Digitale Zwillinge: Sind intelligente Abbilder ein Schlüssel in der Kreislaufwirtschaft?

Ein Abbild der Wirklichkeit in Echtzeit: KI-basierte digitale Zwillinge können das Recycling in Unternehmen erleichtern und die Effizienz erhöhen - und damit den Weg zu einer Kreislaufwirtschaft ebnen.

Autor*in Lara Sophie Sander, 19.10.22

Übersetzung Mark Newton:

Die Ressourcen dieser Welt sind endlich – das sollte mittlerweile den meisten bewusst sein – und aus diesen Ressourcen neue Produkte herzustellen verbraucht enorme Mengen an Energie. Gleichzeitig werden Produkte immer kurzlebiger und die Abfallberge überall auf der Welt steigen. Wege aus dieser klimaschädlichen Schleife sind das Recycling und die zirkuläre Ökonomie. Allerdings spielt beides aktuell bei Hersteller*innen nur eine untergeordnete Rolle.

Das hat vor allem damit zu tun, dass die Kosten für die Rohstoffe und die Erstproduktion nach wie vor gering sind. Hinzu kommen rein praktische Gründe: Es gibt immer noch große Unterschiede in Recyclingprozessen und nur begrenzt verfügbare Abfallmengen, deren Qualität schwankt. Das macht das Recycling zu einem aufwändigen Prozess für Hersteller*innen.

Fakt ist jedoch, dass Recycling gegenüber der Herstellung von neuen Kunststoffen bis zu 90 Prozent der CO2-Emissionen einsparen kann. Davon, dieses Potenzial auszuschöpfen, sind wir aber noch weit entfernt. Digitale Technologien könnten jedoch wichtige Voraussetzungen schaffen, um Recyclingprozesse zu erleichtern.

Ein digitaler Zwilling für die Kreislaufwirtschaft

Technologien auf Basis Künstlicher Intelligenz (KI) werden bereits vielseitig zur Lösung von Umweltfragen und in der Kreislaufwirtschaft eingesetzt, zum Beispiel zur Optimierung von Produktionsstrecken oder Identifizierung von Altteilen. Ursprünglich aus der Luft- und Raumfahrt, taucht auch ein neuer, innovativer Ansatz in diesem Zusammenhang immer häufiger auf: der sogenannte digitale Zwilling.

Der „digitale Zwilling“ ist eine exakte digitale Abbildung eines realen Produkts oder Prozesses und spiegelt zu jedem Zeitpunkt den Zustand seines physischen Gegenbildes wider. Dazu benötigt die KI-basierte Technologie Echtzeitdaten über die Beschaffenheit des abzubildenden Objekts selbst und über seine komplexen Interaktionen mit der Umwelt. Diese Daten sorgen dann für eine laufende Anpassung des abgebildeten Objekts. Außerdem wird das digitale Abbild mit historischen Daten gespeist. Das ermöglicht ein spezifisches Monitoring und die Fähigkeit, verschiedene Szenarien zu simulieren, um so reale Produkte oder Prozesse zu optimieren. Ein Fokus digitaler Zwillinge liegt auf der Predictive Maintenance, oder vorausschauenden Wartung, und dem Demand Forecasting. Dadurch werden Prognosen generiert, wann und wo etwas im Prozess oder Produkt verbessert, beziehungsweise ausgetauscht werden muss, und wie sich Bedarfe in Zukunft entwickeln werden.

Das birgt mehrere Vorteile: Mit dem digitalen Zwilling lassen sich Konzepte im Vorfeld ausgiebig testen, bevor Ressourcen in ihre Umsetzung investiert werden, und reale Prozesse effizienter gestalten.

CYCLOPS: Digitale Zwillinge in der zirkulären Abfallwirtschaft

Die Möglichkeit, sehr genaue Prognosen zu erstellen und damit Bedarfe vorherzusehen, kann digitale Zwillinge zu einem wirkungsvollen Werkzeug machen, um Informationslücken in der Abfallverwertung von Kunststoffen zu schließen – und so den Weg zu einer lückenlosen Kreislaufwirtschaft ebnen. Wie das funktionieren kann, zeigt das Projekt CYCLOPS (Circular Optimisation for Plastics) des SKZ und seiner Verbundpartner GreenDelta, Cirplus und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie gGmbH.

„Rezyklaten wird häufig eine gewisse Skepsis entgegengebracht. Angezweifelt werden zum einen deren grundsätzlichen Einsatzmöglichkeiten und die Erfüllung von spezifischen technischen Anforderungen. Häufig lässt sich jedoch feststellen, dass bei potenziellen Anwendern zu wenig Informationen und Wissen vorliegen. Hier könnten zusätzliche Informationsangebote helfen, Vorbehalte abzubauen“, erklärt Dr. Jan Werner, Projektleiter am SKZ gegenüber RESET. Zudem lassen sich viele Abfallströme nicht gut prognostizieren, da Abfälle nicht planmäßig anfallen und die Eigenschaften von Rezyklaten größeren Schwankungen unterliegen als die neuer Materialien. All das zusammen führt dazu, dass sich in der Industrie oft gegen den Einsatz von Rezyklat entschieden wird.

© Dr. Jan Werner, SKZ
Das Modell des digitalen Zwillings für die Abfallwirtschaft von Cyclops.

CYCLOPS soll genau diese Lücke schließen und Kunststoffverarbeitende, Kunststoffaufbereitende und Abfallerzeuger*innen über Eigenschaften und Aufbereitungsmöglichkeiten der Rohstoffe informieren. Das frei verfügbare digitale System hinter CYCLOPS baut auf einem digitalen Zwilling auf, der den Anwender*innen ermöglicht, Materialien durch KI-basierte Datenverarbeitung und Analysen zu bewerten und ihre Verfügbarkeiten und Bedarfe zu prognostiziert. Langfristig führt dieser Anreiz, so die Hoffnung, zu einer größeren Bereitschaft zu recyceln und Wirtschaftskreisläufe zu schließen.

Das Projekt der Verbundpartner um das SKZ ist eines von vielen, das auf Basis eines digitalen Zwillings komplexe Probleme und Umweltthemen angeht. Gefördert wird es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Förderrichtlinie „Digital GreenTech“.

Digital Green Tech

Seit 2020 fördert das BMBF mit der der Förderrichtlinie „Digital GreenTech Technologien, die zur Schonung natürlicher Ressourcen und Verringerung von Umweltbelastung in Deutschland und weltweit beitragen. Die Projekte befinden sich in den Anwendungsfeldern Wasserwirtschaft, nachhaltiges Landmanagement und Geotechnologie, sowie Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft. Neben der direkten finanziellen Förderung finden gezielte Maßnahmen zur Vernetzung der Forschenden und zum Transfer der Ergebnisse statt.

Die Daten geben den Weg vor

Damit digitale Zwillinge tatsächlich zu einer zirkulären Abfallwirtschaft beitragen, ist es zentral, dass die Daten, die im digitalen Zwilling angelegt sind, über eine hohe Qualität verfügen. Sie sollten einerseits möglichst vollständig sein, also die gesamte Wertschöpfungskette abbilden, und zudem sehr genau. KI-gestützte Plausibilitätsprüfungen und Nutzerassistenz können diesen Prozess jedoch unterstützen, indem die Daten automatisiert geprüft und ergänzt werden oder die Nutzenden aufgefordert werden, die Eingaben nachzubessern. Gleichzeitig sollte beim Einsatz von KI der Faktor Energie nicht vergessen werden, wie auch Werner feststellt: „Die Vorteile für die Kreislaufwirtschaft dürfen nicht durch den zusätzlichen Verbrauch von viel Energie durch IT „erkauft“ werden.“

Digitale Zwilling basieren auf KI-Technologie – diese braucht Daten, um möglichst genaue Prognosen zu erstellen.

Da Anwendungen auf Basis Künstlicher Intelligenz in der Entwicklungsphase und vor allem beim Training sehr energieintensiv sind, muss dieser Stromverbrauch immer ins Verhältnis zu den Einsparungen in der Nutzungsphase gesetzt werden. Nur wenn mithilfe der KI mehr Energie und Ressourcen eingespart werden als in die Entwicklung geflossen sind, hat diese unterm Strich eine positive Ökobilanz.

Vom digitalen Baumstamm bis zum Batterie-Zwilling

Auch über die Kunststoffproduktion hinaus werden digitale Zwillinge heute in vielen Bereichen der Kreislaufwirtschaft eingesetzt, wie zum Beispiel in dem Projekt mit dem Kürzel DiGeBaSt, welches ebenfalls Teil der BMBF-Förderrichtlinie ist. Hinter dem kryptischen Akronym („Digitaler Fingerabdruck: Markierungsfreie Rückverfolgung vom gefällten Baumstamm bis ins Sägewerk“) verbirgt sich die Idee, eine markierungsfreie Rückverfolgung gefällter Baumstämme bis ins Sägewerk zu ermöglichen. Damit sollen Anreize für Forstbetriebe geschaffen werden, Wälder nachhaltiger zu bewirtschaften. Direkt nach dem Fällen wird den Bäumen dazu ein digitaler Zwilling zugewiesen, der über die gesamte Wertschöpfungskette Echtzeitdaten des realen Stamms, wie Standort, Logistik oder Weiterverarbeitung, erhält. In einer Cloud sind die Daten dann jederzeit abrufbar. 

Auch Batterien enthalten für die Industrie relevante und wertvolle Stoffe, die durch Recycling wieder zurück in den Kreislauf geführt werden könnten. Das Projekt DiRecLiB (Direktes Recycling von Aktivmaterialien aus Lithium-Ionen-Batterien) will daher durch einen digitalen Zwilling die Grundlage für neue Recyclingmaßnahmen erarbeiten, um relevante Aktivmaterialien aus Lithium-Ionen-Batterien möglichst effizient zurückzugewinnen.

Das 1,5-Grad-Ziel ist ohne eine echte Transformation unseres Energiesystems unerreichbar. Aber wie kann sie gelingen? Was sind die Energiequellen der Zukunft? Welche digitalen Lösungen stehen bereit und wo sind Innovationen gefragt? Und wie kann die Transformation vorangetrieben werden?

Das RESET-Greenbook „Energiewende- Die Zukunft ist vernetzt“ stellt digitale, innovative Lösungen vor und beleuchtet die Hintergründe.

Selbst unser Planet wurde schon als digitale Simulation abgebildet: mit dem Knowhow von Videospieltechnik hat ein Hersteller von Grafikkarten eine Simulation der Erde entwickelt und unterstützt so Klimaforschung und Umweltpolitik. Auch die ESA erprobt schon digitale Zwillinge unseres Planeten. Im Bausektor, profitieren Maßnahmen zur Reduzierung des Energieverbrauchs von digitalen Zwillingen. Das Unternehmen Bractlet analysiert Gebäude beispielsweise mithilfe eines digitalen Zwillings, um sie effizienter zu betreiben und den Stromverbrauch zu reduzieren. Und EcoWorks arbeitet an einer Art zweiten Haut für Gebäude, um sie C02-negativ zu isolieren – das Design dahinter: ein digitaler Zwilling, mit dem Pläne für die individuellen Isolierungen erstellt werden.

Digitale Zwillinge sind bereits Realität – was braucht es noch?

Digitale Zwillinge sind also schon lange nicht mehr „Zukunftsmusik“, sondern ihre Anwendungsmöglichkeiten werden bereits in vielen Bereichen aktiv erprobt. Doch so hilfreich sie sich auch erweisen, um Ressourcen zu sparen, Prozesse effizienter zu gestalten und Kreisläufe zu schließen, sollten für eine Nachhaltigkeitsbewertung die ökologischen Kosten der Technologie – insbesondere durch ihren hohen Strombedarf – nicht vergessen werden.

Das bedeutet aber nicht, dass Ideen und bereits laufende Projekte direkt verworfen werden sollten. Vielmehr motiviert es dazu, genau hier innovative Ideen für wirkungsvolle und nachhaltige Technologien voranzubringen. Hier muss auch die Politik mit gezielten Förderungen und der Einführung entsprechender Rahmenbedingungen unterstützen.

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Dieser Artikel gehört zum Dossier „Energiewende – Die Zukunft ist vernetzt“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

Mehr Informationen hier.

© Torge Petersen
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