Die traditionellen Wege zu einer erfolgreichen Wirtschaft haben sich verändert. Die Methoden, wie die großen Industrieländer ihren Wohlstand aufgebaut haben, sind umwelttechnisch und sozial nicht mehr – beziehungsweise waren es nie! – vertretbar und zukunftsfähig. Gerade mit Blick auf den Klimawandel müssen neue Wege gefunden werden, nachhaltiger und ressourcenschonender zu wirtschaften.
Digitale Technologien können dabei ein wichtiges Werkzeug sein; sowohl, wenn es um die globalen Lieferketten von Waren und Kapital als auch von Wissen, Daten und neuen Ideen geht. Das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam hat nun ein Fact Sheet veröffentlicht, in dem die Chancen und Herausforderungen einer digitalen Transformation in Afrika genauer unter die Lupe genommen werden.
Hoffnung von mehr Wirtschaftswachstum durch Digitalisierung
Viele Länder des globalen Südens erhoffen sich von einer Digitalisierung der Wirtschaft soziale und ökonomische Vorteile, wie das Fact Sheet „Digitalized economies in Africa. Structural change in a dynamic environment“ feststellt, das auf wissenschaftlichen Artikeln und Studien von internationalen Organisationen verschiedener afrikanischer und europäischer Länder beruht. Dabei wird die Digitalisierung oftmals als wichtige Triebkraft für Wachstum, neue Arbeitsplätze und eine umweltfreundlichere industrielle Entwicklung angesehen. Außerdem sehen die Regierungen vieler afrikanischer Länder in einer digitalen Transformation das Potenzial, die Entwicklung des Industrie- und Dienstleistungssektors voranzutreiben und die landwirtschaftliche Produktion zu verbessern.
„In Hinblick auf die positiven Auswirkungen der Digitalisierung im Kontext von Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen sind die Hoffnungen jedoch oft höher als das, was sich am Ende empirisch an positiven Effekten nachweisen lässt“, erklärt Stefanie Kunkel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IASS und eine der drei Studien-Autor*innen gegenüber RESET. Besonders im Service-Bereich seien zwar einige neue Arbeitsplätze geschaffen worden (beispielsweise Essensbestellungen per Internet), doch liegen diese meist im niedrigeren Einkommensbereich und zählen damit auch nicht zu den Jobs, die das Wirtschaftswachstum wie erhofft vorantreiben.
Digitale Wertschöpfungsketten werden von wenigen Ländern dominiert
Die globale Industrie von Informations- und Kommunikationstechnik (ICT) ist einer der wichtigsten Güter-produzierenden Sektoren der Welt. Schätzungen zufolge wuchs der IKT-Sektor von 1,3 Billionen US-Dollar im Jahr 1992 auf 3,9 Billionen US-Dollar im Jahr 2014. Das entspricht 4,5 Prozent des globalen BIP. Laut der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) machten 2017 jedoch nur zehn Volkswirtschaften 93 Prozent der globalen Wertschöpfung in der IKT-Fertigung aus. Gemessen am Gewinn, der aus dem Wirtschaften mit ICT gemacht wird, ist China mit einem Anteil von 32 Prozent ganz vorne. Danach kommen die Vereinigten Staaten mit 19 Prozent. Gemeinsam erwirtschaften diese beiden Länder also über die Hälfte des globalen Gewinns aus ICTs. Südkorea und Taiwan folgen mit jeweils elf Prozent, Japan mit zehn. Nur bei wenigen afrikanischen Ländern ist der Anteil von High-Tech-Exporten im Vergleich zum Gesamt-Export des jeweiligen Landes höher als zehn Prozent. Dazu gehören beispielsweise Ruanda und Mosambik.
Damit sind für Länder des globalen Südens, wie auch die des afrikanischen Kontinents, nur noch wenige Nischen in den Wertschöpfungsketten von IKT übrig, wie die Studie belegt. Das erschwert einen erfolgreichen Markteintritt als auch die Durchsetzung gegen globale Handels- und Produktionskonkurrenten. Hinzu kommen Regulationen, die den globalen Handel von IKT einschränken. Während Länder des globalen Nordens Zollpflichten für den grenzüberschreitenden Datentransfer verbieten wollen, sorgen sich Länder des globalen Südens wie Indien oder Südafrika, dass damit die Fähigkeiten der Länder, Daten innerhalb nationaler Grenzen zu erfassen und deren Recht zu behalten, gefährdet wird.
Coronavirus-Pandemie ist ein Einschnitt in den langfristigen Ausbau digitaler Technologien in Afrika
Die globale Coronavirus-Pandemie hat den Ausbau digitaler Infrastruktur weltweit notgedrungen vorangetrieben. So auch in vielen afrikanischen Ländern. „Zwar ist es aufgrund mangelnder Daten noch schwer abzuschätzen, jedoch deutet sich in vielen afrikanischen Großstädten an, dass die Menschen mehr Dienstleistungen online wahrnehmen“, erklärt Kunkel. Langfristig wird die Krise jedoch sozial und wirtschaftlich schwere Folgen für den afrikanischen Kontinent haben. Laut Fact Sheet werden diese die Entwicklung digitaler Infrastrukturprojekte langfristig wieder verlangsamen und die Förderung von wichtigen Bereichen wie Bildung, Forschung, Innovation sowie einer umweltfreundlichen Wirtschaftsentwicklung begrenzen.
Außerdem schreiben die Studien-Autor*innen, dass die Aussichten für die digitale Entwicklung der afrikanischen Länder immer unsicherer werden. Grund dafür seien die tiefgreifenden politischen und sozioökonomischen Veränderungen, die sich auf dem gesamten Kontinent vollziehen, die ungelösten Fragen in Bezug auf die internationale Steuerung der digitalisierten Wirtschaft und die sich durch die Corona-Krise abzeichnende Weltwirtschaftskrise. „Es besteht ein hohes Risiko, dass sich die digitale Kluft zwischen den afrikanischen Ländern und den technologisch fortgeschrittenen Ländern weiter vergrößert. Bestehende Marktungleichgewichte zu Lasten der Entwicklungsländer könnten sich verstärken“, so die Studien-Autor*innen.
Viele Vorteile und Chancen durch Ausbau digitaler Infrastruktur
Trotz der aktuell einschneidenden negativen sozialen und ökonomischen Folgen der Coronavirus-Pandemie würde Afrika, so die Studie, von den sozialen und ökonomischen Chancen, die eine digitale Transformation langfristig hätte, profitieren. Denn eine ausgebaute digitale Infrastruktur könnte nicht nur die Bildung und den Gesundheitssektor fördern, sondern auch den generellen Lebensstandard der Menschen, die Entwicklung von nachhaltigen Produktionswegen und nachhaltigem Konsum. Auf dem Weg dahin könnten die Regierungen afrikanischer Staaten zu der Entwicklung von einer sozial und umwelttechnisch besseren Nutzung von IKT beitragen, Datenschutzprobleme angehen und Umweltstandards für den Energie- und Ressourcenverbrauch entwickeln. Gerade beim Ressourcenabbau, einem wichtigen Sektor der IKT-Branche in beispielsweise der demokratischen Republik Kongo oder Zimbabwe, werden eine Menge CO2-Emissionen ausgestoßen, die sich mit dem Ausbau von nachhaltigeren Energiequellen verringern würden. Neben dem Aspekt der Nachhaltigkeit habe der Abbau von beispielsweise Kupfer oder Lithium außerdem noch immer sehr schädliche sozio-ökonomische Effekte, so die Studie. Neben schweren Menschenrechtsverletzungen herrschen in diesem Bereich häufig schlechte Arbeitsbedingungen und eine unfaire Einkommensverteilung. Hier und auch bei der Sammlung und dem Recycling von Elektroschrott könnten afrikanische Länder neue Standards setzten, so die Studie.
Historisch gesehen tragen die Länder des globalen Nordens eine größere Verantwortung für die globale Erderwärmung. Außerdem haben sie oftmals noch immer mehr Mittel und politischen Einfluss, einen Wechsel hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft zu fördern. „Wenn man versucht, Digitalisierung neu zu denken und sie zu nutzen, um Nachhaltigkeit zu fördern, dann muss man gleichzeitig auch darüber reden, welche Möglichkeiten einzelne Länder überhaupt haben, die Digitalisierung selbst nachhaltig zu gestalten“, sagt Kunkel. Es ist also vor allem auch Aufgabe der Länder des globalen Nordens, sich für eine weltweit nachhaltigere Wirtschaft einzusetzen. „Wenn dieser Druck schon bei den nachfragenden Industrieländern nicht da ist, dann wird dieses Signal auch nicht gesetzt werden“, so Kunkel. Andererseits gehe es auch nicht ohne die Länder des globalen Südens. „Wir müssen trotzdem, und ohne die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, zu einer nachhaltigeren Digitalisierung finden.“ Es lohne sich also für afrikanische Staaten „mutig voranzugehen“, so Kunkel. Denn das Thema Nachhaltigkeit wird in der Zukunft immer wichtiger werden. Wie das genau aussehen soll, dazu bleibt die Studie noch sehr vage. Denoch gibt sie einen guten Überblick über die aktuelle Situation und zeigt erste Ansatzmöglichkeiten für eine nachhaltige Digitalisierung in Ländern des globalen Südens auf.