bäuer*innen aufbaut, wissen sie daher. Als Studentinnen der WHU – Otto Beisheim School of Management lernten sie sich kennen und stellten früh fest, dass sie beide ein großes Interesse für den Bereich Social Impact hegten. Nach einer arbeitsintensiven Testphase kam es dann 2015 zur Gründung in Hamburg mit der Bezugsquelle des Alten Landes im unmittelbaren Umfeld. Das kleine Team wuchs stetig, sodass es heute aus Büroangestellten, Verpacker*innen und Fahrer*innen besteht, die für die Belieferung mehrerer tausend Kund*innen zuständig sind. Denn auf die Hansestadt folgten später in Form eines Partnerprogramms die Standorte Rhein-Main und Berlin sowie Anfang letzten Jahres München. In Kürze soll auch Köln dazukommen. Man sei noch auf der Suche nach passenden Co-Foundern und Investoren für den Raum Stuttgart, das Ruhrgebiet und Hannover, aber auch andere Metropolregionen kämen infrage. Ein wichtiger Schritt für derartige Expansionspläne ist die gerade erfolgreich abgeschlossene Crowdinvesting-Kampagne.
Über 80 Prozent der Frischepost-Produkte kommen aus der jeweiligen Region. Besonders gut verkaufen sich Milch, Käse, Eier, Gemüse und Obst. Weiterhin sind verarbeitete Lebensmittel wie Nudeln, Soßen und Backwaren Teil des Sortiments. Das schließt „zum Beispiel auch den beliebten In-Bäcker um die Ecke oder beliebte Produkte nachhaltiger Startups“ ein, erzählt Willing. Neben „regional“ gibt es noch die Kategorien „regional veredelt“, d.h. zwar in der Region, aber hauptsächlich aus überregionalen Zutaten hergestellt, „aus Deutschland“ und „überregional“. Letztere ist vor allem in den Wintermonaten von Bedeutung, wenn der Durchschnittsmensch trotzdem nicht auf seine Tomaten verzichten will. Daher bezieht Frischepost auch einige Bio-Lebensmittel aus Südeuropa und wenige aus Übersee. Flugware hingegen ist tabu.
Automatisierung als Grundvoraussetzung für mehr Nachhaltigkeit
Die allmähliche Automatisierung der einzelnen Schritte in der Lieferkette war für die Entwicklung des Unternehmens von großer Bedeutung. Apps und Notifications bestimmten relativ schnell Einkauf und Auslieferung, zum Beispiel bei der Routenoptimierung. Seit Januar letzten Jahres verläuft selbst der Packprozess komplett digital, genauso wie der „Smart Fridge“ von Frischepost, der nun in vielen Firmen steht. Der digitale Kühlschrank wird morgens mit frischer Ware, vollwertigen Mahlzeiten, Broten, Salaten oder Snacks befüllt. Per App und mittels Radio-Frequency-Identification (RFID) wird die Entnahme des Produkts aus der “digitalen Mini-Kantine“ vermerkt. Die Bezahlung erfolgt kontaktlos. „Wir sind gerade im Gespräch, den Smart Fridge auch in öffentlichen Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Bahnhöfen aufzustellen“, sagt Willing. „Spannend könnte es zukünftig auch sein, mit dem Frischepost Smart Fridge den dünn besiedelten ländlichen Raum zu bedienen, wo sich Supermärkte nicht lohnen.“
Zusätzlich zu den Büros beliefert das Startup aber auch Restaurants und Kitas mit Obstkisten, Milch oder sonstiger Frischware. Diese Kundschaft ist aber durch die Coronakrise nahezu weggebrochen. Stattdessen hat sich der Privatkundenumsatz mehr als versiebenfacht. Zu hoffen bleibt, dass ein Gewöhnungseffekt eintritt und bewusster Konsum zum neuen Standard wird. Krisen lassen sich nunmal schwer vorhersehen. Daher ist es gut, dass die Produzent*innen nicht von Frischepost abhängig sind; viele verkaufen trotzdem noch auf dem Markt bzw. im eigenen Laden oder beliefern weiterhin größere Ketten.
Frischepost und ähnliche Angebote schaffen mit ihrem Angebot eine Brücke zwischen Land und Stadt – vom Acker zu den Endverbraucher*innen. Und im besten Fall bekommen die Stadtbewohner*innen auch ein anderes Bewusstsein für ihre Lebensmittel. Was hat gerade Saison? Woher kommen meine Lebensmittel? Wie viel ist das Produkt wert? Und natürlich bedeutet der digitale Einkauf eine Zeitersparnis – eine, mit der die Kund*innen von Frischepost und anderen Anbieter*innen ökologischer und fairer Lebensmittel nachhaltiges Wirtschaften in der eigenen Region vorantreiben können.