Das Bild ist eindeutig: Der Energieverbrauch und die CO2-Emissionen der Digitalwirtschaft steigen kontinuierlich. Schon heute macht die Herstellung und Nutzung digitaler Geräte und Dienstleistungen 8 bis 10 Prozent der weltweiten Stromnachfrage aus – und verschiedene Szenarien rechnen mit einem weiteren nutzungsbedingten Anstieg um 50 bis 80 Prozent bis 2030. Da hilft es auch bisher auch nicht, dass sich viele der Big Player unter den Tech-Unternehmen wie Alphabet (Google), Amazon, Apple, Meta (Facebook) und Microsoft eigene Klimaziele gesetzt haben, denn diese stellen sich bei genauerer Betrachtung alles als unzureichend heraus.
Was es daher braucht ist eine grundlegende Neuausrichtung der digitalen Ökonomie, stellen die Autor*innen des Reports „Digital Reset“ fest, der pünktlich zur diesjährigen „Bits & Bäume“-Konferenz für Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ vom 30.9. bis 2.10. erschienen ist. „In Nischen gibt es viele sinnvolle digitale Technologien. Doch im Großen und Ganzen trägt die derzeitige Form der Digitalisierung dazu bei, dass sich sozioökonomische Ungleichheiten erhöhen und negative Umwelteffekte die Vorteile überwiegen“, so Dr. Steffen Lange von der TU Berlin, einer der Leitautoren des Reports.
Der Report ist das Ergebnis eines zweijährigen Forschungsdialogs zwischen 15 renommierten Expert*innen aus ganz Europa, darunter Lina Dencik (Cardiff University), Tomas Diez (Fab Lab Barcelona), Hugues Ferreboeuf (The Shift Project), Stephanie Hankey (Harvard University, Tactical Tech), Angelika Hilbeck (ETH Zürich), Mattias Höjer (KTH Stockholm) und Marianne Ryghaug (Norwegian University of Science and Technology), die sich zu dem Expertengremium „Digitalization for Sustainability“ (D4S) zusammengeschlossen haben. Das Projekt ist an der TU Berlin und dem Einstein Center Digital Future angesiedelt und wird von der Robert-Bosch-Stiftung gefördert. Der Report basiert auf Literatur- und Metaanalysen der aktuellen Forschung und insbesondere auf einem interdisziplinären Dialog.
Macht die digitale Ökonomie weiter wie bisher, bleiben die Pariser Klimaziele unerreichbar
„Keines der Big-Tech-Unternehmen befindet sich auf einem Entwicklungspfad, der mit dem 1,5-Grad-Ziel von Paris kompatibel ist. Unsere Analyse zeigt, dass sich der Energieverbrauch von Alphabet und Meta in den letzten fünf Jahren rund verdreifacht hat, linear zu ihren Einnahmen – und das trotz massiver Effizienzsteigerungen in ihren riesigen Rechenzentren“, berichtet Prof. Dr. Tilman Santarius von der TU Berlin und dem Einstein Center Digital Future, der ebenfalls an dem Report mitgearbeitet hat. Die großen umweltpolitischen Hoffnungen, dass die Digitalisierung die Energieeffizienz steigern und digitale Dienstleistungen physische Produkte ersetzen könnten, entsprechen also nicht der aktuellen Realität. Das hat vor allem damit zu tun, dass das Einsparpotential der Digitalisierung vor allem durch die intensivere Nutzung digitaler Technologien aufgefressen wird, so Santarius.
Eine zukunftsfähige digitale Ökonomie ist möglich – drei Bausteine
Ein erster wesentlicher Schritt, um die CO2-Emissionen der Digitalwirtschaft massiv zu senken, ist, den ökologischen Fußabdruck und die sozialen Kosten der Herstellung und des Betriebs von digitalen Endgeräten, Rechenzentren und Infrastrukturen zu verringern. Dabei geht es nicht nur darum, die Effizienz zu erhöhen, sondern Suffizienz als Leitgedanken einzubeziehen und eine Kreislaufwirtschaft einzuführen, so die Autor*innen des Reports. Nicht nur ein „Weniger“ (Effizienz), sondern auch ein „Genug“ (Suffizienz) und die möglichst lange Lebensdauer von Produkten und Ressourcen (Kreislaufwirtschaft) seien entscheidend für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels.
Der zweite wichtige Baustein ist laut den Wissenschaftler*innen, dass die Geschäftsmodelle der großen Tech-Unternehmen dringend auf das Gemeinwohl ausgerichtet werden müssen. „In unserem Report zeigen wir, wie eine Verschärfung des Monopolrechts, die konsequente Durchsetzung sozialer, ökologischer und ökonomischer Standards und zugleich die Förderung alternativer Geschäftsmodelle einen Richtungswechsel einleiten können“, berichtet Lange. Dass das keine leichte Aufgabe ist, ist klar, denn hier muss die Politik in das Kerngeschäft der mächtigsten Unternehmen weltweit eingreifen – aber laut den Autor*innen unverzichtbar.
Als dritten Baustein wird im Report eine gemeinwohlorientierte Nutzung digitaler Daten sowie von Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) gefordert. Dazu gehört, dass Entwickler*innen von KI-Systemen verpflichtet werden, über den Energieverbrauch und die Emissionen während der Entwicklungs- und Trainingsphase zu berichten. Das sei eine wichtige Grundlage um sicherzustellen, dass die Anwendungen auch wirklich Einsparungen erzielen.
Digitale Technologien können Wirtschaftssektoren nachhaltig transformieren – wenn sie richtig gestaltet werden
Der Report legt zudem sehr konkrete politische Maßnahmen, neue Institutionen und alternative Praktiken vor, wie digitale Technologien sämtliche Wirtschaftssektoren – Landwirtschaft, Mobilität, Industrie, Energie, Wohnen und Konsum – wirklich auf Nachhaltigkeitskurs bringen. Dabei geht es vor allem darum, das Narrativ der Digitalpolitik abzulösen, dass die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen gestärkt und das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden muss. Viel wichtiger sei es, „dass sich die politische Gestaltung sämtlicher Sektoren – von der Agrar- über die Verkehrs- bis zur Industriepolitik – systematisch mit den Chancen und Risiken des digitalen Wandels auseinandersetzt“, so Lange.
So könnten in der Landwirtschaft in Zukunft digitale Technologien den Wandel hin zu lokal angepassten und ökologischen Anbaumethoden unterstützen, anstatt weiterhin den Anbau von umweltschädlichen Monokulturen zu optimieren. Eine emissionsarme und vielgestaltige Mobilität kann dadurch erreicht werden, dass die Politik verantwortungsvoll Daten und Software freigibt. In der Industrie könnten digitale Technologien eine resiliente und zirkuläre Produktion fördern, wenn in der Politik nicht nur weiterhin eine Wachstumslogik verfolgt wird. Im Energiesektor könnten digitale Technologien verstärkt für die Unterstützung dezentraler, erneuerbarer Energiesysteme eingesetzt werden und auch im Gebäudesektor kann an anderer Umgang mit Daten dafür sorgen, dass die Nachfrage nach Neubauten und der Energieverbrauch von Gebäuden sinkt.
Der Bericht zeigt die wesentlichen Schritte zu einer Gesellschaft, in der digitale Technologien zu Klimaneutralität, Artenvielfalt, einer widerstandsfähigen Wirtschaft und sozialer Gerechtigkeit beitragen – und liefert damit einen wichtigen Leitfaden für die Europäische Union. Denn hier gibt es erheblichen Aufholbedarf: Auch wenn die Maßnahmen des aktuellen „Green Deals“ erste Schritte sind, so bedarf es einer tiefergehenden sozial-ökologischen Transformation für eine wirklich zukunftsfähige Gesellschaft.
Der Report kann unter folgendem Link heruntergeladen werden: Digital Reset – Redirecting Technologies for the deep sustainability transformation